Wo die Kritiker der globalen Energiewende falsch liegen

Die aktuelle fossile Energiekrise legt offen, welche Energien unerschwinglich sind und welche eine Zukunft haben. Bild: Gerhard Mester / SFV-Lizenz

Robert Pollin sagt: Atomkraft und Geo-Engeneering können keinen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz beisteuern. Und wie sieht es mit Flächenbedarf, Energiespeichern und sozialer Gerechtigkeit beim Übergang auf 100 Prozent Erneuerbare aus?

Das Interview mit dem Klimaökonomen Robert Pollin führt der Politikwissenschaftler C.J. Polychroniou. Es erscheint in Kooperation mit der US-Nachrichtenseite Truthout. Übersetzung: David Goeßmann.

Robert Pollin ist Co-Direktor des Political Economy Research Institute an der University of Massachusetts-Amherst. Er ist einer der weltweit führenden progressiven Wirtschaftswissenschaftler und Klimaökonomen.

Die Argumente für den Einsatz negativer Emissionstechnologien, wie z. B. die direkte Luftabscheidung und die Bioenergie mit Kohlenstoffabscheidung und -speicherung, gewinnen heute trotz ihrer technologischen Unreife an Boden. Das Gleiche gilt für Kernkraftwerke und sogar für Geo-Engineering, obwohl sie mit Risiken behaftet sind. Welche Rolle können solche Strategien bei den Bemühungen um einen vollständigen Ausstieg aus der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen spielen?

Robert Pollin: Weder Technologien mit negativen Emissionen noch die Kernkraft können wahrscheinlich einen wesentlichen Beitrag zum Aufbau einer alternativen globalen sauberen Energieinfrastruktur leisten. Es ist sogar wahrscheinlicher, dass sie noch größere Probleme verursachen werden.

Beginnen wir mit der Kernenergie. Sie hat den großen Vorteil, dass sie Strom erzeugt, ohne CO2-Emissionen zu produzieren. Aber die Kernenergie schafft auch große Probleme hinsichtlich der Umwelt und der öffentlichen Sicherheit, die sich nach der Kernschmelze im japanischen Kraftwerk Fukushima im März 2011 und noch mehr nach der Übernahme der Kontrolle über die Kernkraftwerke Tschernobyl und Saporischschja durch Russland in der Anfangsphase der Invasion in der Ukraine vor sechs Monaten noch verstärkt haben.

Robert Pollin ist Co-Direktor des Political Economy Research Institute an der University in Amherst, USA.

Die Nuklearkatastrophen in Tschernobyl und Saporischschja wurden sofort zur aktiven Bedrohung. Gerade in den letzten Monaten wurde das Kernkraftwerk Saporischschja intensiv belagert. So erklärte der Generaldirektor der Internationalen Atomenergiebehörde Rafael Grossi am 3. August, dass die Bedingungen in Saporischschja "völlig außer Kontrolle" seien und "das sehr reale Risiko einer nuklearen Katastrophe" bestünde. Mitte August beschrieb die BBC "die wachsende Besorgnis über die Sicherheit am Standort ..., da sich beide Seiten gegenseitig beschuldigen, das Gebiet zu beschießen". Der BBC-Artikel zitiert die Warnung von UN-Generalsekretär António Guterres, dass "jeder potenzielle Schaden in Saporischschja Selbstmord wäre".

Negative Emissionstechnologien umfassen eine Reihe von Maßnahmen, deren Ziel es ist, entweder vorhandenes CO2 zu entfernen oder abkühlende Mechanismen in der Atmosphäre zu verstärken, um den aufheizenden Effekten von Kohlendioxid und anderen Treibhausgasen entgegenzuwirken. Zu den sogenannten Abscheidungstechnologien gehört die Kohlenstoffabscheidung und -sequestrierung. Eine Kategorie von Kühlungstechnologien ist die Injektion von stratosphärischen Aerosolen.

Die Technologien zur Kohlenstoffabscheidung zielen darauf ab, den emittierten Kohlenstoff aus der Atmosphäre zu entfernen und ihn, in der Regel durch Pipelines, in unterirdische geologische Formationen zu transportieren, wo er dauerhaft gelagert werden soll.

Die Kohlenstoffabscheidungstechnologien haben sich trotz jahrzehntelanger Bemühungen noch nicht im kommerziellen Maßstab bewährt. Die Kohlenstoffabscheidung wäre nur dann eine Lösung für die Öl-, Kohle- und Erdgasindustrie, wenn die Technologie in großem Maßstab kommerziell genutzt werden kann.

