Wo Islam Grundgesetztreue heißt

Seite 2: Schon länger Teil Deutschlands als die Bundesrepublik

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Auch Aniq Ahmed kennt die Jalsa schon sein ganzes Leben lang. "Als Kinder durften wir den ganzen Tag allein herumlaufen und Wasser an die älteren Herren verteilen. Da waren wir ziemlich stolz darauf", sagt der 26-Jährige aus dem hessischen Reinheim. Nach der Jalsa wirbt der Imam wieder für seine Interpretation des Islam:

Wir versuchen Vorurteile abzubauen und den Leuten zu zeigen, dass wir friedliche Menschen sind. Wir haben eine Hotline, da können Menschen uns 24 Stunden mit ihren Fragen anrufen und mit uns in Dialog treten.

Imam der Ahmadiyya Muslim Jamaat

Neben "Frieden" ist "Dialog" gefühlt das zweit meist verwendete Wort auf der Jalsa. Dass sich dahinter keine leere Floskel verbirgt, wird spätestens am dritten Tag der Veranstaltung deutlich. Nach Politikern von SPD und Linken nimmt Volker Münz auf der riesigen Bühne Platz. Der religionspolitische Sprecher der AfD im Bundestag bekräftigt immer wieder, dass für ihn der Islam keinen Platz in Deutschland habe. Seine Vorsitzende, Alice Weidel, forderte sogar schon einmal, die Ahmadiyya zu verbieten.

Dabei verdeutlicht keine andere islamische Gruppierung in Deutschland so gut, wie absurd die Frage nach der Zusammengehörigkeit von Islam und Deutschland ist. Die Geschichte der Ahmadiyya reicht nicht nur weiter zurück als die jeder anderen islamischen Gruppierung in Deutschland, mit fast 100 Jahren ist sie älter als die Bundesrepublik selbst.

"Wir sind alle Deutschland" Aniq Ahmed. Bild: Fabian Goldmann

Die älteste noch erhaltene Moschee in Deutschlands, die 1924 gebaute Wilmersdorf Moschee in Berlin, stammt ebenso von Ahmadis wie die erste deutsche Koranübersetzung aus muslimischer Hand und die erste islamische Zeitung in Deutschland.

Islamische Schönheitskur für Deutschland

Mit 53 Minarett-Moscheen wurde fast jedes drittes repräsentatives islamisches Gebetshaus in Deutschland von den Ahmadis gebaut und das obwohl die Gemeinde kaum ein Prozent der deutschen Muslime stellt. Dass es dabei nicht bleiben soll, zeigt die Moschee-Ausstellung der Jalsa. Acht weitere Ahmadiyya-Moscheen sind derzeit in Deutschland im Bau. Für weitere zehn sind die Grundstücke gekauft. Mittelfristig sollen es 100 werden.

Die Gemeinde brauche eben Platz zum Beten, erklärt Abdullah Uwe Wagishauser. "Warum nicht ein adäquates Gebäude, das man auch als Moschee erkennt?" Wagishauser ist der Vorsitzende der deutschen Ahmadiyya-Gemeinde. "Islam heißt für uns, loyal zu dem Land zu stehen, unter dessen wohl behütetem Dach man lebt und dieses Land eben schöner zu machen. Wir glauben, dass mit dem Islam vieles schöner werden könnte", erklärt er.

"Wir sind alle Deutschland" Abdullah Wagishauser, der Vorsitzende der deutschen Ahmadiyya-Gemeinde. Foto: Fabian Goldmann

Die islamische Verschönerung Deutschlands beschränkt sich nicht auf den Moscheebau. So offensiv wie keine andere islamische Strömung streiten junge Ahmadis mit öffentlichkeitswirksamen Slogans wie "Liebe für alle, Hass für keinen" überall dort für einen gewaltfreien Islam, wo andere ihn infrage stellen: am Berliner Breitscheidplatz, in Chemnitz, in Fußgängerzonen und auf Facebook.

In ihrem Veranstaltungskalender gibt es kaum eine Woche, in der sie nicht irgendwo für Frieden und Demokratie einsetzen: Bäume pflanzen für Frieden. Benefizlauf für Frieden. Neujahrsputz für Frieden. Flüchtlingshilfe für Frieden. Obdachlosenhilfe für Frieden. Ist das nicht etwas zu viel der Imagearbeit?

Keine andere islamische Religionsgemeinschaft genießt so viel Anerkennung

"Was heißt hier Image?", fragt Wagishauser. "Viele unserer Leute, die nach Deutschland kamen, wertschätzen diese Freiheiten, die sie hier haben. Wenn sie in einem Land aufgewachsen sind, das kein Grundgesetz und keine demokratischen Staatsinstitutionen hat, ist das eine ehrliche Wertschätzung."

Diese Wertschätzung basiert auf Gegenseitigkeit. Keine islamische Gruppierung in Deutschland hat in Fragen der Anerkennung in den letzten Jahren solche Fortschritte gemacht wie die Anhänger Ahmads. Als einzige islamische Religionsgemeinschaft genießt sie in Hessen und Hamburg den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, hat also die gleichen Rechte wie christliche Kirchen.

In Hessen kümmert sie sich außerdem um die Ausrichtung des islamischen Religionsunterrichts. Wenn Politiker Beispiele für gut integrierte Muslime oder Beweise dafür suchen, dass Islam und Grundgesetz bestens zu einander passen, landen sie meist bei den Ahmadis.

Aber so zeitgemäß sich den Ahmadis auch geben, nicht in allen Bereichen kann ihre Theologie mit dem gesellschaftlichen Wandel schritthalten. Dass Frauen und Männer auch in Karlsruhe in getrennten Hallen beten, findet die Vorsitzende der Frauenorganisation der Ahmadiyya Khola Marjam Hübsch nicht problematisch.

"Auf der Frauen-Seite ist das ein Safe Space. Man betet gemeinsam, die Mäntel und Kopftücher werden ausgezogen, man ist unter sich, völlig entspannt", erklärt Hübsch und erzählt die Anekdote von einem Musikfestival in Dänemark: "Das war total aus dem Ruder gelaufen und infolgedessen hatten in diesem Jahr Männer keinen Zutritt. Frauen haben danach erzählt, wie es war: entspannt, offen, es gab nicht ständig diese Flirt-Situationen. So ist es auf der Jalsa auch."