Worin unterscheiden sich Irak und Elfenbeinküste?

Im Streit um einen US-Angriff auf Irak sind auch schwere Differenzen innerhalb Europas zu Tage getreten

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Dass ein zweiter US-irakischer Krieg binnen zwölf Jahren die geopolitische Lage nachhaltig beeinflussen würde, ist eine Analyse, die derzeit quer durch die politischen Lager auf Akzeptanz stößt. Tatsächlich hat schon die Vorbereitung des Krieges erheblich Einfluss auf die politischen Beziehungen zwischen Europa und den USA einerseits, und innerhalb Europas auf der anderen Seite.

Im Disput um einen neuen Irak-Krieg haben sich in Europa drei Blöcke herausgebildet, die das diplomatische Szenarium wohl auch mittelfristig bestimmen werden. Im Süden des Kontinentes formiert sich die von Rechtsregierungen angeführte Staatengruppe aus Spanien, Portugal und Italien. Sie wird vom EU-Anwärter Türkei flankiert. Diese Gruppe steht - von nationalistischen Tendenzen etwa in Italien abgesehen -uneingeschränkt an der Seite Washingtons. Europas Mitte unter der Führung von Frankreich und Deutschland verfolgt eine eigenständige Linie und opponiert gegen den zunehmenden Einfluss der USA sowohl geopolitisch wie auch innerhalb Europas. Dieser Allianz stehen tendenziell die Benelux-Staaten nahe. Entscheidend für die künftige Einflussnahme aber ist der Osten Europas. Hier sieht der US-Außenminister das "neue Europa".

Dass auf Rumsfelds neues Europa Verlass ist, zeigt das Stimmungsbild vor dem drohenden Irak-Krieg. Fast die ganze Region zwischen Deutschland bis Russland steht an der Seite der USA. Zu den Befürwortern der US-Politik gehören neben Polen auch Bulgarien, Rumänien, Slowenien, die Slowakei und die drei baltischen Staaten Lettland, Litauen und Estland. Ihre "gefährliche frühzeitige Solidarisierung mit den USA" (Jaques Chirac) ist tatsächlich ein Spiel mit dem Feuer, müssen sie sich bei Beibehaltung der Washington treuen Politik doch zwischen einer US-dominierten NATO und der EU entscheiden. Innenpolitisch tickt für sie damit eine Zeitbombe: Sehr konkrete Konsequenzen wird die US-Nähe der osteuropäischen Staaten schon im kommenden Jahr haben, wenn über die nächsten EU-Aufnahmen entschieden wird.

Ein Trugschluss wäre nun aber, die Differenzen innerhalb Europas auf eine eventuelle Konkurrenz zwischen progressiven und rückständigen Lager zurückzuführen. Der linke Journalist und Schriftsteller Jürgen Elsässer wies in der Tageszeitung "junge Welt" unlängst auf ein kaum beachtetes Detail hin:

"Was sich die USA bezogen auf den Irak noch erhoffen, hat Frankreich für Côte d'Ivoire, die Elfenbeinküste, schon erreicht: Außenminister Villepin ließ sich vom höchsten UN-Gremium Carte Blanche für ein militärisches Eingreifen in Schwarzafrika geben - in derselben Sitzung, in der er gegenüber seinem US-Kollegen Powell zum wiederholten Male als Friedensengel auftrat."

Nun dürfe Paris seine bis dato 3000 Soldaten in der Elfenbeinküste zum Putschen einsetzen. Mit dem erlangten UN-Mandat "zum Schutz der Zivilbevölkerung" hat sich Paris nämlich nebenbei auch die Legitimation gesichert, gegen die ivorischen Sicherheitskräfte vorzugehen. Worin die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" das "Ende der ivorischen Regierung" sieht, erkennt Elsässer den "Beginn der Rekolonialisierung".

Hoffnung in vermeintlich hehre Ziele von Berlin oder Paris sind demnach unangebracht, auch wenn sie von der Friedensbewegung immer wieder unterstellt werden (Im Gleichschritt zum Frieden). Die Entscheidung über eine Politik, die auf zivilen und zivilisatorischen Grundsätzen beruht, oder imperialen Terrorregimes, die Völkerrecht nach eigenem Gusto brechen, wird weniger von Regierenden als von Regierten entschieden werden. Beachtenswert ist dabei, dass die jüngsten Umfragen nicht nur in Großbritannien, sondern auch in den Staaten Osteuropas die Mehrheit der Bevölkerung gegen einen Angriff auf den Irak sehen.