Doch selbst wenn es gelänge, Kohlenstoff zu vertretbaren Kosten abzuscheiden, wäre die Technologie immer noch mit der Gefahr von Kohlenstofflecks konfrontiert, die bei mangelhaften Transport- und Speichersystemen entstehen würden. Diese Gefahren werden nur in dem Maße zunehmen, in dem die Kohlenstoffabscheidung kommerzialisiert wird und einer Anreizstruktur unterliegt, bei der die Einhaltung von Sicherheitsstandards die Unternehmensgewinne schmälert.

Die Idee der stratosphärischen Aerosol-Einbringung beruht auf den Ergebnissen des Vulkanausbruchs des Mount Pinatubo auf den Philippinen im Jahr 1991. Der Ausbruch führte zu einem massiven Ausstoß von Asche und Gas, die Sulfatpartikel oder Aerosole erzeugte, die dann in die Stratosphäre aufstiegen. Die Folge war eine Abkühlung der Durchschnittstemperatur der Erde um etwa 0,6 Grad Celsius über 15 Monaten.

Die Technologien, an denen jetzt geforscht wird, zielen darauf ab, die Auswirkungen des Ausbruchs des Mount Pinatubo künstlich zu reproduzieren, indem Sulfatpartikel absichtlich in die Stratosphäre eingeleitet werden. Einige Forscher sind der Ansicht, dass das eine kosteneffiziente Methode wäre, um den Erwärmungseffekten von CO2 und anderen Treibhausgasen entgegenzuwirken.

Dass die Einbringung von Aerosolen in die Stratosphäre eine Lösung für das Problem des Klimawandels darstellt, wurde jedoch wiederholt von führenden Forschern auf diesem Gebiet widerlegt. Der Klimawissenschaftler Raymond Pierrehumbert von der Universität Oxford, der maßgeblich an verschiedenen IPCC-Studien mitgewirkt hat, weist in seinem 2019 veröffentlichten Papier "There is No Plan B for Dealing with the Climate Crisis" nachdrücklich darauf hin, dass diese Art von Geo-Engineering – das er als "Albedo-Hacking" bezeichnet – keine praktikable Lösung für die Klimakrise darstellt. Pierrehumbert schreibt:

Das überschüssige Kohlendioxid, das der Mensch in die Atmosphäre einbringt, hat einen Erwärmungseffekt, der praktisch ewig anhält, während die stratosphärischen Aerosole, die diese Erwärmung ausgleichen sollen, nach etwa einem Jahr wieder aus der Atmosphäre fallen. Es ist nur eine Frage der Schwerkraft – Dinge, die dichter sind als ihre Umgebung, fallen – und werden durch atmosphärische Zirkulationen, die den Abtransport verstärken, ein wenig unterstützt. Das ist der Grund, warum die kühlende Wirkung selbst eines großen Vulkanausbruchs wie des Pinatubo nach etwa zwei Jahren verpufft. Daher muss der Albedo-Abbau, der notwendig ist, um eine gefährliche Erwärmung zu vermeiden, im Wesentlichen für immer fortgesetzt werden.

Pierrehumbert schreibt weiter:

Wir wissen einfach nicht, wie das Klima auf diese neuartigen Einflüsse reagieren wird, oder wie unsere sozialen und politischen Systeme auf diese störenden und möglicherweise unkontrollierbaren Technologien reagieren werden.

Kritiker der erneuerbaren Energien argumentieren, dass Wind- und Solarenergie aufgrund ihrer Unbeständigkeit keine zuverlässigen Energiequellen sind. Andere argumentieren, dass Windparks in die unberührte Umwelt eingreifen und den natürlichen Lebensraum eines Landes zerstören, wie es bei der Installation von Tausenden von Windturbinen auf zahlreichen griechischen Inseln in der Ägäis der Fall ist. Wie würden Sie auf solche Bedenken reagieren, und gibt es Möglichkeiten, sie zu umgehen?

