Wo gibt es Sicherheit für syrische Flüchtlinge?

Lager im Libanon. Archivbild (2013): Russell Watkins/Department for International Development/CC BY 2.0

Auch im Libanon wendet sich die Lage gegen sie. Dort droht ein Staatsbankrott und ein Stresstest durch das Coronavirus

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Corona heißt auch arabisch Corona, wie man von einem maronitischen Priester lernt, der mit seiner Monstranz in ein Propellerflugzeug gestiegen ist, um den Himmel über dem Libanon zu segnen, auf dass das Land von dem Virus verschont bleibe.

Hilfe hat das Land nötig. So viel ist sicher. Dass sich die Priester am Boden der Tatsachen nun umstellen und Teilnehmern an der heiligen Kommunion die Hostie nicht mehr auf die Zunge, sondern in die Hand geben, ist eine Entscheidung, die realistisch gesehen mehr gegen die Ausbreitung des Coronavirus ausrichten könnte als die Himmelfahrt des Priesters. Aber auch der Bruch mit dieser angeblich fast 500-jährigen Tradition wird nicht reichen.

Der Staat steht vor dem Bankrott. Bricht eine Coronavirus-Epidemie im Libanon aus, so ist vom Gesundheitssystem nicht viel zu erwarten. Und dann gibt es noch die Flüchtlinge aus Syrien, die das Land beherbergt. Laut EU-Angaben sollen es 1,5 Millionen sein, was etwa 30 Prozent der Bevölkerung entspricht.

Flüchtlinge

Die genaue Zahl der syrischen Flüchtlinge ist schwierig zu erfassen, da es im Libanon auch Flüchtlinge aus palästinensischen Gebieten gibt und sich die Behörden gegen die Errichtung von offiziellen Lagern für die Kriegsflüchtlinge aus Syrien entschieden haben, so das EU-Fakten-Papier. Von NGOs wird berichtet, dass Flüchtlingslager "zurückgebaut, respektive zerstört werden müssen".

Die Flüchtlinge sind nach den EU-Informationen gezwungen, sich Unterkünfte in "Garagen, Warenlagern, Zelten und Rohbauten" zu suchen. 42 Prozent der Kinder im schulpflichtigen Alter gehen nicht zur Schule, die Hälfte der Flüchtlingsfamilien müssen mit weniger als 2,9 US-Dollar am Tag auskommen.

Das sind schon genug Probleme mit weitreichenden Folgen - was wird aus den Kindern, die jetzt zur Schule gehen sollten? Der Druck auf sie wachse, dass sie das Land verlassen, berichtete der Vertreter einer Hilfsorganisation im Sommer letzten Jahres.

Coronavirus

Bis dato gibt es keine alarmierenden Zahlen zum Coronavirus im Libanon, obschon gestern der erste Tote in Beirut infolge von corvid-19 gemeldet wurde. Im AFP-Bericht zur bisherigen Bilanz ist die Rede von 52 bekannten Fällen von Infizierten. 11 neue Fälle seien in den letzten 24 Stunden gemeldet worden, wird darin das Gesundheitsministerium am gestrigen Dienstag zitiert.

Am heutigen Mittwoch sind es zwei Tote und 68 bekannte Fälle von Infizierten. Maßnahmen wie die Schließung von Schulen, Universitäten, Cafés und Bars wie auch anderen öffentlichen Orte sowie die Aussetzung der Freitagspredigen und von sportlichen und kulturellen Veranstaltungen sind Anzeichen dafür, dass die Ausbreitung des Virus nicht auf die leichte Schulter genommen wird.

Stresstest Staatsbankrott

Damit nicht genug mit dem Stresstest, bei dem die Flüchtlinge aus Syrien zu den Leidtragenden gehören. Seit vielen Wochen schwärt eine große Bankenkrise im Libanon, über die an dieser Stelle schon berichtet wurde (siehe: Libanon: Kurz vor dem System-Kollaps und Syrien und Libanon im Dollar-Schlamassel). Mit dem Eingeständnis der libanesischen Regierung, eine am Montag fällige Schuld von 1,2 Milliarden Dollar nicht bezahlen zu können, ist der Staatsbankrott ein gutes Stück näher gerückt.

