Wo die Kritiker der globalen Energiewende falsch liegen

Seite 2: Interessen der fossilen Brennstoffindustrie müssen niedergerungen werden

Die wirtschaftlichen Aspekte der globalen Erwärmung und der globalen Klimastabilisierung sind nicht schwierig zu erfassen. In der Tat hat sich ein breiter Konsens über die wirtschaftlichen Auswirkungen der globalen Erwärmung herauskristallisiert, auch wenn sich die Wirtschaftswissenschaftler nicht einig sind, welche Lösungen am besten geeignet sind, um die Kohlenstoffemissionen deutlich zu reduzieren. Warum ist es so schwierig, tragfähige klimapolitische Maßnahmen selbst auf nationaler, geschweige denn auf globaler Ebene umzusetzen?

Robert Pollin: Beginnen wir mit dem offensichtlichsten Hindernis für die Durchsetzung einer tragfähigen Klimapolitik, nämlich dem unerbittlichen Widerstand der Unternehmen, die fossile Brennstoffe herstellen. Damit meine ich sowohl die privaten Unternehmen wie ExxonMobil und Royal Dutch Shell als auch die staatlichen Konzerne wie Saudi Aramco, Gazprom in Russland und Petrobras in Brasilien.

Nehmen wir an, wir arbeiten mit dem vom Zwischenstaatlichen Ausschuss für Klimaänderungen (IPCC, Weltklimarat) festgelegten Ziel, die globale Durchschnittstemperatur auf höchstens 1,5 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau zu stabilisieren. Innerhalb dieses Rahmens zeigen die jüngsten sorgfältigen Untersuchungen von Tyler Hansen, dass sich das Gesamtvermögen dieser Unternehmen an fossilen Brennstoffen, die nicht verbrannt werden können – d.h. die nicht zur Energieerzeugung verbrannt werden können, wenn die Welt eine Chance hat, das Stabilisierungsziel von 1,5 Grad zu erreichen – auf 13 bis 15 Billionen Dollar beläuft.

Von dieser Gesamtsumme befinden sich etwa 75 Prozent dieser fossilen Brennstoffe, d. h. etwa zehn bis elf Billionen Dollar, im Besitz von öffentlichen nationalen Unternehmen, während die restlichen drei bis fünf Billionen Dollar privaten Unternehmen gehören. Es sollte uns nicht überraschen, dass die fossilen Brennstoff-Unternehmen mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln kämpfen, um weiterhin üppig vom Verkauf des noch im Boden befindlichen Öls, der Kohle und des Erdgases zu profitieren. Sie wollen nichts hören davon, dass sie 15 Billionen Dollar an Vermögenswerten nicht mehr antasten dürfen.

Es stimmt, dass die staatlichen Unternehmen, die etwa 90 Prozent der weltweiten Reserven an fossilen Brennstoffen kontrollieren, nicht mit denselben Gewinnzwängen arbeiten wie die großen privaten Energiekonzerne. Das bedeutet jedoch nicht, dass sie bereit sind, sich im Kampf gegen den Klimawandel zu engagieren, nur weil es ihr erklärtes Ziel ist, der Öffentlichkeit und nicht den privaten Aktionären zu dienen, und weil wir, die Öffentlichkeit, vor einem globalen ökologischen Notfall stehen.

Genau wie bei den privaten Unternehmen bringen die Produktion und der Verkauf von Energie aus fossilen Brennstoffen diesen Unternehmen in öffentlichem Besitz enorme Einnahmen. Nationale Entwicklungsprojekte, lukrative Karrieren und politische Macht hängen alle von der Fortsetzung der großen Einnahmen aus fossilen Brennstoffen ab.

Insgesamt führt also kein Weg daran vorbei, dass die Interessen dieser Unternehmen für fossile Brennstoffe niedergerungen werden müssen. Das wird natürlich nicht leicht zu erreichen sein. Wir sehen das in den USA, wo Senator Joe Manchin aus West Virginia alles tut, um selbst die minimalen Klimabestimmungen von Bidens Programm Build Back Better zu killen.

Manchin selbst hat in seinem Bundesstaat eine eigene Kohlevermarktungsfirma gegründet und kassiert weiterhin große Gewinne. Wir sehen das auch auf globaler Ebene an eindringlichen Warnungen vor drohenden Energieengpässen, wenn die Investitionen in den Ausbau der Versorgung mit fossilen Brennstoffen nicht erhöht werden.

Es ist aber auch wichtig zu erkennen, dass die fossile Brennstoffindustrie nicht das einzige Hindernis für ein tragfähiges globales Klimastabilisierungsprojekt ist. Es gibt auch die Trägheit, die eine Rolle spielt. Wir stehen vor der Herausforderung, eine neue globale Energieinfrastruktur auf der Grundlage hocheffizienter und sauberer erneuerbarer Energien aufzubauen und gleichzeitig unsere bestehende, von fossilen Brennstoffen dominierte Energieinfrastruktur schrittweise abzubauen.

Es ist ein schwieriges Projekt, selbst unter sehr guten Umständen – einmal abgesehen von den Machenschaften der fossilen Industrien. Ich habe das selbst erfahren, zum Beispiel bei unserem Projekt an meiner Universität in Amherst, bei dem wir das erste emissionsfreie Bürogebäude im Westen von Massachusetts gebaut haben, in dem nun die Wirtschaftsabteilung untergebracht ist. Es gibt viele neue Vorgehensweisen, die erlernt werden müssen, was die Technik, die Verwendung von Materialien und die Entwicklung neuer Fähigkeiten der Arbeiter angeht. Außerdem müssen die Menschen effektiv zusammenarbeiten.

