Wissenschaftliche Sensation: Forscher erzeugen synthetischen Menschen-Embryo
Britische und israelische Wissenschaftler erzielen Durchbruch. Welche Erkenntnisse die Forschung liefern soll und welche ethischen Probleme bestehen.
Ab wann ist ein Mensch ein Mensch? Diese Frage stellt sich heute nicht ohne Grund. Der Mensch aus dem Reagenzglas ist keine Utopie mehr, sondern eine reale Möglichkeit, wie Wissenschaftler aus Großbritannien unter Beweis gestellt haben. Aus Stammzellen wollen sie einen menschlichen Embryo entwickelt haben. The Guardian berichtete kürzlich darüber.
Das Schaf Dolly war seinerzeit der populäre Beweis dafür, dass man Lebewesen klonen kann. Ist nun damit zu rechnen, dass Wissenschaftler als Nächstes Menschen klonen? Oder haben die britischen Wissenschaftler in ihrem Experiment bereits einen Menschen geklont?
Michele Boiani, Leiter der Arbeitsgruppe "Mouse Embryology" am Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin in Münster, kommentierte den Durchbruch der britischen Wissenschaftler:
Meiner Einschätzung als Mausbiologe zufolge handelt es sich bei den inzwischen beschriebenen Entitäten sogar nicht mehr nur um Embryonen, sondern biologisch betrachtet letztlich um Klone. Was bei den Experimenten bei der Maus und nun erstmals auch beim Menschen geschieht, ist letztlich eine Renaissance des Klonens von menschlichen Embryonen.
Michele Boiani
Die britische Studie hat noch nicht das Peer-Review-Verfahren durchlaufen und wurde noch nicht von unabhängigen Experten begutachtet. Sie wurde bislang nur auf der Preprint-Plattform bioRxiv veröffentlicht.
Ziel der Forschung
Die britischen Wissenschaftler standen auf diesem Gebiet im Wettbewerb mit Kollegen aus Israel. Kurz nach ihnen veröffentlichten auch die israelischen Forscher ähnliche Ergebnisse als Preprint. Auch sie haben ihre Forschung aus Mausembryonen auf menschliche Zellen übertragen.
Aus menschlichen Stammzellen erschufen beide Forschergruppen synthetische Embryonen. Den Angaben zufolge wiesen sie dieselben Eigenschaften und Strukturen auf, die ein Embryo knapp dreizehn bis 14 Tage nach der Befruchtung aufweist.
Menschliche Embryonen im Labor zu erzeugen, soll "der Erforschung früher zellulärer Entwicklungsprozesse dienen", schreibt die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ). Im besten Fall solle sie dazu beitragen, Fehlentwicklungen in der Embryogenese zu verhindern.
Grenzen der Forschung an synthetischen Embryonen
In vielen Ländern ist diese Forschung allerdings verboten, weil sie viele ethische Fragen aufwirft. In Großbritannien sei sie dagegen zulässig, heißt es in der FAZ weiter. Mit einer Einschränkung: Die aus Stammzellen erzeugten menschlichen Embryonen müssen nach spätestens 14 Tagen vernichtet werden.
Der Zeitraum, nach denen die Embryonen wieder vernichtet werden müssen, richtet sich maßgeblich nach einer Leitlinie der Internationalen Gesellschaft für Stammzellforschung (ISSCR) aus dem Jahr 2016. Ein Überschreiten der 14-Tage-Regel galt damals als "unzulässige Forschungsaktivität".
Im Jahr 2021 hat die ISSCR ihre internationalen Richtlinien jedoch angepasst. Embryonen, die durch künstliche Befruchtung oder aus Stammzellen erzeugt wurden, dürfen künftig länger als 14 Tage im Labor kultiviert werden. Forscher sollen Embryonen so lange im Labor kultivieren dürfen, wie es dem jeweiligen Forschungszweck dient – aber nur nach strenger Prüfung.
Warum die 14-Tage-Regel überschritten werden soll
Nils Hoppe, Professor für Ethik und Recht in den Lebenswissenschaften an der Leibniz Universität Hannover, erklärte die 14-Tage-Regel als einen Versuch, die Entwicklung eines menschlichen Embryos in zwei Phasen zu teilen. Dadurch könnten die Entwicklungsphasen moralisch und rechtlich unterschiedlich bewertet werden.
Vor der Entwicklung des primitiven Streifens um Tag 14 herum ist unklar, ob sich der Embryo zu einem Lebewesen entwickelt oder zu Mehrlingen. Daran geknüpft ist die Frage, ob es sich um eine potenzielle zukünftige Person oder mehrere handelt, und erst dann haben wir eine Kategorie, die sich normativ gut erfassen lässt.
Nils Hoppe
Dass der 14-Tage-Zeitraum überschritten wird, ist auch für Jesse Veenvliet, Leiter der Arbeitsgruppe Stembryogenese am Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik (CBG) in Dresden, von Fall zu Fall vertretbar. Denn noch immer ist nicht bekannt, ob sich ein Embryo richtig entwickelt, wenn er nicht "mütterliche Umgebung" fehlt.
Dies zu untersuchen, gebe Aufschluss über das Entwicklungspotenzial eines synthetischen Embryos. Und davon hänge auch der moralische Status des Objekts ab, etwa ob die "embryoähnlichen Struktur als dem Embryo ähnlich angesehen werden sollte".
Veenvliet sieht noch einen weiteren Grund, den 14-Tage-Zeitraum zu überschreiten:
Derzeit bleibt das eine Blackbox, was nach dem 14. Tag geschieht, wenn der Embryo beginnt, die Anlagen für zukünftige Organe aufzubauen. Es ist von entscheidender Bedeutung, einen Einblick in diese Phase zu bekommen, um zum Beispiel zu verstehen, warum viele Schwangerschaften in diesen Stadien scheitern.
Jesse Veenvliet
Auch Hoppe betonte, dass eine Kultivierung von Embryonen über den Tag 14 hinaus wichtige wissenschaftlichen Erkenntnisse bringen könnte. Dadurch könnten "bessere Methoden der Kinderwunschbehandlung" entwickelt werden. Auch ein besseres Verständnis über Entwicklungsstörungen während der Schwangerschaft sei dadurch möglich.
Empfohlener redaktioneller Inhalt
Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.