Woher kommt der Hass auf die Seenotretter?
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Die Hetze gegen die NGO-Schiffe im Mittelmeer zielt auf die innenpolitische Auseinandersetzung in Deutschland - Ein Kommentar
Wem ein Menschleben im Mittelmeer egal ist, wird der sich für Menschen im eigenen Land einsetzen?
Die Lage im Mittelmeer um die Migranten auf ihrem Weg nach Europa und die ihnen helfenden NGOs (Nicht-Regierungsorganisationen) eskaliert - und die Debatte polarisiert. Wichtig ist, dass sie sichtbar wird.
Eine übergroße Koalition aus CDU/CSU, SPD, Grünen, Linken, FDP hat in den letzten Monaten ein Tabu über die Flüchtlingsdramen auf dem Wasser, das Afrika von Europa trennt, verhängt. Sie stützte den Deal der EU mit denjenigen, die in Libyen gerade das Sagen haben, in einer selbstbetrügerischen Hoffnung, die Fluchtbewegung könnte unter Beihilfe der libyschen Küstenwache gestoppt werden. Diese nationale Koalition verstand das Tabu vor allem als Mittel gegen die AfD. Das Kalkül: was man nicht sieht, darüber muss man nicht reden. Und wenn nicht geredet wird, keine Punkte für diese Partei. Ein Missverständnis.
Tatsächlich ist das Tabu auch im Interesse der AfD und anderer Rechtspopulisten um sie herum. Sie wollen zwar Fremde von Deutschland fernhalten, aber bitte ohne die unschönen Opfer. Auch sie reden nicht gerne über Männer, Frauen, Kinder, Babys, die ertrinken und die man beim Sterben sieht bzw. über deren Sterben berichtet wird. Unerträgliche Bilder einer unerträglichen Wirklichkeit.
Die NGOs machen die Not, die Dramatik und die Individuen sichtbar
Genau hier kommen die unabhängigen privaten Lebensretter der diversen NGOs aus mehreren Ländern ins Spiel. Sie sind jeden Tag dabei. Sie erleben es hautnah mit. Sie können es oft verhindern und müssen manchmal tatenlos zusehen. Sie erfahren die Namen der Geretteten und manchmal auch die der Toten. Ihnen wird erzählt, wo die Menschen herkommen und was mit ihren Familien ist, soweit es sie noch gibt. Sie hören die Geschichten und aus den Notfällen werden Individuen. Über zehn Prozent sind unbegleitete Kinder. Eine Familie und ein Zuhause haben sie nicht mehr. Ihre Zahl nimmt zu.
Alle zusammen sind sie Zeugen einer quasi historischen Situation, eines Zeitbruches nach dem Einsturz einer Weltordnung, der vor knapp 30 Jahren begann.
Doch die NGOs sind nicht nur Lebensretter, sie sind auch ein Medium. Sie machen die Not, die Dramatik und die Individuen sichtbar. Sie brechen das Tabu. Nicht, weil sie es brechen wollen, sondern allein dadurch, dass sie Schiffbrüchige retten.
Das zersprengt das verordnete Schweigen und wie bei einem Vulkan - oder besser: einer Eiterbeule - drängt alles, was unterdrückt wurde, an die Oberfläche. Schonungslos und unzweideutig - auch in seiner ganzen Hässlichkeit. Von gewissem Wert ist das deshalb, weil man nun weiß, woran man ist.