Womit hat Ex-Doppelagent Skripal sein Geld verdient?
Der mit seiner Tochter weiter von der Öffentlichkeit ausgesperrte Agent hat weiter mit Geheimdiensten kooperiert, offenbar auch gegen russische Kriminelle etwa in Spanien
Auffällig am Skripal-Fall war, wie wenig Beachtung dem ehemaligen Doppelagenten Sergei Skripal zukam. Für eine Aufklärung des misslungenen Mordanschlags mit dem Nervengift Nowitschok wäre es aber wohl sinnvoll gewesen, auch näher zu untersuchen, womit sich der Ex-Agent des russischen Militärgeheimdienstes GRU, der wegen Spionage für den britischen Geheimdienst MI6 seit Ende der 1990er Jahre 2004 verhaftet, 2006 deswegen zu 13 Jahren Gefängnis verurteilt und 2010 mit drei weiteren Doppelagenten in einem amerikanisch-russischen Deal gegen festgenommene russische Agenten, darunter Anna Chapman, ausgetauscht wurde.
Seitdem lebte Skripal mit seiner Frau Ludmila in Salisbury, wo er sich ein Haus für 340.000 Pfund kaufte. Diese ist 2012 gestorben, vermutlich an einem Uteruskrebs. Sein Sohn Alexandr, dessen Ex-Frau auch Tochter eines Geheimdienstagenten ist, starb bei einer Reise nach Russland an Leberproblemen im Jahr 2017. Tochter Julia war in Russland geblieben und wurde zusammen mit ihrem Vater Opfer des Anschlags. Sie soll auch mit einem Geheimdienstagenten befreundet gewesen sein.
Sergei Skripal hatte dem britischen Geheimdienst Informationen über seine Kollegen vermittelt, also über andere Geheimdienstmitarbeiter, angeblich einige hundert. Ob er das aus Idealismus machte, ist schwer zu sagen, auf jeden Fall dürfte das Geld, das er fürs Spionieren erhielt, eine wichtige Rolle gespielt haben. Schon vor seiner Rolle als Doppelagent war er Geschäftlichem nicht abgeneigt. In Spanien, wo er bei der russischen Botschaft als Militärattaché arbeitete, hatte er einen Spanier kennengelernt, mit dem er im Geheimen einen Weinimport startete.
Über den Spanier kam er dann in Kontakt mit Antonio Alvarez de Hidalgo alias Pablo Miller, der ihn 1995 als Spion für MI6 anwarb. 1999 verließ Skripal allerdings schon aus angeblich gesundheitlichen Gründen GRU, arbeitete dann beim russischen Außenministerium, das er 2003 verließ, um ein Jahr später verhaftet zu werden. Für seine Informationen soll er 100.000 US-Dollar erhalten haben. Das wäre allerdings ziemlich wenig. Man fragt sich schon, wie er sein Haus davon kaufen konnte. Die Informationen stammen aus einem Buch des Autors Nikolai Luzan, der über russische Geheimdienste schreibt. Nach einer anderen Version von Mark Urban war sein Kontaktmann in Spanien Richard Bagnall, hier ist nicht die Rede von einer Tätigkeit beim Außenministerium.
Wie schon andere Medien berichtet hatten, scheint Skripal weiter tätig und viel herumgereist zu sein. Vermutlich in Absprache mit dem britischen Geheimdienst soll er anderen europäischen Geheimdiensten etwa in Estland, Spanien oder der Tschechischen Republik Informationen über den russischen Geheimdienst vermittelt haben. Wenn das zutrifft, war vermutlich auch Geld im Spiel. Oft soll er auch weiterhin in Spanien gewesen und sich dort mit Mitarbeitern des spanischen Geheimdienstes CNI getroffen haben. Angeblich soll er dort mitgeholfen haben, gegen russische Kriminelle vorzugehen. Auch Litvinenko soll mit dem spanischen Geheimdienst gegen organisierte Kriminalität von Russen kooperiert haben. Damit wäre man nicht nur bei russischen Geheimdiensten, sondern auch bei russischen Mafia-Organisationen oder aus Russland geflohenen Reichen/Oligarchen, die sich gerne in Großbritannien oder Spanien ansiedelten.
