Wirtschaft in kriminogener Umwelt
Shell und Goldman Sachs erhalten Public-Eye-Award als schlimmste Unternehmen des Jahres
Public Eye wurde vor 13 Jahren als Gegenveranstaltung zum Weltwirtschaftsforum in Davos gegründet, das derzeit stattfindet. Während sich in dem Graubündner Örtchen die globale politisch-ökonomische Elite trifft, kürt "das andere Davos" die übelsten Konzerne des Jahres mit einem Publikums- und einem Jurypreis. Die Awards gingen in diesem Jahr an Goldman Sachs und – bereits zum zweiten Mal – an Shell.
In Davos treffen sich derzeit die Mächtigen, die Staatsführer und Manager, das Who-is-Who der globalen Politik und Wirtschaft. Man lernt sich kennen, resümiert, wie es um die Weltwirtschaft steht, und beschließt vielleicht das eine oder andere Geschäft. Ebenfalls in Davos, nur einen Katzensprung entfernt, verleiht Public Eye, eine Kooperation von Greenpeace und der Erklärung von Bern, die Negativ-Awards für die schlimmsten Unternehmen des Jahres.
Glaubt man den Bekenntnissen, wollen alle dasselbe. Politiker, Globalisierungsgegner, Unternehmen – auch diejenigen, die Public Eye für den Award nominiert hat: Shell, Repower, Alstom, Coal India, G4S, Lonmin, Goldman Sachs. In ihrer Corporate Identity bekennen sie sich natürlich zu Nachhaltigkeit, natürlich zu sozialer Gerechtigkeit, natürlich zu Menschenrechten.
So auch David Cameron auf einer Rede beim Weltwirtschaftsforum: "Unsere Generation kann die erste sein, die die absolute Armut ausrottet." Der britische Premier, dessen austeritätsbesessene Politik Armut und Ungleichheit konsequent vorantreibt, erklärte auch, dass die G8-Staaten eine kritische Debatte über den internationalen Kapitalismus zu führen haben und diese nicht zu fürchten hätten.
"Ein Wirtschaftsstudium kommt einer Gehirnwäsche gleich"
Geführt wurde eine solche Debatte woanders. Nur einige Straßen weiter eröffnete zur selben Zeit Ulrich Thielemann, ehemaliger Vize-Direktor des Basler Instituts für Wirtschaftsethik, die Verleihung der Public Eye Awards mit einer grundsätzlichen Kritik am Konzept der Corporate Social Responsibility. "Verantwortlich zu handeln, wird [von Wissenschaftlern] gesagt, sei langfristig profitabel. Also könne man gar nicht ethisch verwerflich handeln, wenn man den Profit maximiert."
Seltsam, dass die sieben Unternehmen, die Public Eye nominiert hat, trotz moralisch fragwürdiger Geschäfte hochgradig profitabel sind. Goldman Sachs bereichert sich glänzend an der Euro-Krise, der britische Sicherheitskonzern G4S floriert, obwohl seine Söldner in Menschenrechtsverletzungen verwickelt sind, und Shell verdient Millionen mit schmutzigem Öl. Ethischer Autismus und Profit schließen sich nicht aus, wie manche Wirtschaftsethiker behaupten. Im Gegenteil:
Die Maximierung von Profit lässt, anders als seine Erwirtschaftung, keinen Raum für moralische Integrität.
Verantwortlich seien, so Thielemann, auch die Universitäten:
Ein Wirtschaftsstudium kommt heute einer Gehirnwäsche gleich … Die Studenten erhalten die Werkzeuge, um reich zu werden, und sie erhalten die geistige Einstellung dazu.
Wenn im Studium der homo oeconomicus zum einzig möglichen Menschen und die Profitmaximierung zum einzig denkbaren Ziel erhöht wird – wen wundert es da, dass die studierten Ökonomen unverantwortlich handeln, wenn sie später die Kontrolle übernehmen?
