Wladimir von Arabien

Seite 2: Wladimir von Arabien – normaldeutsche Version

In Syrien war ich auch schon mal, lange her. Damaskus war eine moderne Stadt mit einem mediterranen Flair, und sie war in der Antike schon längst eine Metropole, als die Germanen noch in den Bäumen wohnten. Ich habe aber nicht viel vom Land mitbekommen, weil ein Syrer mich zu sich eingeladen hatte und wir tagelang nichts anderes taten, als uns pausenlos zu besaufen und zu bekiffen.

Jedenfalls durften Syrerinnen ab der Unabhängigkeit 1949 wählen, vier Jahre, nachdem die Französinnen dieses Recht erhalten hatten – vor der Unabhängigkeit durften in Syrien weder Männer noch Frauen wählen, das hat die Kolonialmacht Frankreich nicht zugelassen. Als ich da war, war die Gleichberechtigung der Frauen unter der sozialistischen Baath-Partei ziemlich weit fortgeschritten, und Religion war kein Thema. Eine Demokratie war es aber wahrlich nicht, Hafiz al-Assad kannte gegenüber seinen Feinden keine Gnade.

Hafiz hatte seinen ältesten Sohn, einen Mann fürs Grobe, als seinen Erben für die Macht auserkoren, dieser starb aber an einem Autounfall, und so wurde der jüngere Bruder, der Augenarzt Baschar al-Assad aus England gerufen, um das Land zu regieren. Er kam mit seiner wunderschönen und höchst sympathischen britisch-syrischen Frau Asma nach Syrien, beide wollten aus dem Land eine moderne Demokratie nach westlichen Vorbild machen.

Asma reiste sogar incognito durch das Land, um den Bedürfnissen und Sehnsüchten der Bevölkerung nachzuspüren, und Baschar ließ tausende politische Gefangene frei. Das Jahr 2011 war aber mitten im Arabischen Frühling, und nicht nur Demokratie-Aktivisten, sondern auch religiöse Bewegungen witterten Morgenluft, es gab Proteste und auf die Protestierenden wurde geschossen. Ob Baschar selber den Befehl gab, freiwillig oder unter dem Druck des Assad-Systems, oder ob er gar nicht an der Entscheidung beteiligt war, ist nicht bekannt.

Jedenfalls entflammte in kürzester Zeit ein Bürgerkrieg, bei dem demokratische Kräfte, aber auch kurdische und islamistische Gruppierungen, vor allem vom Freund des Westens Saudi-Arabien finanziert, gegen die Regierung oder gegeneinander kämpften. Und Assad tat, was jede Regierung in so einem Fall tut: Er versuchte, die territoriale Integrität zu erhalten.

Anständige Kriege gibt es nicht mehr

Es gab dann Berichte über Giftgasattacken. Den Beweis für einen Täter gab es nicht. Die westlichen Länder waren überzeugt, wie nicht anders zu erwarten, dass Assad schuld war, weil das Gift aus syrischen Beständen stammte, aber wenn der Großteil des Landes in Händen von Rebellen war, kann jeder dazu Zugang gehabt haben.

Russland argumentierte, es ist unlogisch, dass Syrien genau das tun würde, was die Amerikaner die "rote Linie überschreiten" nannten – was für ein Interesse hätte Assad, den größten Feind im eigenen Land zu haben und die Verachtung der internationalen Gemeinschaft auf sich zu ziehen? Ja, mir schien das auch unlogisch, auch wenn natürlich nicht unmöglich.

Die westlichen Medien wiederholten es pausenlos, Assad möchte seine eigene Bevölkerung ausrotten, was eine grenzenlose Absurdität ist. Wenn ein Herrscher keine Untertanen mehr hat, ist er kein Herrscher mehr, sondern ein Eremit. Da bringt ihm keiner mehr die Pistazien. Ein Herrscher ist so mächtig wie sein Land, und kein Herrscher will sein Land zerstören, weil kein Herrscher an Macht verlieren will. Zerstört wird trotzdem, weil das der Preis des Krieges ist.

