Wohin mit unserem Geld?

Bild: Austin Distel/Unsplash

Zukunftsvorsorge und soziale Gerechtigkeit - eine Replik auf den Artikel über Aktienhandel und Spekulationsblasen von Christian Kreiß

"There ain't no such thing as a free lunch", es gibt kein gratis Mittagessen, ist eine beliebte Redewendung, vor allem an den Finanzmärkten. Trotzdem schrieb Christian Kreiß gerade über Börsenhandel "zum Nulltarif" (Run auf die Börsen: Warum die Demokratisierung von Aktienvermögen ein Traum bleibt).

Der Vorreiter unter ihnen, die Robinhood Markets Inc., sei 20 bis 40 Milliarden Dollar wert. Wie kann das sein, wenn das Unternehmen seine Dienste gratis anbietet? In diesem Punkt möchte ich Kreiß widersprechen. Außerdem will ich hier kurz auf die Frage eingehen, ob Aktien wirklich überteuert sind - und diskutieren, was denn die Alternativen wären.

Free Lunch damals und heute

Doch zuerst noch einmal zum Mittagessen: Die sprichwörtliche "Gratismahlzeit" stammt der Legende nach aus amerikanischen Saloons des 19. Jahrhunderts. Diese hätten mit dem "free lunch" Gäste angelockt. Einmal im Saloon, hätten diese nicht nur das Essen verzehrt, sondern auch Getränke bestellt - und die waren natürlich kostenpflichtig.

Gerüchten zufolge seien die Gratismahlzeiten zudem so stark gesalzen gewesen, dass die Gäste mehr tranken. Netter Nebeneffekt: Salz ist ein Geschmacksträger, man kann dann also an teuren Zutaten sparen. Dieser Trick funktioniert übrigens bis heute.

Das Gratismittagessen war also gar nicht gratis, sondern wurde in Wirklichkeit durch den Getränkekonsum finanziert. Und sozialen Druck wird es auch gegeben haben: Wenn du schon ein kostenloses Essen abholst, dann bestell gefälligst viel zu trinken!

Wer noch einen Schritt weiter philosophieren möchte, könnte bedenken, dass die Gäste das schlechte Essen - jedenfalls bei häufigem Konsum - mit ihrer Gesundheit bezahlt haben. Das nennt man in der Betriebswirtschaftslehre "Externalisierung von Kosten". Meistens denkt man dabei an Umweltverschmutzung, dass etwa eine Fabrik giftiges Wasser oder Abgase in die Umgebung abgibt. Die Säuberung (und deren Kosten) übernehmen andere.

Warum also nicht schlechtes Essen in Menschenkörpern entsorgen? Der Großteil der Lebensmittelindustrie macht das noch heute. Aber Hauptsache, es ist billig, geht schnell und schmeckt (dank industrieller Verarbeitung, viel Fett, Salz, Zucker und Geschmacksverstärkern). Und auch heute noch bieten Supermärkte Produkte "gratis" oder mit extremem Rabatt an, weil sie wissen, dass die Kunden, wenn sie schon einmal dort sind, andere Produkte kaufen. Dafür sorgt gutes Marketing (angewandte Psychologie).

Zurück zu den Brokern

Ein Markt ist ein Ort, an dem sich Angebot (von Verkäufern) und Nachfrage (von Käufern) treffen. Im Falle von Wertpapieren sind das die Börsen, wie etwa die bekannte Frankfurter Börse oder die Wallstreet in New York. Inzwischen lassen sich Wertpapiere - wie Aktien, Obligationen (festverzinsliche Wertpapiere) und Derivate - natürlich auch online handeln. Und diese Möglichkeiten bieten eben die Broker (Börsenmakler) an.

Ein Broker hat zwei primäre Möglichkeiten, Geld zu verdienen: Er kann erstens einen pauschalen Betrag pro Transaktion verlangen und zweitens eine Provision berechnen. Die sogenannten Neobroker, von denen Kreiß schrieb, handeln wahrscheinlich auch noch mit den Daten ihrer Kunden - so wie Amazon, Apple, Facebook, Google, Microsoft und so weiter es auch tun. Doch lassen wir das eben beiseite.

Der pauschale Betrag gilt unabhängig von der Größe des Auftrags. Mein Broker (Consorsbank) bietet mir beispielsweise Transaktionen über Tradegate für 4,95 Euro an. Tradegate (bzw. offiziell Tradegate Exchange) ist eine deutsche Wertpapierbörse für Privatanleger mit Sitz in Berlin, die mehrheitlich der Deutschen Börse AG (Frankfurt) gehört. Da man Wertpapiere irgendwann auch wieder verkauft, muss man diese Kosten mit zwei multiplizieren, also insgesamt 9,90 Euro für An- und Verkauf.