Nicht nur russische Agenten, sondern auch russische Kriminelle sind im Spiel
Nachdem Skripal schon 1999 den russischen Geheimdienst verlassen hatte, kann man sich auch fragen, was er überhaupt noch an aktuellen Informationen anzubieten hatte. Vielfach wurde auch bezweifelt, dass er deswegen Opfer des russischen Geheimdienstes geworden sein könnte, da man ihn schon ausgetauscht hatte, womit unterstellt wurde, dass er schon 2010 nichts mehr Wichtiges verraten konnte. Dagegen wurde die Hypothese gestellt, dass Skripal dennoch deswegen Ziel eines Geheimdienstanschlags wurde, weil man damit mögliche Verräter abschrecken will. Ungeklärt blieb jedenfalls, wovon hat der Doppelagent in Großbritannien eigentlich gelebt bzw. womit er Geld verdient hat. Er könnte nicht nur Geheimdiensten bei der Jagd auf russische Agenten und Kriminelle geholfen haben, sondern etwa auch für dunkle Kreise gearbeitet haben, denen er Informationen weitergegeben haben könnte.
Der Focus will von von einem "ranghohen Mitarbeiter" der NATO-Spionageabwehr Allied Command Counterintelligence (ACCI) in Brüssel erfahren haben, dass Skripal für vier Geheidienste von Nato-Mitgliedsländern gearbeitet habe. Dass Skripal 2012 mit britischen Agenten nach Prag gefahren war und den tschechischen Geheimdienst über russische Agentennetze informiert haben soll, wurde schon vielfach berichtet. Auch dass er sich 2016 in Tallin mit Vertretern des estnischen Geheimdienstes getroffen hat, wurde berichtet. Nach Focus seien aufgrund seiner Angaben drei russische Spione enttarnt werden. Das stritt allerdings der estnische Geheimdienst ISS ab. Es gebe keine Verbindung zwischen Skripal und der Enttarnung des Offiziers Deniss Metsavas und seines Vaters Pjotr Volin, die am 5. September festgenommen wurden. Abgestritten wird allerdings nicht explizit, dass es eine Kooperation gab.
Und der Informant des Focus hat auch bestätigt, dass Skripal mit dem spanischen Geheimdienst kooperiert habe. Dabei soll es "um kriminelle Kontakte der russischen Mafia an der Costa del Sol zu einflussreichen Politikern und Beamten in Moskau" gegangen sein. Bei der Nato schließe man nicht aus, dass diese Kooperationen mit westlichen Geheimdiensten der Grund für den Giftanschlag gewesen sein könnten.
Über die Beschuldigung zweier russischer Männer, die angeblich für den russischen Geheimdienst arbeiten und in der Zeit des Anschlags nach Großbritannien gereist waren und sich in Salisbury aufgehalten haben, scheinen die britischen Sicherheitsbehörden wenig Interesse an weiterer Aufklärung über die Hintergründe zu haben. Skripal und seine Tochter, schon lange wieder gesundet, werden weiterhin an einem geheimen Ort gehalten und sollen offenbar auch nicht in Kontakt mit Medien treten. Möglicherweise wurden sie bereits aus Großbritannien fortgebracht und leben unter anderer Identität in einem anderen Land.
Die von der britischen Polizei identifizierten Alexander Petrov und Ruslan Boshirov sind nach der russischen Regierung Geschäftsleute. In einem Fernsehinterview sagten sie, sie hätten Salisbury nur besucht. Nach einem Bericht der Washington Post hätten Bewohner des russischen Dorfs Berezovka Boshirov als Anatoly Chepiga wiedererkannt, der dort aufgewachsen sein soll. Zuvor waren der russische The Insider und Bellincat unabhängig voneinander zu dem Schluss gekommen, dass Boshirov der Leutnant Chepiga vom GRU ist, der in Tschetschenien und vielleicht auch in der Ukraine tätig war und den Orden "Held der Russischen Föderation" erhalten hat.
Am Donnerstag hatte der Telegraph berichtet, dass die britische Polizei auf die Spur eines dritten russischen Agenten gekommen sei. Der habe vor dem Anschlag die Lage in Salisbury erkundet.