Wohnungsnöte

5. Bauhaus Award 2008: Die Wohnung für das Existenzminimum von heute

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Wohnungsnot ist überall auf der Welt eine kontinuierliche Begleiterscheinung der Industriegesellschaften. Trotz hoher Standards und Normen haben daran auch die sozial orientierten Ansätze der Moderne des 20. Jahrhunderts nichts ändern können. In Westeuropa sind gegenwärtig mindestens 10% der Bevölkerung mit gravierenden Wohnungsnöten konfrontiert, mit teilweise höchsten Mietanteilen am Einkommen. Es handelt sich hier um eine vielfältige Gruppe von Individuen, die am Existenzminimum leben: Obdach- oder Wohnungslose sowie Untermieter, Bewohner von Heimen, Asylen und Notunterkünften; Langzeitarbeitslose und ausbildungslose Jugendliche; Aussiedler, Migranten und Illegale; Studenten, Leichtlohngruppen und Rentner; Alleinerziehende und kinderreiche Familien haben Probleme, eine bezahlbare Wohnung in der Stadt zu finden.

Unter dem Titel "Die Wohnung für das Existenzminimum" veranstaltete der CIAM (Congrès International d’Architecture Moderne) seine zweite Tagung am 24.-26.10.1929 in Frankfurt a. M. Am Freitag, dem 25. 10. 1929, war just der "Schwarze Freitag", der den Beginn der Weltwirtschaftskrise markiert. Auf die Frage: „Was braucht der Mensch?“, wurde auf der Tagung die Antwort gegeben: „Licht, Luft, Raum und Wärme.“ Vorgestellt wurden neue Modelle und Prototypen für Kleinwohnungen, die u. a. von den Bauhausdirektoren Walter Gropius und Hannes Meyer diskutiert wurden.

Knapp acht Jahrzehnte später ist dieses Thema aktueller denn je. Die Gesellschaften sehen sich weltweit in sozialer, ökologischer und kultureller Hinsicht mit dem Problem von Wohnungsnot konfrontiert. Vor allem städtische Lebensweisen der Armut führen zu existenziellen Wohnungsnöten. Schon jetzt leben rund 50 % der Weltbevölkerung in Städten, und davon lebt wiederum etwa die Hälfte in Elendsvierteln, Slums oder in der Obdachlosigkeit, und dies bei zunehmender Verknappung lebensnotwendiger Ressourcen.

Am 25. Januar findet ein Kolloquium der Stiftung Bauhaus Dessau in Berlin in Kooperation mit Telepolis und Archplus mit dem Thema: "Wohnungsnöte - Die Wohnung für das Existenzminimum von heute" statt. Teilnehmer sind:

Omar Akbar Stiftung Bauhaus Dessau
Eckhart Ribbeck Universität Stuttgart
Sabine Kraft Archplus Aachen
Jesko Fezer An Architektur Berlin
Walter Prigge Stiftung Bauhaus Dessau

Vorträge und Diskussion zu Stadt, Armut und Wohnungsnöte. Ort und Zeit: 25. Januar 2008, 13 -18 Uhr, Berlin Aedes am Pfefferberg, Cristinenstr. 18-19

Der Internationale Bauhaus Award 2008

Mit dem Internationalen Bauhaus Award 2008 setzt die Stiftung Bauhaus Dessau ihre Forschung zur „Aktualisierung der Moderne“ fort. Dabei wird ein zentrales Thema des historischen Bauhauses wieder aufgegriffen und in einen zeitgenössischen Diskurs gestellt: Gegenstand des Bauhaus Award 2008 sind Ideen zur Behebung der aktuellen Wohnungsnot in den Städten (Informationen zur Bewerbung).

Gesucht werden gestalterische Entwürfe oder künstlerische Konzepte als auch wohnungspolitische Szenarien oder sozialökonomische Modelle für das Wohnen von Individuen oder sozialen Gruppen, die am Rande des Existenzminimums leben: Wie sichern sich diejenigen, die sich am formellen Wohnungsmarkt nicht adäquat mit Wohnräumen versorgen können, eine bezahlbare Wohnung und damit eine Lebensmöglichkeit in der Stadt?

Neben räumlichen Entwürfen und sozialen Modellen gegen das immer noch zwingende Verhältnis von Armut und Wohnungsnot sind zudem Ideen gefragt für die stadtkulturellen und die ökologischen Dimensionen heutiger Wohnungsnöte, die durch Migration und Klimawandel noch verschärft und existenziell werden.

Alle Teilnehmer müssen sich mit den jeweiligen existenziellen Standards und sozialen Notwendigkeiten der jeweiligen lokalen Gesellschaften auseinandersetzen – für welchen konkreten Ort auch immer sie am Award teilnehmen werden. Unabhängig von Disziplinen und Professionen richtet sich der Internationale Bauhaus Award an junge Gestalter, Künstler und Wissenschaftler. Die Einreichung von Teamarbeiten ist möglich und erwünscht.

Das Grundthema lautet also: Armut und Wohnungsnot. Wie sichern sich diejenigen, die am Rande des Existenzminimums leben, eine bezahlbare Wohnung und damit eine Lebensmöglichkeit in der Stadt? Neben individuellen Strategien werden vor allem Modelle, Ansätze oder Gestaltungen gesucht, in denen das Element der Gemeinschaft eine Rolle spielt. Denn oft handelt es sich hier um Individuen, die Probleme haben, überhaupt einen eigenen Haushalt zu gründen – eine Assoziation mit anderen Individuen könnte hier helfen. Etwa nach dem Beispiel von informellen Wohn- oder Baugruppen, seien es nun kreative Mittelschichtler in Berlin-Mitte oder Favelabewohner am Rande von Sao Paulo, die sich abseits etablierter Institutionen zusammentun, um selbstorganisiert eine Wohngemeinschaft zu bilden, ein Haus zu bauen oder es gemeinsam umzubauen.

