"Wissenschaftlich fundierte Endzeitrhetorik"
Seite 2: Mit 3.000 Jahren Kulturgeschichte Schluss machen
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Damit wir dieses Zerstörungspotential nicht weiter missbrauchen – so fordern Sie – brauchen wir ein neues Naturverständnis. Was für ein Naturverständnis?
Philipp Blom: Es ist eigentlich kein neues, sondern ein sehr altes Naturverständnis. Um es mal ganz brutal zu sagen: Ich glaube, es ist an der Zeit, mit 3.000 Jahren Kulturgeschichte Schluss zu machen. Diese 3.000 Jahre sind geprägt von der gesellschaftlichen Ambition, die Natur zu dominieren. Dafür steht der biblische Satz: Macht euch die Erde untertan.
Davor war das menschliche Verhältnis zur Natur bildhaft durch eine Vielzahl von Göttern ausgedrückt. Was immer der Mensch tat, ob er in See stach oder einen neuen Acker bewirtschaftete, er musste sich mit den zuständigen Göttern arrangieren.
Im Grunde sagt das nichts anderes aus, als dass der Mensch Teil eines natürlichen Systems und in eine Vielzahl von Interessen verstrickt ist. Was immer Menschen taten, es hatte Auswirkungen auf andere Bereiche der Natur, die durch Götter und Dämonen verkörpert waren, und umgekehrt. Mit diesen Kräften galt es, einen Ausgleich zu finden.
Dann kam mit der Aufklärung die Wissenschaft …
Philipp Blom: Und das biblische Bewusstsein der Naturbeherrschung bekam ein säkulares Kleid. Die Idee der Welt- und Naturbeherrschung war während der Aufklärung sehr stark – was sich auch im Kolonialismus ausdrückte. Die Vorstellung, dass wir außerhalb der Natur stehen und die Natur kontrollieren sollen, bleibt bis heute prägend.
Pandemien und der Klimawandel zeigen jetzt aber: Das war eine bronzezeitliche Illusion, die mit einem Naturverständnis des 21. Jahrhunderts nicht mehr zu vereinen ist. Wir begreifen langsam, dass wir mitten in der Natur stehen, dass alles miteinander verbunden ist. Wir sind nur ein Teil eines Ganzen – und nicht einmal ein besonders wichtiger Teil: längst nicht so wichtig wie Plankton oder Ameisen zum Beispiel.
Woher kommt diese Erkenntnis?
Philipp Blom: Über die Sprache der Wissenschaft entdecken wir jetzt wieder, was wir früher intuitiv oder durch die Metapher von Gottheiten und Dämonen begriffen haben. Wir verstehen zum Beispiel, dass der menschliche Organismus im Schnitt mehr nicht-menschliche als menschliche Zellen in sich hat.
Weil er ein Mikrobiom in sich hat, welches nicht nur ein wenig bei der Verdauung hilft, sondern ein komplexes Kommunikationssystem im menschlichen Körper darstellt, das über verschiedenste Aspekte unserer Persönlichkeit, unserer Fähigkeiten und unseres Krankheitsgeschehens Einfluss hat.
In anderen Worten: Wir verstehen langsam, dass wir nicht die über der Natur erhabene Krone der Schöpfung sind, sondern dass wir Primaten sind, die aus bestimmten Gründen besonders erfolgreich wurden und nun dabei sind, den eigenen Erfolg durch Übererfolg umzukehren.
Die Natur wird es regulieren
In der Natur ist eigentlich alles darauf ausgerichtet, die Situation, wo eine Spezies über alle anderen dominiert, zu vermeiden. Sind wir ein Betriebsfehler der Evolution?
Philipp Blom: Naja, dieser Betriebsfehler dauerte bislang nur 70 Jahre oder, wenn wir großzügig sind, 500 Jahre. Für die Natur ist das kein ernstzunehmender Zeitraum. Sie wird das wieder regulieren. Die Bevölkerungsentwicklung, der Ressourcen- und der Energieverbrauch können nicht so weitergehen, wie sie es zurzeit tun. Und die Natur hat da eine relativ einfache Art, mit solchen überflorierenden Spezies umzugehen.
Sie vergleichen den industrialisierten Menschen mit Hefe. Was haben wir mit diesen Mikroorganismen gemeinsam?
Philipp Blom: Als Gesellschaften und Individuen sind wir zweifellos komplexer und aufregender als Hefepilze, wir hatten Platon, Marie Curie und Beethoven. Und doch verhalten wir uns als Spezies exakt wie Hefe, das heißt, wir fressen alles, was wir vorfinden, bis wir alle Ressourcen aufgebraucht haben und an den eigenen Ausscheidungen ersticken. Bei der Hefe genießen wir das Resultat des darauffolgenden Populationskollapses übrigens als Brot oder Wein.
Und es gibt wirklich nichts, was wir besser als die Hefepilze machen können?
Philipp Blom: Ehrlich gesagt, der Vergleich mit der Hefe ist für mich eine intellektuelle Beleidigung. Ich hatte gehofft, dass wir nach 300 Millionen Jahren Evolution ein bisschen was dazugelernt hätten. Ich habe den Gedanken einmal mit einer befreundeten Biologin besprochen und sie meinte, der Vergleich müsste ja eigentlich noch weitergehen, denn die Hefezellen, die den Kollaps überleben, ändern ihren Metabolismus, um in der neuen Umgebung leben zu können.
Als Menschen kommt es nun darauf an, dass wir unseren Metabolismus – also unsere Wirtschaft, unsere Kultur, unseren Lebensstandard – schon vor dem Kollaps ändern. Die große Frage der nächsten Jahrzehnte ist: Können wir unseren bereits Ressourcenverbrauch anpassen, bevor es zum großen Zusammenbruch kommt?
Können wir das?
Philipp Blom: In erster Linie hängt alles, was wir tun werden, an unserem Naturverständnis. Wenn wir uns wieder als Teil eines größeren Systems begreifen, werden wir lernen, auch ganz anders über Wirtschaft und Wohlstand zu denken. Die klassische Wirtschaftswissenschaft sprach über Rohstoffe, Kapital, Logistik, Investitionen, hat sich aber nie mit den natürlichen Grundlagen beschäftigt.
Sauberes Wasser, atembare Luft und Biodiversität haben in den Rechnungen der Ökonomen bislang keine Rolle gespielt. Der Prozess wurde immer außerhalb der Natur gedacht. Jetzt begreifen wir aber, dass sie der entscheidende Teil der Gleichung ist und wir sie in unsere Rechnungen miteinbeziehen müssen.
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