Robert Pollin: Beim Aufbau einer globalen Energieinfrastruktur, die von hocheffizienten, erneuerbaren Energien dominiert wird, stellen sich drei große Herausforderungen. Dazu gehören die beiden von Ihnen genannten, d. h. 1) die Unterbrechungen bei der Sonnen- und Windenergie und 2) die Anforderungen an die Flächennutzung für erneuerbare Energien, insbesondere für Sonnen- und Windenergie. Die dritte große Herausforderung ist der hohe Bedarf an mineralischen Rohstoffen für die saubere Energieinfrastruktur. Aus Platzgründen werde ich mich nur auf die ersten beiden konzentrieren.

Intermittenz bedeutet, dass die Sonne nicht 24 Stunden am Tag scheint und der Wind nicht 24 Stunden am Tag weht. Außerdem ist die durchschnittliche Sonnen- und Windhäufigkeit in den verschiedenen geografischen Gebieten sehr unterschiedlich. Daher muss die in den sonnigeren und windreicheren Gebieten der Erde erzeugte Sonnen- und Windenergie gespeichert und zu angemessenen Kosten in die weniger sonnigen und windreichen Gebiete übertragen werden.

Tatsächlich werden diese Fragen der Übertragung und Speicherung von Wind- und Sonnenenergie erst viele Jahre nach der Umstellung auf saubere Energie dringlich werden, und dann wahrscheinlich mindestens ein Jahrzehnt lang andauern. Der Grund dafür ist, dass fossile Brennstoffe und Kernenergie weiterhin eine Grundlast der nicht intermittierenden Energieversorgung liefern werden, während diese Energiesektoren auslaufen und die saubere Energieindustrie rasch expandiert.

Fossile Brennstoffe und Kernenergie liefern derzeit etwa 85 Prozent der gesamten weltweiten Energieversorgung. Selbst bei einem schrittweisen Ausstieg bis 2050 werden fossile Brennstoffe bis etwa 2035 weiterhin den größten Teil des gesamten Energiebedarfs decken. In der Zwischenzeit dürften tragfähige Lösungen für die technischen Herausforderungen bei der Übertragung und Speicherung von Solar- und Windenergie – auch im Hinblick auf die Erschwinglichkeit – nicht mehr als ein Jahrzehnt entfernt sein, zumindest solange der Markt für saubere Energie mit der erforderlichen Geschwindigkeit wächst. So schätzt die Internationale Agentur für erneuerbare Energien (IRENA), dass die weltweite Batteriespeicherkapazität bis zum Jahr 2030 um das 17- bis 38-fache steigen könnte.

Die Frage der Flächennutzung wird häufig angeführt, um zu zeigen, dass der Aufbau einer globalen Wirtschaft mit 100 Prozent erneuerbaren Energien unrealistisch ist. Diese Behauptungen werden jedoch nicht durch Beweise gestützt. So zeigt die Physikerin der Harvard University Mara Prentiss in ihrem 2015 erschienenen Buch "Energy Revolution: The Physics and the Promise of Efficient Technology" sowie in der daran anschließenden Diskussion, dass weit weniger als ein Prozent der gesamten US-Landfläche durch Solar- und Windenergie benötigt würde, um 100 Prozent des Energiebedarfs der USA zu decken.

Der größte Teil dieses Flächenbedarfs könnte beispielsweise durch die Anbringung von Solarzellen auf Dächern und Parkplätzen und den Betrieb von Windturbinen auf etwa sieben Prozent der derzeitigen landwirtschaftlichen Flächen gedeckt werden. Darüber hinaus können die Windturbinen auf bestehenden landwirtschaftlichen Flächen mit nur geringen Einbußen bei der landwirtschaftlichen Produktivität aufgestellt werden.

Die Landwirte dürften diese Doppelnutzung ihres Landes in erster Linie begrüßen, da sie ihnen eine wichtige zusätzliche Einkommensquelle bietet. Gegenwärtig erzeugen die US-Bundesstaaten Iowa, Kansas, Oklahoma und South Dakota mehr als 30 Prozent ihres Strombedarfs durch Windkraftanlagen. Der verbleibende zusätzliche Energiebedarf könnte dann durch Geothermie, Wasserkraft und emissionsarme Bioenergie gedeckt werden, die allesamt zu den nicht intermittierenden erneuerbaren Energiequellen gehören.

Dieses Szenario sieht keine weiteren Beiträge von Solarparks in Wüstengebieten, von auf Autobahnen montierten Solarzellen oder von Offshore-Windprojekten und anderen ergänzenden erneuerbaren Energiequellen vor. All das wären aber ebenfalls realisierbare Optionen.

