Wohin Hochwasser abfließen könnte: Der Wert von Flusslandschaften und Auwäldern

Seite 2: Hochwasservorsorge mittels Naturschutz – ein Beispiel

Dennoch hat sich an einzelnen Flüssen die Situation verbessert – wie etwa an der Donau, am Rhein oder an der Lippe oder an der Elbe: Ein Pilotprojekt an der Elbe ist die Lenzener Elbtalaue vor den Toren der Stadt Lenzen in Brandenburg. Hier, im Unesco-Biosphärenreservat Flusslandschaft Elbe, wurde ein großer Deich zurückverlegt.

Bis vor wenigen Jahren waren noch ehemalige Auenflächen durch den Deichbau vom Fluss abgeschnitten und intensiv landwirtschaftlich genutzt. Dann wurden dem Fluss 420 Hektar Überschwemmungsraum zurückgegeben, so dass sich daraus eine naturnahe Auenlandschaft entwickeln kann.

Hochwasser-Abfluss durch Deichschlitze

In mehr als einem Kilometer Entfernung zum Fluss wurde ein sechs Kilometer langer neuer Deich errichtet. Anschließend wurde der alte, sehr nah am Fluss gelegene Deich an sechs Stellen auf ca. 200 bis 500 Meter abgetragen. Im Hochwasserfall kann das Wasser durch diese "Deichschlitze" in den neu gewonnenen Überflutungsraum eintreten.

Seit das Wasser in die Auen ausweichen kann, senkte sich der Pegel im Vergleich zum vorherigen Zustand um 50 Zentimeter. Zudem entstand eine lebendige Auenlandschaft mit seltenem Auenwald und -gewässern, in der zahlreiche Arten leben. Derzeit wird untersucht, wie sich die renaturierte Auenlandschaft entwickelt und welche Arten profitieren.

Renaturierter Auenwald – vorteilhaft für Mensch und Tier

Unter anderem setzt sich auch der BUND Naturschutz dafür ein, dass Flussauen wieder natürlich überflutet werden. Aktive des BUND pflanzen neue Auwälder und legen Tümpel für Rotbauchunke und Weißstorch an.

Seit 2010 verwirklichten der Bund, das Land Sachsen-Anhalt und die Umweltorganisation WWF Renaturierungsmaßnahmen im Lödderitzer Forst zwischen Dessau und Magdeburg. Der alte Deich der Elbe, der im 19. Jahrhundert nahe an den Fluss gebaut worden war, führte bei großen Niederschlagsmengen zu hohen Pegeln.

Durch entsprechende Baumaßnahmen wurde der alte Deich durchlässig gemacht und durch ein neues, sieben Kilometer langes Bauwerk ersetzt, das viel weiter entfernt vom Fluss und weitgehend außerhalb des Waldgebiets verläuft.

2017 war das Projekt fertig. Inzwischen wächst auf einer Fläche von rund 600 Hektar ein von Rotmilanen, Pirol, Biber, Mittelspecht und Schillerfalter bewohnter feuchter Auwald, wie er für das Elbetal vor der landwirtschaftlichen Kultivierung typisch war. Bei Hochwasser kann Elbwasser in die Auenlandschaft abfließen und staut sich nicht mehr wie zuvor im Flussbett.

Donau-Renaturierungsprojekte in Bayern

An der Donau werden unverbaute Flächen durch Dammöffnungen wieder an den Fluss "angeschlossen". Daraufhin können sie sich wieder naturgemäß entwickeln und der Fluss kann sich natürlich entfalten.

Die Donau zwischen Neustadt und Bad Abbach etwa, eine der letzten noch frei fließenden Teilabschnitte der Donau in Bayern, wurde durch zahlreiche Maßnahmen renaturiert: So wurde die Uferversteinung entfernt. Es wurden flach überströmte Kiesbänke geschaffen, Totholz eingebracht und Buhnen und Kiesinseln errichtet, sodass vielerorts stark wechselnde Uferstrukturen mit verschiedenen Strömungsverhältnissen entstanden.

Wieder angeschlossene Altwasser, neu geschaffene Seitenarme und eine dynamisierte Aue dienen den Fischen als Laich- und Rückzugsgebiet bei Hochwasser. Die neu geschaffenen Lebensräume sollen dazu beitragen, den "guten ökologischen Zustand" vielleicht schon in naher Zukunft zu erreichen.