Die Provision hängt demgegenüber vom Wert der Transaktion ab. Im genannten Beispiel berechnet mein Broker 0,25 Prozent. Das gilt natürlich wieder für An- und Verkauf. Nehmen wir einmal an, ich würde Zalando-Aktien für 1.000 Euro kaufen und für 1.100 Euro (plus 10 Prozent Kurssteigerung) verkaufen, dann wären die Kosten: 2 * 4,95 + 1000 * 0,0025 + 1100 * 0,0025 = 15,15 Euro. Mein Gewinn wäre dann 100 - 15,15 = 84,85 Euro. Aus den Transaktionskosten bezahlt der Broker seine Kosten und behält den Rest als Gewinn.

Hätte ich übrigens meinen Einsatz verdoppelt, also mit 2.000 Euro gekauft und für 2.200 Euro (plus 10 Prozent Kurssteigerung) verkauft, würde sich die Gesamtbilanz ändern: Die Gesamtkosten wären dann 20,4 Euro - und ich behielte nun mit 179,6 Euro 89,9 Prozent für mich. Das waren vorher nur 84,85 Prozent und hängt damit zusammen, dass die festen Kosten desto weniger ins Gewicht fallen, je höher die Beträge sind.

Der Broker verdient an meinem Handel übrigens immer. Ich nur, wenn der Kursgewinn höher ist als die Transaktionsgebühren. Allerdings muss der Broker natürlich darauf achten, dass er mit den Geschäften seiner Kunden die laufenden Kosten deckt.

Kein Handel zum Nulltarif

Jetzt haben wir das Einmaleins des Börsenhandels gelernt. Mit Aktien besitzt man übrigens einen Teil des Unternehmens. Und dieser lässt sich auch präzise berechnen: Anzahl meiner Aktien durch Anzahl der Gesamtaktien. Mitunter gibt es noch Aktien mit oder ohne Stimmrecht. Ohne Stimmrecht besitzt man zwar einen Teil des Unternehmens, darf auf der Hauptversammlung aber nicht mitentscheiden, zum Beispiel über die Höhe der Dividendenausschüttung (Gewinnbeteiligung für die Aktionäre).

Kommen wir nun zum Verdienstmodell der Neobroker. Wird hier die Regel des kostenlosen Mittagessens verletzt? Christian Kreiß schrieb immerhin: "Während früher die Gebühren für Akteinkäufe bei etwa zehn Dollar pro Transaktion (Kauf oder Verkauf) lagen, bieten die neuen Broker Käufe und Verkäufe von Wertpapieren meistens zum Nulltarif an."

Ich schaue mich einmal auf der Seite von Trade Republic um, einem beliebten deutschen Neobroker. "Investiere provisionsfrei in Aktien" oder "erstelle einen kostenfreien Sparplan" steht gleich auf der Startseite. In der Preisübersicht sticht oft das Wörtchen "kostenfrei" hervor. Und in der FAQ heißt es als Antwort auf die Frage: "Wie funktioniert provisionsfreier Handel?"

"In den letzten vier Jahren haben wir mit moderner Technologie eine leistungsfähige digitale Bank aufgebaut. Wie viele andere Broker auch erhalten wir Rückvergütungen von Handelspartnern. Auf dieser Basis können wir Dich durch unsere effizienten Strukturen von hohen Orderprovisionen befreien. Pro Handelsgeschäft fallen Fremdkosten in Höhe von einem Euro für die Abwicklung an." (Trade Republic FAQ)

Die festen Kosten pro Transaktion sind also nicht null - aber zugegeben sehr niedrig (ein Euro). Doch was verbirgt sich hinter den "Rückvergütungen"? Warum bezahlen nicht näher genannte "Handelspartner" Geld dafür, dass ihnen die Broker Aufträge von Kleinanlegern zuspielen?

Es gibt noch einen weniger offensichtlichen Kostenfaktor, nämlich die Spreads. Das ist die Differenz zwischen dem Ankaufs- und Verkaufspreis eines Wertes. Das heißt, der Broker bietet mir für eine Aktie vielleicht 100 Euro, kann diese aber vielleicht für 100,50 Euro weiterverkaufen. Das sind zwar nur kleine Unterschiede, die sich bei vielen tausend oder hunderttausend Transaktionen aber natürlich summieren.

Um die Spreads zu überprüfen, muss man Bid (den gebotenen Preis für den Verkauf) und Ask (den verlangten Preis für den Kauf) bei seinem Broker vergleichen. Um beim Beispiel Zalando zu bleiben, betrug dieser zur letzten Handelszeit - das war Freitagabend, ich schreibe den Artikel am Sonntagmorgen - bei Tradegate 101,20 gegenüber 101,75 Euro. Im sogenannten Over-the-Counter-Handel (OTC) kann man auch außerhalb der Börsenzeiten Wertpapiere handeln. Da steht die Aktie gerade bei 101,30 gegenüber 101,90 Euro.