Es stimmt, dass die Bedingungen für die Erzeugung erneuerbarer Energie in den Vereinigten Staaten günstiger sind als in einigen anderen Ländern. In Deutschland und Großbritannien beispielsweise ist die Bevölkerungsdichte sieben- bis achtmal höher als in den USA, und die Sonneneinstrahlung ist im Laufe eines Jahres geringer.

Daher müssten diese Länder, die mit einem hohen Wirkungsgrad arbeiten, etwa drei Prozent ihrer gesamten Landfläche nutzen, um 100 Prozent ihres Energiebedarfs durch im Inland erzeugte Solarenergie zu decken.

Durch den Einsatz kostengünstiger Speicher- und Übertragungstechnologien können Großbritannien und Deutschland jedoch auch Energie importieren, die in anderen Ländern durch Solar- und Windenergie erzeugt wurde, so wie in den Vereinigten Staaten in Iowa erzeugter Windstrom nach New York City übertragen werden könnte. Der Bedarf an solchen Importen dürfte sich in Grenzen halten.

Was ist mit Griechenland? Gemeinsam mit anderen Autoren arbeite ich derzeit an einer Studie, in der die Flächennutzung in Griechenland im Hinblick auf die Erreichung einer emissionsfreien Wirtschaft bis 2050 untersucht wird. Ich hoffe, dass ich bald mehr Einzelheiten zu unseren Ergebnissen mitteilen kann.

Für den Moment kann ich sagen, dass es für Griechenland keinen Grund gibt, Windparks an unberührten Standorten zu errichten. Wie in den USA gibt es auch in Griechenland mehr als genug Landfläche, um 100 Prozent des Energiebedarfs des Landes durch Investitionen in Effizienzsteigerung und den Aufbau einer Infrastruktur für erneuerbare Energien auf bereits bebauten Flächen wie Dächern, Parkplätzen, Autobahnen und Gewerbegebieten sowie in relativ bescheidenem Umfang auch auf landwirtschaftlichen Flächen zu decken.

Interessen der fossilen Brennstoffindustrie müssen niedergerungen werden

Die wirtschaftlichen Aspekte der globalen Erwärmung und der globalen Klimastabilisierung sind nicht schwierig zu erfassen. In der Tat hat sich ein breiter Konsens über die wirtschaftlichen Auswirkungen der globalen Erwärmung herauskristallisiert, auch wenn sich die Wirtschaftswissenschaftler nicht einig sind, welche Lösungen am besten geeignet sind, um die Kohlenstoffemissionen deutlich zu reduzieren. Warum ist es so schwierig, tragfähige klimapolitische Maßnahmen selbst auf nationaler, geschweige denn auf globaler Ebene umzusetzen?

Robert Pollin: Beginnen wir mit dem offensichtlichsten Hindernis für die Durchsetzung einer tragfähigen Klimapolitik, nämlich dem unerbittlichen Widerstand der Unternehmen, die fossile Brennstoffe herstellen. Damit meine ich sowohl die privaten Unternehmen wie ExxonMobil und Royal Dutch Shell als auch die staatlichen Konzerne wie Saudi Aramco, Gazprom in Russland und Petrobras in Brasilien.

Nehmen wir an, wir arbeiten mit dem vom Zwischenstaatlichen Ausschuss für Klimaänderungen (IPCC, Weltklimarat) festgelegten Ziel, die globale Durchschnittstemperatur auf höchstens 1,5 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau zu stabilisieren. Innerhalb dieses Rahmens zeigen die jüngsten sorgfältigen Untersuchungen von Tyler Hansen, dass sich das Gesamtvermögen dieser Unternehmen an fossilen Brennstoffen, die nicht verbrannt werden können – d.h. die nicht zur Energieerzeugung verbrannt werden können, wenn die Welt eine Chance hat, das Stabilisierungsziel von 1,5 Grad zu erreichen – auf 13 bis 15 Billionen Dollar beläuft.

Von dieser Gesamtsumme befinden sich etwa 75 Prozent dieser fossilen Brennstoffe, d. h. etwa zehn bis elf Billionen Dollar, im Besitz von öffentlichen nationalen Unternehmen, während die restlichen drei bis fünf Billionen Dollar privaten Unternehmen gehören. Es sollte uns nicht überraschen, dass die fossilen Brennstoff-Unternehmen mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln kämpfen, um weiterhin üppig vom Verkauf des noch im Boden befindlichen Öls, der Kohle und des Erdgases zu profitieren. Sie wollen nichts hören davon, dass sie 15 Billionen Dollar an Vermögenswerten nicht mehr antasten dürfen.