Insgesamt sitzt die Regierung in Beirut auf einem Schuldenberg von 90 Milliarden US-Dollar, die 170 Prozent des Bruttoinlandprodukts entsprechen. Die katastrophale Lage trifft auch die Syrier im Land. Die angespannte Stimmung gegenüber den Flüchtlingen verschärft sich, Arbeitsmöglichkeiten und Dollars werden wegen der Schließung von Betrieben und der Bankenkrise knapp.

Der Monatsverdienst, der vor einigen Wochen noch 500 US-Dollar entsprach, bringt jetzt aufgrund der teuren Schwarzmarkt-Umtauschkurse nur mehr gut 300 US-Dollar, wie Syria Direct berichtet.

Informationspolitik

Die Erwähnung der Publikation deutet auf ein weiteres Problemfeld: dem der Verlässlichkeit von Informationen. Syria Direct etwa steht der Opposition zu Baschar al-Assad nahe. Der Dschihad wird dort als Revolution gehandelt. So konzentriert man sich dort besonders und häufig einzig auf die syrische Regierung und auf Russland, wenn es um die Ursachen der großen Fluchtbewegungen und das Unheil in Syrien geht.

Orchestrierte politische Manöver, wie sie die Türkei mit Flüchtlingen (nicht nur aus Syrien) betreibt, und die Zusammenarbeit der Türkei mit al-Qaida-Milizen in Idlib und dem IS, tauchen höchstens am Rande auf. Da den dort arbeitenden freien Journalisten Zugang zu den Oppositionsmilieus gestattet ist, finden sich innerhalb des gesteckten PR-Rahmens aber auch detailliertere Informationen, die woanders nicht zu lesen sind.

Auch im Libanon gibt es sehr große Unterschiede in der Berichterstattung. So war bei den Berichten zu den Aufständen deutlich zu sehen, wie sehr manche Berichte aus den USA, Großbritannien, Frankreich und Deutschland auf die Beteiligung und die Rolle der Hizbollah achteten, während dies nicht unbedingt das Hauptanliegen der empörten Demonstranten auf der Straße war.

Bankenkrise

Wie sich in den letzten Wochen zeigte, kamen die wirklich klaren, an der Ursache der Bankenkrise interessierten Veröffentlichungen, die politisch unabhängig waren, von einem Kreis der sich NERDS nennt. Während einige die Lösungen in den Himmelfahrtsangeboten des Internationalen Währungsfonds suchen werden, bewegen sich die NERD-Analysen auf dem Boden der Tatsachen.

Der hat ein großes Loch für die normalen Anleger, worin ihre Dollars verschwunden sind und vermutlich auch nicht mehr zurückkommen.

Zur Standard-Darstellung der Situation der syrischen Flüchtlinge gehört auch das Erklärungsmuster, wonach sie aus Furcht vor Verfolgung durch die syrische Polizei und Militärs nicht mehr zurückkehren können. Exemplarisch ist das aktuell bei Le Monde zu lesen.

Sanktionen

Ohne sich über die elenden Erfahrungen, die Flüchtlinge aus Syrien mit den dortigen Behörden gemacht haben oder die sie befürchten, hinwegzusetzen und sie "weg zu erklären", wie das verschiedentlich gemacht wird, kann man diesen Berichten meist eine politische Schlagseite vorhalten, die möglicherweise dem Renommée des Journalisten im Kollegenkreis, aber nicht den Flüchtlingen weiterhilft. Weil sie politisch wichtige Aspekte auslassen.

Um einmal nicht von der Kontrolle der Lebensumstände und der Lebensmittelverteilung in Idlib durch die HTS, deren Scharia-Polizeistaat und Militärdiktatur zu sprechen, sei in diesem Zusammenhang auf die Sanktionen der USA und der EU verwiesen, die die Versorgungslage in Syrien katastrophal verschlechtern. Wozu? Um Baschar al-Assad zum Aufgeben zu zwingen? Das ist ein ähnlich hilfloser Akt wie der des Priesters im Himmel über dem Libanon. Nur dass dies Millionen am Boden Leiden verschafft.