Kaufen und Verkaufen Neobroker die Wertpapiere nun zu schlechteren Bedingungen und kassieren dafür Prämien von den Handelsplätzen? Stiftung Warentest ging dem im Oktober 2020 nach - und konnte diese Befürchtung größtenteils entkräften.

Das galt allerdings nur für die normalen Handelszeiten, für die ohnehin XETRA, das elektronische Handelssystem der Deutschen Börse AG, verbindliche An- und Verkaufspreise vorschreibt. Außerhalb dieser Zeiten oder bei exotischen Wertpapieren müsse man aber auf höhere oder vereinzelt gar sehr hohe Spreads gefasst sein. Zudem ließe der Service mancher Neobroker sehr zu wünschen übrig - sie seien wahrscheinlich vom Ansturm der Neukunden überrollt.

Damit ist, denke ich, das Fazit gerechtfertigt, dass es keinen Handel zum Nulltarif, also auch hier kein kostenloses Mittagessen gibt. Der neue Preisdruck ist erst einmal gut für die Kunden - den sie mitunter aber mit schlechterem Service oder höheren Kursaufschlägen bezahlen.

Die Sache mit den Spreads ist übrigens auch für Urlaubsreisende von Interesse, die sich außerhalb des Euro-Raums bewegen. Wer mit Versprechen wie "keine Wechselgebühr, keine Provision" gelockt wird, bezahlt schlicht über den (schlechteren) Wechselkurs für die Dienstleistung.

Das fällt bei kleineren Beträgen weniger ins Gewicht, im Urlaub wie an der Börse. Im Einzelfall muss man eben vergleichen, wie viele Wertpapiere - dazu zählen ja auch Fremdwährungen und Geldscheine überhaupt - man für sein Geld bekommt. Wer genervt am Flughafen steht, wird wahrscheinlich schlicht den erstbesten Anbieter nehmen, der nicht wie ein Betrüger daherkommt.

Sind Aktien zu teuer?

Nach seiner Diskussion der Neobroker diskutiert Christian Kreiß die Frage, ob Aktien zu teuer sind. Hierfür verweist er auf das hohe Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) großer Unternehmen.

Das KGV kann man beispielsweise berechnen, indem man den Aktienkurs durch den Gewinn pro Aktie teilt. Kostet ein Wertpapier beispielsweise 100 Euro und betrug der Gewinn pro Aktie im Vorjahr 5 Euro, dann ist das KGV 100 / 5 = 20. Das wäre günstig im Vergleich zu den Werten von 44 bis 46, die Kreiß für große amerikanische Unternehmen nennt.

Wann ein KGV "zu hoch" ist, ist aber eine philosophische Frage. Die Volkswagen AG hatte 2020 beispielsweise ein KGV von 10,25; Zalando demgegenüber von 101,18. Das heißt, pro Euro Unternehmensgewinn muss man bei Zalando rund zehnmal so viel bezahlen wie bei Volkswagen. Ist darum dumm, wer mit seinem Geld lieber Anteile des Autobauers als des Modeunternehmens kauft? (Ich besitze zurzeit übrigens von keinem der Unternehmen Aktien.)

Das hängt davon ab, wie man sich die Zukunft vorstellt. Online-Modehandel ist ein wachsender Markt, der durch die Lockdowns der Coronapandemie noch einmal zusätzlichen Rückenwind bekam. Es könnte also durchaus sein, dass Zalando (und ähnliche Unternehmen) in den nächsten Jahren in die hohe Bewertung hineinwachsen. Dann wären aus zukünftiger Sicht die heute hohen KGVs gerechtfertigt.

Das KGV ist auch nur bedingt aussagekräftig, schlicht weil viele Wachstumsunternehmen noch gar keine Gewinne machen. Man wettet auf die Zukunft. Wenn die Wette aber aufgeht, kann man viel Geld verdienen - ansonsten kann der ganze investierte Betrag oder bei Derivaten sogar noch viel mehr als das weg sein.

Es kommt letztlich also auch auf die persönliche Vorliebe an: Will man die Chance auf hohe Gewinne haben, dann muss man auch höhere Risiken in Kauf nehmen; will man auf Nummer sicher gehen, dann minimiert man das Risiko und hat dafür auch geringere Chancen. Dabei spielt auch das Alter eine Rolle: Wer schon in Rente ist oder kurz davor steht, wird sein Geld eher nicht in Bereiche investieren, die vielleicht erst ein zehn, zwanzig Jahren profitabel werden (etwa Wasserstoff?).

Zur Beantwortung der Frage, ob Aktien zu teuer sind, muss man aber auch die Systemsicht miteinbeziehen. Und diese fehlte mir bei Christian Kreiß.