Es gibt auch die absolut kritische Frage des "gerechten Übergangs" für Arbeitnehmer und Kommunen, deren Lebensunterhalt derzeit von der fossilen Brennstoffindustrie abhängt. Meiner Meinung nach muss ein gerechter Übergang im Mittelpunkt eines jeden globalen Green-New-Deal-Projekts stehen. Es lässt sich nicht leugnen, dass einige Arbeitnehmer und Gemeinden auf der ganzen Welt bei der Umstellung auf saubere Energie die Verlierer sein werden.

Damit das globale Projekt für saubere Energie erfolgreich sein kann, muss es eine angemessene Übergangsunterstützung für diese Gruppen bieten. Das ist eine schlichte Frage der Gerechtigkeit, aber auch eine Frage der strategischen Politik. Ohne derartige Anpassungshilfeprogramme, die in großem Umfang durchgeführt werden, werden die diejenigen, die von dem Investitionsprojekt für saubere Energie betroffen sind, absehbar und verständlicherweise kämpfen, um ihre Gemeinden und ihren Lebensunterhalt zu verteidigen. Das wiederum wird zu inakzeptablen Verzögerungen bei der Umsetzung einer wirksamen Klimastabilisierungspolitik führen.

Meine Mitarbeiter und ich haben die Kosten eines voll entfalteten, großzügig bemessenen Programms für einen gerechten Übergang für alle Arbeitnehmer in den Vereinigten Staaten, die derzeit in der fossilen Brennstoffindustrie und den dazugehörigen Branchen beschäftigt sind, geschätzt – wobei wir davon ausgehen, dass die gesamte Produktion fossiler Brennstoffe bis 2050 eingestellt wird.

Dieses Programm würde eine Wiedereinstellungsgarantie mit Löhnen, die mindestens dem aktuellen Lohn entsprechen, sowie Rentengarantien und bei Bedarf Unterstützung bei Umschulung und Umzug beinhalten. Wir schätzen die Gesamtkosten auf durchschnittlich drei Milliarden Dollar pro Jahr. Dies entspräche etwa 1/100 eines Prozents (0,01 Prozent) des durchschnittlichen BIP der USA bis 2050.

Mit anderen Worten, was die Finanzierung betrifft, wäre es eine triviale Angelegenheit, diese Art von gerechtem Übergangsprogramm überall in den USA zu etablieren.

Tatsächlich finden in Kalifornien gerade jetzt bahnbrechende Entwicklungen statt, um ein Programm für einen gerechten Übergang in diesem Bundesstaat voranzutreiben. Die Bewegung wird von visionären Gewerkschaftsführern dort angeführt, darunter auch von führenden Vertretern der Gewerkschaft der Ölraffineriearbeiter des Bundesstaates. Einer dieser Führer, Norman Rogers, Vizepräsident der United Steelworkers Local 675, schrieb kürzlich in der Los Angeles Times, dass,

Die Energiewende ist zwar unvermeidlich, aber eine gerechte Version ist es nicht. Die Arbeitnehmer wissen, was passiert, wenn ganze Branchen verschwinden: Unternehmen tricksen uns aus, quetschen das letzte Quäntchen Arbeit aus einem sterbenden Autowerk, Stahlwerk oder einer Kohlemine heraus und schließen sie über Nacht, was verheerende Auswirkungen auf die Kommunen hat und die Arbeitnehmer um ihre Arbeitsplätze, Renten und Gesundheitsversorgung bringt. Die Angst vor dem Verlust von Arbeitsplätzen ohne einen Plan für den Zeitpunkt des Auslaufens der Betriebe ist berechtigt.

Rogers betont, dass "viele von einem 'gerechten Übergang' sprechen, aber wir haben noch nie einen gesehen. Kein Arbeitnehmer, keine Gemeinde wird jemals glauben, dass ein gerechter Übergang möglich ist, solange wir keine detaillierten, vollständig finanzierten staatlichen Sicherheitsnetz- und Arbeitsbeschaffungsprogramme sehen." Er ist jedoch optimistisch:

Mit einem vollständig finanzierten Plan für einen gerechten Übergang – der den unmittelbaren Bedarf an einem Sicherheitsnetz für Arbeitnehmer und Gemeinden deckt und eine kühne Vision für die Umstrukturierung unserer Wirtschaft bietet – können wir den Aufschwung beschleunigen und Kaliforniens Arbeitnehmer, Gemeinden und den Planeten in eine sicherere Zukunft führen.

Die Verabschiedung eines soliden Programms für einen gerechten Übergang in Kalifornien, das von den Gewerkschaften, einschließlich der Gewerkschaften der fossilen Brennstoffindustrie, angeführt wird, wird auch ein Modell für vergleichbare Maßnahmen in den gesamten USA und weltweit darstellen. Die Unterstützung solcher Initiativen sollte daher als absolute Priorität für die USA und die globale Klimabewegung verstanden werden.

Robert Pollin ist Co-Direktor des Political Economy Research Institute an der University of Massachusetts-Amherst und einer der weltweit führenden progressiven Wirtschaftswissenschaftler. Er entwickelte eine Reihe von "Green Growth Programs" und hat zahlreiche Bücher und wissenschaftliche Artikel über Makroökonomie, Arbeitsmärkte sowie Umwelt- und Energiewirtschaft veröffentlicht. Pollin wurde 2013 vom Foreign Policy Magazine zu einem der hundert führenden globalen Denker gewählt. Zusammen mit Noam Chomsky veröffentlichte er 2020 das Buch: "Climate Crisis and the Global Green New Deal: The Political Economy of Saving the Planet" (2020).

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