Wissen zwischen Kontrolle und Freiheit

Interview mit Volker Grassmuck zum neuen "Wizards of OS"-Workshop in Hamburg

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Nach dem Wizards of OS-Kongress zum Thema "Offene Quellen und Freie Software" im Juli 1999 in Berlin gibt es nun am Freitag einen neuen Wizards of OS-Workshop, der sich dem "freien Wissen" in Wissenschaft und Kunst widmet (Live#Webcast (in Quicktime) am 22.9., 12:00-19:30). Erörtert werden Möglichkeiten und Chancen für einen gleichen Zugang und eine informationelle Nachhaltigkeit. Christiane Schulzki-Haddouti sprach mit dem Organisator des Workshops, Volker Grassmuck, über die Kommerzialisierung des Wissens, die technischen Sicherungssysteme und die Ansätze von Gegenkonzepten.

Wissenschaftler, Künstler, Journalisten produzieren Wissen, den Rohstoff der Informationsgesellschaft. Die Verteilkämpfe haben mit Hilfe rechtlicher Regularien wie Urheberrecht und Copyright, Patente und Lizenzbestimmungen schon begonnen. Droht jetzt die Kommerzialisierung des Wissens?

Volker Grassmuck: Geheimes Wissens hat es immer gegeben. So gab es das Machtwissen der Staaten und Kirchen, das Lehrwissen, das von Meister an Schüler weitergegeben wird, mit Initiationen oder Gruppenmonopole an Wissen. Die rechtlich abgesicherte Kommerzialisierung des Wissens begann spätestens 1421, als an den Architekten und Ingenieur Filippo Brunelleschi für drei Jahre das Monopol verliehen wurde, einen Lastkahn mit einer Winde herzustellen, der für den Transport von Marmorblöcken verwendet wurde. Oder als Ende des 15. Jahrhunderts, ausgelöst von der Einfuhr der Druckerpresse, die britische Krone der Buchhändlergilde, der London Stationers' Company, gegen eine Gebühr die litterae patentes für das Drucken von Büchern verliehen hatte. Geheim halten kann man Wissen natürlich immer noch, aber mit Patent- und Urheberrecht waren Mittel entstanden, um Wissen gerade dann einen gewissen Schutz zu verleihen, wenn es veröffentlicht wird.

Verteilkämpfe hat es ebenfalls von Anfang an gegeben. Erst unter den Verlegern. Die Urheber kamen erst nach und nach ins Spiel - woraus die Gewerkschaften bis zur IG Medien und das Gesetz über das Verlagsrecht von 1901 hervorging, auch die Tarifverträge. Urheber gegen andere kommerzielle Nutzer, wie Cafehäuser, die ihre Musik aufführten, und Tanzlokale, die Schallplatten spielten, und dann das Radio, woraus die Verwertungsgesellschaften entstanden. Die schwächste Partei ist die Öffentlichkeit, die von wenig mehr als den Bibliotheksverbänden vertreten wird. Eine Informations-Verbraucherschutzorganisation gibt es nicht, wenn man nicht EFF, FifF oder die Datenschützer dazu zählen wollte.

Seit dem 15. Jahrhundert hat sich vor allem zweierlei entwickelt. Aus dem, was am Anfang noch Drucker-Verleger-Buchändler in einer Person war, wurde die Rechteindustrie - die größte Industrie überhaupt. Und, Kopiermaschinen wandelten sich von industriellen Investitionsgütern zu Haushaltsgeräten. Besonders PCs und Internet bereiten der Rechteindustrie Kopfzerbrechen. Die Antwort auf Probleme der Technologie ist technologisch: "The same technical facilities that permit global use of networks will also permit global control of these networks."

Auf der Hardware-Ebene ist das Problem die Universalmaschine, die Antwort sind Spezialmaschinen, wie Settop-Boxen, Game-Konsolen, eBook-Lesegeräte, Hifi- und TV-Endgeräte - wobei nicht mal alle Hersteller von DVD-Geräten auf die Implementierung von CSS und Ländercodes eingeschworen werden konnten. Die Geräteindustrie ist übrigens eine weitere Partei, deren Interessen komplementär, aber keineswegs identisch zu denen der Rechtindustrie sind. Auf der Software-Ebene ist Krypto die Antwort auf die problematische Offenheit. Sie wird eingesetzt zur Authentikation, für Krypto-Umschläge, oder die Generierung von Wasserzeichen.

Wo geht heute der Trend hin?