Städtisch

Die Landflucht hält an, Armut und Not machen weltweit mobil: Wohnen die meisten Menschen auf der Erde nun in den Städten, so suchen sie hier Arbeit und Zugang zu kommunalen Infrastrukturen, zu Gesundheit und Bildung. Um nicht aus der städtischen Gesellschaft ausgegrenzt und in die Regionen abgedrängt zu werden bedarf es neuer flexibler, zum Teil auch temporärer Modelle für die systemische Integration des existenziellen Wohnens in die urbanen Kulturen. Das Thema lautet hier Mobilität und Migration, gesucht werden trans- oder multilokale Ansätze der Integration von Armut in die Städte.

Nutzen statt Besitzen lautet dafür ein Prinzip, wie zum Beispiel für globale Arbeitsnomaden, die sich nicht mehr dauerhaft im städtischen Raum festsetzen: Weder die exclusive Gruppe von Arbeitsnomaden der multinationalen Unternehmen noch die excludierten Arbeitsmigranten der untersten Industrie- und Dienstleistungsbranchen verhalten sich zur Stadt als sozial feststehenden Vergesellschaftungsraum – sie bewohnen die Städte vielmehr als Basislager von Gütern und Ort der auch temporären Bereitstellung von Dienstleistungen. Statt Fragen sozialer Zugehörigkeit oder kulturellen Differenz rücken in der nomadischen Praxis materielle Fragen der alltäglichen Nutzung von Infrastrukturen und urbanen Räumen in den Vordergrund: Soziale Sicherheit wird hier nicht durch Bildung von Wohneigentum und kulturelle Identität nicht durch dauerhafte räumliche Bindung an Gleichgesinnte in Gated Communities oder ähnlich homogenen, abgeschotteten Stadträumen garantiert.

Ökologisch

Die Ressourcen von lebensnotwendigen Rohstoffen werden weltweit knapper, teurer und damit mehr und mehr existenziell: Der Zugang zu reinem Wasser, frischer Luft und billiger Haushaltsenergie ist, vor allem in den großen Städten, keineswegs selbstverständlich, sondern zunehmend marktwirtschaftlich reguliert und damit eingeschränkt. Bereits heute ist das weltweit für die Mehrheit der Stadtbewohner in den Favelas und Slums dieser Welt der Fall. Der Klimawandel wird diese Situation in Zukunft noch verschärfen – vor allem für arme Stadtbewohner abseits konsumorientierter Lebensstile.

Kann die freiwillige Askese hier ein ökologisches Vorbild sein? In Westeuropa etwa führen 10% der Bevölkerung einen solchen umweltschonenden Lebensstil, der sich durch Verhaltensänderungen realisiert. Statt demonstrativem Konsum nun also demonstrativer Verzicht im Sinne eines „weniger ist mehr“ oder auch „small is beautifull“. Ist das zwar ein Phänomen der bürgerlichen Selbstdisziplinierung, so können solche alltäglich praktizierten Verhaltensänderungen doch Ansätze liefern für die Lösung ökologischer Probleme. Neben der Entwicklung von Umwelttechnologien des Reduzieren oder Vermeiden lautet das Thema hier ökologischer Raumwandel durch asketische Typologien des Wohnens – gesucht werden nachhaltige Gebrauchsweisen von Räumen und Ressourcen im Wohnen.

Gemeinschaftlich organisierte Selbsthilfe, translokale Nutzung von kommunalen Infrastrukturen und nachhaltige Gebrauchsweisen von Umweltressourcen in städtischen Räumen sind beispielhafte Themen, die Ansätze für das existenzielle Wohnen von heute leiten können: Welche Anforderungen folgen aus diesen sozialen, kulturellen und ökologischen Dimensionen des heutigen Wohnwandels für die Existenzsicherung? Der Bauhaus Award 2008 soll sich mit den traditionellen sozialen Standards der Moderne im Feld des Wohnens auseinandersetzen und sie im Lichte der heutigen Parameter von Wohnungsnot überprüfen.

Eingereicht werden können Beiträge im weiten Spektrum von künstlerischen Entwürfen über mediale Präsentationen bis hin zu wissenschaftlichen Arbeiten, die seit Januar 2003 zu einer oder mehreren dieser Dimensionen entwickelt worden sind – von Teilnehmerinnen und Teilnehmern, die zum Zeitpunkt der Fertigstellung ihrer Arbeiten nicht älter als 40 Jahre alt waren.

Einsendeschluss ist Montag, der 31. März 2008. Die Preisverleihung findet am 21. Juni 2008 im Bauhaus Dessau statt. Vor der endgültigen Entscheidung der Jury präsentieren die von der Jury der ersten Runde ausgewählten Kandidatinnen und Kandidaten ihre Arbeiten öffentlich. Nähere Informationen unter www.bauhaus-dessau.de

Preise: Es werden ein erster, ein zweiter und ein dritter Preis vergeben. Der erste Preis ist mit 6000 €, der zweite mit 4000 € und der dritte Preis mit 2000 € dotiert.

Ausschreibung

Jury

Literatur

Der Intenationale Bauhaus Award 2008 wird von Telepolis unterstützt