Wohin mit unserem Geld?

Seite 2: Die Systemsicht

Es ist kein Geheimnis, dass die Notenbanken seit vielen Jahren Staatsschulden finanzieren. Und durch die niedrigen oder gar negativen Zinsen ist es auch für Unternehmen und Privatpersonen lukrativ, sich immer weiter zu verschulden. Das geht so lange gut, wie die Märkte boomen, aber auch die Preise für beispielsweise Immobilien, für die man sich Geld geliehen hat, steigen oder zumindest stabil bleiben.

Durch immer neue Schulden und Kredite ist die Geldmenge in den letzten Jahren stark gestiegen; nicht nur um Milliarden, sondern gar Billionen; nicht nur der Euro, sondern auch der Dollar. Diesen nicht ganz unwesentlichen Aspekt berücksichtigt Kreiß meiner Meinung nach nicht. Dabei schreibt er selbst, dass etwa die in Amerika ausgezahlten Corona-Hilfen (Helikoptergeld) zum großen Teil in Aktien flossen.

Mit anderen Worten: In den hohen Aktienkursen könnte sich Inflation verstecken. Wenn die Geldmenge stärker steigt als die Menge der Güter, die man damit kaufen kann, einschließlich Unternehmensanteilen, dann sinkt zwangsweise der Geldwert. Und das nennen wir Inflation. Dabei gibt es unterschiedliche Verfahren, Inflation zu messen, die sogenannten Warenkörbe auszuwählen.

Wenn dem so ist, dann sind Aktien nicht unbedingt teurer, sondern ist unser Geld weniger wert, als wir zurzeit denken. Prof. Dr. Hans-Werner Sinn, früherer Präsident des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung, berechnete in seiner Weihnachtsvorlesung 2020, dass die potenzielle Geldentwertung für den Euro 84 Prozent beträgt (etwa bei Zeitmarke 1:08:35). Das heißt, wenn Sie gerade 100 Euro in der Hand halten, sind diese - gemessen an der Kaufkraft - vielleicht nur noch 16 Euro wert.

Was haben wir dafür bekommen? Stabilität. Als Angela Merkel und der damalige Finanzminister Peer Steinbrück im Oktober 2008, mitten in der Finanzkrise, vor die Kameras traten und den Deutschen versprachen, ihr Geld sei sicher, waren sie wohl nicht ganz ehrlich. Aber damit haben sie wahrscheinlich Schlimmeres verhindert.

Nun haben die Finanzminister und Notenbanken in der Coronapandemie die Geldschleusen weiter geöffnet: für Staatshilfen, Überbrückungs- und mitunter gar Helikoptergeld. Alternativ hätte man zahlreiche Unternehmen in die Pleite und viele Arbeitnehmer in die Arbeitslosigkeit geschickt. Wäre das besser gewesen?

Alternativen für die Zukunft

Christian Kreiß scheint eine eher pessimistische Sichtweise zu vertreten. Er hält die hohen Aktienpreise für den Ausdruck einer großen Spekulationsblase. Doch was wären die Alternativen? Im Portemonnaie, unterm Kopfkissen oder auf dem Sparbuch verliert das Geld wegen der negativen Realzinsen (Verzinsung minus Inflation) garantiert an Wert. Festverzinsliche Wertpapiere liefern entweder keine (relevanten) Zinsen mehr - oder sind (z.B. bei Unternehmen) wieder mit Risiken verbunden wie Aktien.

Man sollte aber auch einmal an zukünftige Generationen denken: Die bekommen nämlich nicht nur den Schuldenberg aufgebrummt. Sie hatten auch keine Chance, schon vor Jahren Aktien, Edelmetalle (v.a. Gold & Silber), Immobilien oder Kryptowerte zu kaufen, als diese noch bezahlbarer waren. Diese Ungleichheit der Chancen gefährdet auf Dauer die Stabilität.

Und das führt uns letztlich zur gesellschaftlichen Ebene: Privateigentum und Geld sind gesellschaftliche Konventionen - die wiederum von gesellschaftlichen Institutionen abhängen. Das heißt, der Wert Ihres Geldes und Eigentums hängt entscheidend davon ab, was andere mit ihrem Geld und ihrem Eigentum tun; und welche Regeln die Institutionen durchsetzen. In diesem Sinne hängt das Wohl von uns allen - und nicht nur innerhalb von Ländergrenzen, sondern weltweit - zusammen.

Der Sozialdarwinismus propagiert das Recht des Stärkeren. Dann definieren diejenigen mit dem größten Vermögen die Regeln. Der heute allgegenwärtige Lobbyismus lässt grüßen.

Doch auch im Sozialdarwinismus passiert es, dass sich andere Menschen zu einer noch größeren Gruppe zusammenschließen. Die großen Systemwechsel des 20. Jahrhunderts - man denke an Russland 1917, das Deutsche Reich 1933 oder China ab 1966 - haben wiederholt deutlich gemacht, wie schnell auch Adel, Bürgerliche und Wohlhabende auf der Abschussliste landen können. Wer viel hat, kann auch viel verlieren.

Die Antwort auf solche Systemkrisen war der demokratische Rechtsstaat, in dem alle vor dem Gesetz gleich sind, mit seinen unveräußerlichen Bürger- und Menschenrechten. Die Finanzspritzen der letzten Jahrzehnte waren kurzfristige Stabilisierungsmaßnahmen.

Langfristige Stabilität kann es meiner Meinung nach nur mit sozialer Gerechtigkeit geben: mit auf der einen Seite einer gerechten Beteiligung der Profiteure am Gemeinwesen, das fortdauernd ihren Wohlstand sichert; und auf der anderen Seite mehr als nur Existenzsicherung für die Armen, sondern Chancen auf echte gesellschaftliche Teilhabe.

Oder mit anderen Worten: Man kann, ja sollte sich individuell um die finanzielle Vorsorge kümmern. Aktien gehören meiner Meinung nach dazu. Bei der Auswahl kommt es auf das individuelle Chancen- und Risikoprofil an.

Die Zukunftsvorsorge ist aber nur bis zu einem gewissen Grad eine individuelle Aufgabe. Wenn wir die Welt wie ein Reise-nach-Jerusalem-Spiel einrichten, kann das eine Weile gut gehen. Jeder von uns könnte aber schon der Nächste sein, für den kein Stuhl mehr übrigbleibt. Mit sozialer Gerechtigkeit können wir jedoch dafür sorgen, dass alle einen Sitzplatz bekommen.

Dieser Artikel erscheint ebenfalls im Blog "Menschen-Bilder" des Autors.