Shell, immer wieder Shell
Zum Beispiel Shell, der Publikumssieger. Gut 16.000 von 40.000 Stimmen, die zwischen dem 04. und 24. Januar im Internet abgegeben wurden, entfielen auf den niederländischen Rohölriesen, der damit den Public Eye Award erhält – zum zweiten Mal. Das erste Mal war 2005, Grund war damals die Ölkatastrophe im nigerianischen Nigerdelta, als aus Shells Rohren Öl floss und ein riesiges Ökosystem teilweise irreparabel zerstörte. Schlagzeilen machte die Shell-Nigeria-Connection auch 2012, als wiki-leaks-Dokumente ans Licht brachten, dass Shell ganze Ministerien bestochen hatte. Den aktuellen Schmähpreis verdankt der Konzern aber nicht den Verbrechen, die er angerichtet hat, sondern dem Schaden, den er zu verursachen droht.
Shell erhielt als erster Rohölkonzern die Erlaubnis, in der Arktis Öl zu fördern und will dafür gut 1.200 Meter tief bohren. Erste Probebohrungen vor der Küste Alaskas laufen bereits. Über die Gefahren, die der Arktis – und damit der Erde – drohen, gehen die Meinungen auseinander. Shells Fachleute behaupten, im Falle eines Lecks könne man 99 Prozent des Öls wieder einsaugen. Unabhängige Experten meinen dagegen, wegen der besonderen Umstände im Eismeer seien es gerade mal 1 bis 20 Prozent. Wegen solcher Unsicherheiten haben sich schon fast 2,5 Millionen Menschen an einer Unterschriftenkampagne zum Schutz der Arktis vor Ölbohrungen beteiligt.
Entgegennehmen konnte Shells CEO Peter Voser den Preis nicht. Er war auf dem Weltwirtschaftsforum, wo sich auch Manager von Goldman Sachs sehen ließen, aktuelle und ehemalige wie Mario Monti oder Mario Draghi.
"Goldman Sachs ist nicht die Ausnahme, sondern die Regel"
"Goldman Sachs ist ein Symbol für alles, was in der gegenwärtigen Wirtschaft falsch läuft", sagte Kumi Naidoo, Chef von Greenpeace und Mitausrichter von Public Eye. Der Finanzdienstleister landete beim Publikum mit fast 11.000 Stimmen auf dem zweiten Platz, wurde aber von der Jury zum übelsten Konzern gekürt.
Public-Eye betitelt den Finanzdienstleiter ökonomisch nicht ganz zutreffend als "Vampir" und wirft ihm vor, an der Euro-Krise zu verdienen. Die Firma habe erst Griechenland gegen horrende Honorare geholfen, sich mit geschönten Bilanzen in den Euroclub zu mogeln, und dann gegen das Land gewettet. Nun bereichere sich das Unternehmen an einer Krise, die es mit ausgelöst hat. Rund 400 Millionen Euro jährlich schuldet Griechenland dem schwerreichen, trotz der Krise florierenden Unternehmen, und zwar bis 2037 – wobei allerdings verschwiegen wird, wie viel Geld Goldman Sachs in Griechenland verbrannt hat. Neben dem Verdienst an der Krise beklagt Public Eye die enge Verflechtung der Firma mit der Politik, die einige Straßen weiter offen demonstriert wird.
"Goldman Sachs ist nicht die Ausnahme, sondern die Norm für systemgefährdende Unternehmen", so William K. Black auf der Pressekonferenz. Der US-amerikanische Ökonom und Jurist sprach als Experte für Wirtschaftskriminalität. Die Konzerne agieren, so Black, in
kriminogenen Umwelten aus Straflosigkeit vor dem Gesetz, Günstlingswirtschaft und massiven nationalen Subventionen. Solche Umwelten sind pervers, sie produzieren Epidemien von Kontrollbetrug (engl. Control fraud).
Das meint stillen, juristisch kaum nachzuweisenden, aber faktisch stattfindenden Betrug durch die Spitzen in Wirtschaft und Politik. Die Teilnehmer des Weltwirtschaftsforums wären damit prinzipiell verdächtig, sind aber unglücklicherweise auch die einzigen, die Mechanismen zur Verhinderung von Kontrollbetrug installieren könnten. Allerdings leugne das Weltwirtschaftsforum, so Black, die Existenz dieses Verbrechens.