Es stimmt, dass die staatlichen Unternehmen, die etwa 90 Prozent der weltweiten Reserven an fossilen Brennstoffen kontrollieren, nicht mit denselben Gewinnzwängen arbeiten wie die großen privaten Energiekonzerne. Das bedeutet jedoch nicht, dass sie bereit sind, sich im Kampf gegen den Klimawandel zu engagieren, nur weil es ihr erklärtes Ziel ist, der Öffentlichkeit und nicht den privaten Aktionären zu dienen, und weil wir, die Öffentlichkeit, vor einem globalen ökologischen Notfall stehen.

Genau wie bei den privaten Unternehmen bringen die Produktion und der Verkauf von Energie aus fossilen Brennstoffen diesen Unternehmen in öffentlichem Besitz enorme Einnahmen. Nationale Entwicklungsprojekte, lukrative Karrieren und politische Macht hängen alle von der Fortsetzung der großen Einnahmen aus fossilen Brennstoffen ab.

Insgesamt führt also kein Weg daran vorbei, dass die Interessen dieser Unternehmen für fossile Brennstoffe niedergerungen werden müssen. Das wird natürlich nicht leicht zu erreichen sein. Wir sehen das in den USA, wo Senator Joe Manchin aus West Virginia alles tut, um selbst die minimalen Klimabestimmungen von Bidens Programm Build Back Better zu killen.

Manchin selbst hat in seinem Bundesstaat eine eigene Kohlevermarktungsfirma gegründet und kassiert weiterhin große Gewinne. Wir sehen das auch auf globaler Ebene an eindringlichen Warnungen vor drohenden Energieengpässen, wenn die Investitionen in den Ausbau der Versorgung mit fossilen Brennstoffen nicht erhöht werden.

Es ist aber auch wichtig zu erkennen, dass die fossile Brennstoffindustrie nicht das einzige Hindernis für ein tragfähiges globales Klimastabilisierungsprojekt ist. Es gibt auch die Trägheit, die eine Rolle spielt. Wir stehen vor der Herausforderung, eine neue globale Energieinfrastruktur auf der Grundlage hocheffizienter und sauberer erneuerbarer Energien aufzubauen und gleichzeitig unsere bestehende, von fossilen Brennstoffen dominierte Energieinfrastruktur schrittweise abzubauen.

Es ist ein schwieriges Projekt, selbst unter sehr guten Umständen – einmal abgesehen von den Machenschaften der fossilen Industrien. Ich habe das selbst erfahren, zum Beispiel bei unserem Projekt an meiner Universität in Amherst, bei dem wir das erste emissionsfreie Bürogebäude im Westen von Massachusetts gebaut haben, in dem nun die Wirtschaftsabteilung untergebracht ist. Es gibt viele neue Vorgehensweisen, die erlernt werden müssen, was die Technik, die Verwendung von Materialien und die Entwicklung neuer Fähigkeiten der Arbeiter angeht. Außerdem müssen die Menschen effektiv zusammenarbeiten.

Es gibt auch die absolut kritische Frage des "gerechten Übergangs" für Arbeitnehmer und Kommunen, deren Lebensunterhalt derzeit von der fossilen Brennstoffindustrie abhängt. Meiner Meinung nach muss ein gerechter Übergang im Mittelpunkt eines jeden globalen Green-New-Deal-Projekts stehen. Es lässt sich nicht leugnen, dass einige Arbeitnehmer und Gemeinden auf der ganzen Welt bei der Umstellung auf saubere Energie die Verlierer sein werden.

Damit das globale Projekt für saubere Energie erfolgreich sein kann, muss es eine angemessene Übergangsunterstützung für diese Gruppen bieten. Das ist eine schlichte Frage der Gerechtigkeit, aber auch eine Frage der strategischen Politik. Ohne derartige Anpassungshilfeprogramme, die in großem Umfang durchgeführt werden, werden die diejenigen, die von dem Investitionsprojekt für saubere Energie betroffen sind, absehbar und verständlicherweise kämpfen, um ihre Gemeinden und ihren Lebensunterhalt zu verteidigen. Das wiederum wird zu inakzeptablen Verzögerungen bei der Umsetzung einer wirksamen Klimastabilisierungspolitik führen.