Volker Grassmuck: Die Errichtung einer umfassenden Rechtekontrollinfrastruktur unter Namen wie Rights Protection oder Management Systems oder Trusted Systems von Mark Stefik, Xerox PARC, ist einer der drei wichtigsten Trends beim Copyright/Urheberrecht. Dazu gehören Einzelteile, wie Dutzende Wasserzeichentechnologien, Wasserzeichen-Tracking-Systeme für Rundfunk-, Kabel und Internet-Content und Copy Control Information (CCI), die das pauschale Nutzungsrecht an den bisherigen Medien in feinteiligen Einzelnutzungen vermarktbar machen wie XrML, die eXtensible rights Markup Language, die maßgeblich von Stefik entwickelt wurde, integrierte Systeme wie Fraunhofers MMP und komplette eCommerce-Lösungen mit Content-Hosting, Kundenverwaltung, Inkassosystem, Tracking etc. Einige Formate sind universal für jede Art digitalen Contents, andere wie LiquidAudio für MP3, SoftLock und Glassbook für PDF spezifisch.

Einige personalisieren auf einen Player oder die CPU-ID, andere arbeiten mit Anbieter-Kennungen, die in verschiedenen Hard- und Software-Playern eingetragen werden können, andere mit Abfrage eines zentralen Servers. Da die "technologischen Maßnahmen" den 5-jährigen Anstrengungen von EU-Projekten, öffentlichen und privaten Forschungseinrichtungen, Unternehmen und Industriekonsortien zum Trotz immer noch ziemlich dürftig sind, werden sie regelmäßig in kürzester Zeit gehackt wie CSS, das der CCC als ein "laienhaftes Verschlüsselungssystem" bezeichnete, oder Glassbook, der Stephen-King-Hack.

Also hat die Rechteindustrie die Gesetzgeber mobilisiert, um die technischen Schutzmaßnahmen selber zu schützen. Über allen Copyright- und Patentschutz, den die Systeme ohnehin schon haben, bekommen sie jetzt - sui generis - ihre eigenen Manipulierungsverbote. In den USA hatte bereits der Audio Home Recording Act von 1992 die Herstellung, Einfuhr und Verbreitung von Geräten, die nicht über ein Serial Copy Management System oder vergleichbares System verfügen, sowie Geräte, deren primärer Zweck es ist, solche Kopierschutzmechanismen zu umgehen, zu entfernen oder zu deaktivieren, unter Strafe gestellt (§ 1002 (a) und 1002 (c) U.S.C.). Die beiden WIPO-Verträge von 1996, der EU-Richtlinienentwurf, das 5. Änderungsgesetz des UrhG enthalten alle Umgehungsverbote. Die komplexesten Regelungen zur Circumvention of copyright protection systems bislang, die auch Schranken einbeziehen, hat der DMCA (§§ 1201 - 1205 U.S.C.) Er tritt im Oktober 2000 in Kraft.

Der zweite Trend ist die Überformung der Bestimmungen von Copyright-/Urheberrecht durch Lizenzen (s. UCITA). In der Regel werden die Nutzer genötigt, auf Rechte zu verzichten So beispielsweise die Software für ihren bestimmungsgemäßen Einsatz modifzieren oder Reverse Rngineering zur Herstellung kompatibler Produkte zu betreiben. Aber auch die freien Lizenzen beruhen natürlich auf dieser Vertragsfreiheit. Die Rechtekontrollsysteme erzwingen technisch, was in den Lizenzen vorgeschrieben steht.

Der dritte wichtige Trend ist mit der freien Software wie GNU/Linux, Apache oder Perl eingeläutet. War Software kaum 20 Jahre vorher überhaupt zu einer eigenständigen Ware geworden, hat eine Bewegung aus professionellen Hobbyisten Industrieführer wie Sun, IBM, Corel etc. dazu veranlasst, die Kontrolle über ihr geistiges Eigentum zu lockern. Mehr noch, wo immer sich Wissensprobleme stellen, finden sich Leute, die eine offene kooperative Lösung ausprobieren.

Was haben Wissenschaftler von einer Verschärfung des Urheberrechts?

Volker Grassmuck: Von einer Verschärfung des Urheberrechts kann man so einfach nicht sprechen. Bei den "Digitalgesetzen", die derzeit verabschiedet werden, geht es darum, die Mechanismen des bestehenden Rechts auf die spezifischen Bedingungen des Cyberspace zu übertragen. Was sich verschärft, ist die Praxis des Urheberrechts: durch Code und Contracts statt durch Law.