Uferbereiche am Donau-Radweg naturnah gestaltet

Auch bei Ulm-Gögglingen befand sich die stark begradigte Donau in einem schlechten, naturfernen Zustand. Inzwischen wurden die Uferbereiche naturnah gestaltet. Der linksseitig begleitende Deich wurde um 20 bis 25 Meter an den Donau-Radweg zurückverlegt. Die Steinsicherung am Ufer wurde entfernt und das Ufer abgeflacht.

Zusätzlich sorgen strömungslenkende Steinbuhnen in der Donau für unterschiedliche Strömungs- und Tiefenverhältnisse. Der rechtsseitig der Donau gelegene Altarm wurde zum Teil entschlammt und an den Hauptarm angeschlossen, so dass er nun Lebensraum und Rückzugsort für Fischarten und viele weitere Wasserlebewesen bietet.

Biosphärenreservat Donaudelta: Europas größte Auenlandschaft

Die Donau – mit einer Gesamtlänge von 2.857 Kilometern der zweitlängste Fluss Europas – fließt über 350 Flusskilometer durch Österreich, von der bayerischen Grenzstadt Passau bis zur slowakischen Haupt- und Grenzstadt Bratislava.

Auf Initiative des WWF vereinbarten die vier Anrainerstaaten Rumänien, Bulgarien, Moldawien und die Ukraine im Jahr 2000 die Schaffung eines "Grünen Korridors" an der unteren Donau. Auf tausend Flusskilometern sollen 160.000 Hektar Auenland geschützt und 225.000 Hektar zerstörte Überschwemmungsflächen renaturiert werden.

Seit 1994 wurden in Zusammenarbeit mit dem Donau-Delta-Institut bereits etwa 10.000 Hektar Überflutungsflächen wiederhergestellt

Zwei Drittel der Flüsse sind weltweit verbaut

Gerade einmal 37 Prozent der 242 größten Flüsse der Erde sind noch halbwegs unverbaut. Statt reißender Ströme, ungezähmter Flussläufe und miteinander verflochtener Seitenarme auf dem Weg zur Mündung sind die Wasserwege zumeist durch Dämme eingehegt, von Beton begrenzt und mittels Talsperren in ihrer Fließgeschwindigkeit gebremst.

Unter den 91 besonders langen Flüssen haben nur noch 21 eine direkte Verbindung von der Quelle bis zur Mündung. 63 Prozent der Flüsse werden hingegen von Sperren, Begradigungen oder anderen Eingriffen an ihrem natürlichen Verlauf gehindert. Das ist das Ergebnis einer Studie, die 2019 im Fachmagazin Nature veröffentlicht wurde.

Flussverbauung und Austrocknen bedrohen Ernährungssicherheit

Gesunde Flüsse mit ausreichend frischem Wasser versorgen mit ihren großen Fischvorräten Millionen Menschen mit Nahrung und tragen zudem mit fortwährend Richtung Mündung gespülten Sedimenten dazu bei, das Flussdelta auch bei steigendem Wasserstand über dem Meeresspiegel zu halten und so die Folgen extremer Fluten zu mildern, weiß Studienautor Bernhard Lehner von der McGill-Universität im kanadischen Montreal. Die frei fließenden Flüsse der Welt werden jedoch immer weniger, befürchtet der Geograf.

Neben dem Transport von lebensnotwendigem Wasser stellen die Verbindungen der Flüsse stromauf- und abwärts, zu Flussauen, Seen und Feuchtgebieten den Austausch von Tier- und Pflanzenarten, Nährstoffen und Sedimenten sicher. Werden diese Verbindungen unterbrochen, werden Wasserkreisläufe gestört sowie der Lebensraum vieler Arten beeinträchtigt. Auch die Bereitstellung von sauberem Trinkwasser ist dann gefährdet.

Manche Flüsse leiden wegen Wasserentnahmen unter Austrocknung. Zudem werden so natürliche Verbindungen zwischen den Wasserwegen unterbrochen. Laut Living Planet Index sind die Süßwasser-Arten seit 1970 bereits um 83 Prozent zurückgegangen. Damit gehe nicht nur die biologische Vielfalt verloren, warnt Philipp Wagnitz vom WWF Deutschland.

Auch die Ernährungssicherheit sei gefährdet. Die Forscher hoffen, dass mithilfe ihrer Daten besonders schützenswerte Flüsse erhalten werden können.

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