Meine Mitarbeiter und ich haben die Kosten eines voll entfalteten, großzügig bemessenen Programms für einen gerechten Übergang für alle Arbeitnehmer in den Vereinigten Staaten, die derzeit in der fossilen Brennstoffindustrie und den dazugehörigen Branchen beschäftigt sind, geschätzt – wobei wir davon ausgehen, dass die gesamte Produktion fossiler Brennstoffe bis 2050 eingestellt wird.

Dieses Programm würde eine Wiedereinstellungsgarantie mit Löhnen, die mindestens dem aktuellen Lohn entsprechen, sowie Rentengarantien und bei Bedarf Unterstützung bei Umschulung und Umzug beinhalten. Wir schätzen die Gesamtkosten auf durchschnittlich drei Milliarden Dollar pro Jahr. Dies entspräche etwa 1/100 eines Prozents (0,01 Prozent) des durchschnittlichen BIP der USA bis 2050.

Mit anderen Worten, was die Finanzierung betrifft, wäre es eine triviale Angelegenheit, diese Art von gerechtem Übergangsprogramm überall in den USA zu etablieren.

Tatsächlich finden in Kalifornien gerade jetzt bahnbrechende Entwicklungen statt, um ein Programm für einen gerechten Übergang in diesem Bundesstaat voranzutreiben. Die Bewegung wird von visionären Gewerkschaftsführern dort angeführt, darunter auch von führenden Vertretern der Gewerkschaft der Ölraffineriearbeiter des Bundesstaates. Einer dieser Führer, Norman Rogers, Vizepräsident der United Steelworkers Local 675, schrieb kürzlich in der Los Angeles Times, dass,

Die Energiewende ist zwar unvermeidlich, aber eine gerechte Version ist es nicht. Die Arbeitnehmer wissen, was passiert, wenn ganze Branchen verschwinden: Unternehmen tricksen uns aus, quetschen das letzte Quäntchen Arbeit aus einem sterbenden Autowerk, Stahlwerk oder einer Kohlemine heraus und schließen sie über Nacht, was verheerende Auswirkungen auf die Kommunen hat und die Arbeitnehmer um ihre Arbeitsplätze, Renten und Gesundheitsversorgung bringt. Die Angst vor dem Verlust von Arbeitsplätzen ohne einen Plan für den Zeitpunkt des Auslaufens der Betriebe ist berechtigt.

Rogers betont, dass "viele von einem 'gerechten Übergang' sprechen, aber wir haben noch nie einen gesehen. Kein Arbeitnehmer, keine Gemeinde wird jemals glauben, dass ein gerechter Übergang möglich ist, solange wir keine detaillierten, vollständig finanzierten staatlichen Sicherheitsnetz- und Arbeitsbeschaffungsprogramme sehen." Er ist jedoch optimistisch:

Mit einem vollständig finanzierten Plan für einen gerechten Übergang – der den unmittelbaren Bedarf an einem Sicherheitsnetz für Arbeitnehmer und Gemeinden deckt und eine kühne Vision für die Umstrukturierung unserer Wirtschaft bietet – können wir den Aufschwung beschleunigen und Kaliforniens Arbeitnehmer, Gemeinden und den Planeten in eine sicherere Zukunft führen.

Die Verabschiedung eines soliden Programms für einen gerechten Übergang in Kalifornien, das von den Gewerkschaften, einschließlich der Gewerkschaften der fossilen Brennstoffindustrie, angeführt wird, wird auch ein Modell für vergleichbare Maßnahmen in den gesamten USA und weltweit darstellen. Die Unterstützung solcher Initiativen sollte daher als absolute Priorität für die USA und die globale Klimabewegung verstanden werden.

Robert Pollin ist Co-Direktor des Political Economy Research Institute an der University of Massachusetts-Amherst und einer der weltweit führenden progressiven Wirtschaftswissenschaftler. Er entwickelte eine Reihe von "Green Growth Programs" und hat zahlreiche Bücher und wissenschaftliche Artikel über Makroökonomie, Arbeitsmärkte sowie Umwelt- und Energiewirtschaft veröffentlicht. Pollin wurde 2013 vom Foreign Policy Magazine zu einem der hundert führenden globalen Denker gewählt. Zusammen mit Noam Chomsky veröffentlichte er 2020 das Buch: "Climate Crisis and the Global Green New Deal: The Political Economy of Saving the Planet" (2020).

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