Wissenschaftler haben dabei gegenüber anderen Urhebern keine besonderen Vor- oder Nachteile. Ihre Manuskripte war bislang urheberrechtlich geschützt, jetzt können sie sie als pdf im eCommerce-Shop verkaufen, statt in einem Proceedings-Band oder einer Zeitschrift. Problematischer sehe ich hier den Trend zur Drittmittelforschung und zu privaten Spin-Offs von Uni-Profs, zum Beispiel in der Biotechnologie. Damit wächst die Motivation, nur das Nötigste in den öffentlichen Wissenschaftsdiskurs zu geben und alles verwertbare Wissen, das mit öffentlichen Geldern an Unis erarbeitet wurde, geheim zu halten und privat zu vermarkten. Aber auch das ist keine gesetzliche Änderung, sondern ein Wandel in den Wissenspraktiken.

Wie könnte man einen solchen Wandel weniger attraktiv und dennoch effizient gestalten?

Volker Grassmuck: Also dem Trend zur Privatisierung von öffentlichen Bildung- und Forschungseinrichtungen und damit zu Schließungen im wissenschaftlichen Informationsaustausch muss man halt entgegentreten, wo immer man kann. Der Schritt von Clinton & Blair im März 2000 zur Öffnung des Human Genome Projects geht in die richtige Richtung. Da spielt sich prototypisch gerade ein Wettkampf zwischen dem öffentlichen und dem privatwirtschaftlichen Modell (Celera u.a.) ab. Ansonsten sind Organisationen, die sich für den Wissenstransfer engagieren, hier ganz wichtig, UNESCO, Philippe Quéau z.B., oder die Gutmenschen innerhalb der Großkonzerne, wie der World Business Council. Da in letzterem aber auch AOL-Time-Warner-und-Co sitzen, hab ich da nicht viel Hoffnung, aber das Interesse an freiem Wissen ist selbst bei denen da.

Können Bürger künftig noch frei auf Wissen zugreifen, oder wird alles individuell erfasst und abgerechnet, Wissen nur noch staatlich subventioniert für alle verfügbar?

Volker Grassmuck: In Bibliotheken, Museen, Archiven und noch zu schaffenden Gegenstücken für die Archivierung und Zugänglichmachung digitalen Wissen - wobei ich hier mir eine neue Aufgabe für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk vorstellen könnte - wird das auf absehbare Zeit weiter möglich sein. Solange unsere Gesellschaften sich an den in ihrer Gründung artikulierten Anspruch erinnern und ihn weiter staatlich subventionieren. Wenn Sparpolitik und Privatisierung weitergehen, ist allerdings zu befürchten, dass wir auf unser kollektives Bildererbe bald nur noch bei Bill Gates' Corbis zugreifen können.

Welche Gegenkonzepte gibt es?

Volker Grassmuck: Ernsthafte Versuche, so etwas wie Corbis abzuwehren, sehe ich nicht, aus der Rechtswelt allenfalls, wo es in den kartellrechtsrelevanten Bereich hineingeht. Gegenkonzepte bestehen einerseits daraus, die bestehenden öffentliche Strukturen zu erhalten und zu stärken, und andererseits im Selbermachen: freie Software mit der Hartnäckigkeit des GNU-Projekts betrieben, ist ein Beispiel, freie Enzyklopädien, frei zugängliche kontributoren-gestützte Systeme wie OVA.zkm.de und ORANG.organg.org, freie File-Sharing-Systeme wie Gnutella & Co., ein quelloffenes Content-Management-System ohne Berücksichtung von , wie es von VPRO, xs4all, DDS und anderen entwickelt worden ist. Auch die Konstruktion von alten Allmende-Begriff zum digitalen Wissen-Allmende, das zu schaffen die GPL zwar nicht bewusst angetreten war, aber das auf jeden Fall ein Effekt ist.

Die öffentliche Verwaltung, die Regierung hält in Deutschland ihr Wissen in der Regel noch für sich. Wie ließe sich eine Öffnung erzwingen?

Volker Grassmuck: Die Akteneinsichtsgesetze in Schleswig-Holstein und Berlin und im Herbst auch bundesweit gehen da, soweit ich das beurteilen kann, schon in die richtige Richtung. Wird auch Zeit, wenn man bedenkt, dass die USA das FOIA schon seit 1966 kennen. Der aktuelle Aktenvernichtungsskandal zeigt, dass dazu die Regierenden Regierungswissen nicht länger als ihr Privateigentum betrachten dürften.

Termin und Ort der Veranstaltung:

Die digitale Wissensordnung zwischen Rechtekontrollsystemen und Wissens-Allmende, 22.09.2000, Kunstverein Hamburg, Klosterwall 23, Hamburg