Bis ins 19. Jahrhundert gingen die Soldaten ordentlich und geschniegelt auf eine Wiese und schlachteten sich gegenseitig ab, die zivile Bevölkerung blieb weitgehend verschont. Diese Zeiten sind leider längst vorbei.

Als die vom Westen unterstützten irakischen Truppen Städte bombardierten und plattmachten, um dem IS den Garaus zu machen, war das der Preis, den man zahlen muss, um die Terroristen loszuwerden. In Syrien war genau die gleiche Situation, da meinte der Westen aber, schuld ist der Massenmörder Assad und sonst niemand.

Dabei kämpften Assad, seine Familie und sein System ums Überleben; man wusste schon, was man verliert, wenn man verliert: den eigenen Kopf, den seiner Kinder, Tanten und Freunde. Saddam musste es erfahren, Gaddafi musste es erfahren. Aber auch die Frauen würden zu den großen Verlierern gehören, wie man heute in Afghanistan sieht. Dazu Christen, und die meisten Muslime, die nicht so denken wie zum Beispiel die IS-Kämpfer.

Wie viele Menschen in Afghanistan und dem Irak getötet wurden, weiß man nicht genau, es könnten aber locker über eine halbe Million gewesen sein. George W. Bush kritisierte neulich Putin in einer Rede, und sprach von der "brutalen und ungerechtfertigten Invasion im Irak – ich meine, in der Ukraine." Europäische Zeitungen mögen George W. Bush für seine Politik kritisiert haben, aber vom "brutalen Mörder" George W. Bush war in westlichen Zeitungen nie die Rede. Kann man einfach nicht bringen.

Der Freund des Feindes

Der Westen mag ein gewisses Verständnis für Regierungen wie Saudi-Arabien zeigen, die Kriege im Ausland finanzieren, oder für China, das wahrscheinlich mehr Leute hinrichtet als der Rest der Welt zusammen, weil man gute Geschäfte mit ihnen machen kann. Aber Assad wird von Russland unterstützt, vom falschen Land, vom falschen Mann, also kann er nur ein brutaler Mörder sein.

Und die westlichen Medien mögen ihre eigenen Regierungen in der Innenpolitik kritisieren, aber in den internationalen Beziehungen reflektieren sie gerne die Sichtweise ihrer Regierungen – wir halten zusammen! Ziemlich alle amerikanischen Medien unterstützten Bush im Irak-Krieg, ziemlich alle schwören, der Irak hat Massenvernichtungswaffen.

Wie man Freunde sieht, wie man Feinde sieht: Ein Mensch, von dem man in der Zeitung liest, er hat andere Leute umgebracht, ist ein brutaler Mörder, während ein Mensch in der Familie oder im Freundeskreis, der zu einem Mörder wurde, "plötzlich spinnt". Man spart nicht mit den schlimmsten Adjektiven gegenüber Feinden und Fremden, bei Freunden sind es Schönheitsfehler.

Jedenfalls war Syrien seit Langem ein Freund von Russland, und Assad bat Putin um Hilfe. Normalerweise ist das ein Zeichen von gutem Charakter und Treue, wenn man dem Freund hilft, aber er hat dem bösen Assad geholfen, der unser Feind ist, weil er Putins Freund ist. Also hat er einen miesen Charakter.

Wir, der Westen, sind die Guten, und unsere Feinde sind die Bösen. Die westlichen Medien sagen es fast mit jedem Satz, und wir schlucken es gerne. Irren ist menschlich, die Schuld beim Anderen zu suchen noch menschlicher. Wir die Guten, sie die Bösen. Mit dem Satz fängt jeder Krieg an.

Durch Putins Aktionen sind viele tausend Menschen umgekommen, auch weil er so lange an der Macht ist. Aber er hat den Krieg nicht erfunden. Blut klebt an den Händen von vielen Staatsmännern, sogar von vielen, die wir bewundern. Ja, ich bin ein Whataboutist, ich stelle Vergleiche an. Ohne Vergleiche wären Denken und Sprache unmöglich, und wer Vergleiche verbieten will, will eigentlich das Denken verbieten. Wenn man Hass bei den Leuten produzieren will, ist ihr Denken kontraproduktiv.

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