"Wissenschaftlich fundierte Endzeitrhetorik"
Seite 3: Corona-Pandemie: Verstörende Präsenz des Todes
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Ist die Angst vor dem Virus, und damit die Angst vor dem Tod, die in der Pandemie unser wirtschaftliches und soziales Leben lahmgelegt hat, möglicherweise auch ein Ausdruck dieses gestörten Verhältnisses zur Natur?
Philipp Blom: Ja, natürlich. Der Beherrschung der Natur gehört die Unterscheidung zwischen Natur und Kultur zugrunde. Die hat es auch möglich gemacht, zwischen verschiedenen Klassen von Menschen zu unterscheiden. Jene, die der Natur näherstanden, mussten im Namen der Zivilisation gezähmt und beherrscht werden. Diese Machtausübung macht Menschen aber auch einsam. Sie drängt außerdem den Tod an den Rand, der Tod ist nur noch ein weiteres Problem, das mit Technik gelöst oder wenigstens aufgeschoben werden kann.
Wie äußert sich das?
Philipp Blom: Etwa dadurch, dass Alte tendenziell am Rand der Gesellschaft leben; dass wir kaum noch Rituale haben, um mit dem Tod umzugehen; dass unsere ganze Werberhetorik davon ausgeht, dass wir ewig jung und ewig cool sind. Wir haben uns von der Akzeptanz der Zerbrechlichkeit des Lebens sehr entfernt.
Und nun kommt dieser Gevatter Tod, den wir eine Zeit lang erfolgreich weggesperrt hatten, plötzlich wieder um die Ecke und ist so stark präsent in unserem Alltag. Das entspricht nicht dem Anspruch der Beherrschbarkeit, der gewissermaßen ja auch immer ein Anspruch der Unsterblichkeit war.
Im letzten Jahrzehnt hat man den Eindruck haben können, jegliches politisches Handeln sei nur noch Krisenmanagement – jetzt mit Corona umso mehr. Ist es an der Zeit, dass die Politik wieder Visionen entwirft?
Philipp Blom: Visionen können etwas Wunderschönes sein, sie können aber auch das mit Abstand Todbringendste sein. Interessanter wäre für mich ein wissenschaftlicher Zugang: Wir wissen sehr viel über die artgerechte Haltung jeder Tierart, die uns bisher untergekommen ist – außer Homo Sapiens. Weil wir uns so ungern selbst als Tierart verstehen.
Wir haben uns über Jahrhunderte damit beschäftigt, Gesellschaftssysteme zu entwerfen, die wir für ideal halten, und haben dann versucht, die Menschen diesem Ideal anzupassen – anstatt es umgekehrt anzugehen. Wir wissen im Grunde nicht, was wir als Tierart brauchen, um einigermaßen friedlich und solidarisch miteinander leben zu können. Auf Grundlage dieses Wissens sollten politische Zukunftsentwürfe aber gestaltet werden.
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