Würmer oder Pralinen?

Bild: Kira auf der Heide/Unsplash

Was soll man bloß Oma schenken? Eine Anmeldung im Fitnessstudio? Topflappen? Büchergutschein? Oder was? Und, wo wir schon dabei sind: Warum eigentlich? - Eine kleine Naturgeschichte des Schenkens

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Ja, warum schenken wir überhaupt? Das Schenken hat einen guten Ruf; es zeugt anscheinend von Freigiebigkeit, Hochherzigkeit und Altruismus, es zeigt den Menschen von seiner Schokoladenweihnachtsmannseite. Aber verdient es diesen Ruf? "There’s no such thing as a free lunch", weiß die amerikanische Businessweisheit. Viele Geschenke beruhen auf Berechnung.

Wenn Ihnen in der Fußgängerzone jemand eine rote Rose überreicht, wird er mit einem "Danke" nicht zufrieden sein. Geschenke können sehr vielfältig dazu eingesetzt werden, Verbindlichkeiten und Abhängigkeiten zu erzeugen. So nützlich sind sie dazu, dass die Natur schon lange vor dem Menschen auf die Idee gekommen ist. Tiere kennen, wie wir, Geschenke von sehr unterschiedlicher moralischer Schattierung.

Völlig frei von Großzügigkeit und Altruismus ist das Danaergeschenk. Verschiedene Parasiten bieten sozusagen sich selbst als Trojanisches Pferd an. Noch vergleichsweise harmlos ist die Raupe des Ameisenbläulings: Sie gibt sich geruchlich als Ameisenlarve aus und wird daher von Knotenameisen fürsorglich ins Nest getragen und fast zwei Jahre lang wie eine Königin ernährt, ohne aber dem Volk sonderlich zu schaden.

Ärger schon treibt es der Bandwurm Schistocephalus solidus. Er manipuliert befallene Ruderfußkrebse so, dass sie aufreizend vor Stichlingen herumzappeln, bis diese das nahrhafte Geschenk verspeisen - und sich damit zum nächsten Wirt des Wurms machen.

Nachdem der Bandwurm in dem Fisch gewaltig herangewachsen ist, bringt er ihn nun dazu, an der Wasseroberfläche zu schwimmen und macht ihn so Fischreihern zum Geschenk. Die immerhin haben davon keinen Schaden, sondern scheiden nur die Wurmeier wieder aus, auf dass sie aufs Neue von Ruderfußkrebsen gefressen werden.

"Timeo parasitos et dona ferentes", könnte man festhalten. Zu Weihnachten hilft uns dieses Wissen freilich wenig, es sei denn, man schmarotzt an der Großmutter.

Tit for tat, ganz wörtlich

Im moralischen Graubereich bewegt sich die häufigste Form des Schenkens, und zwar die häufigste sowohl im Tier- wie im Menschenreich: dasjenige Geschenk, das eine Gegenleistung erwartet. Man findet es bei Insekten, bei Spinnen und bei Vögeln. Männchen bezirzen ihre Angebetete, indem sie ihr ein Geschenk überreichen. Meist ist dies etwas Essbares: Blauhäher überreichen Würmer, Spinnen hübsch eingewickelte Insekten, Tanzfliegen eingesponnene Beute. Männer: Pralinen.

Dies dient selbstverständlich nicht dazu, unverbindlich Zuneigung zu bekunden, ebenso wenig wie die Zuwendungen eines wohlhabenden Sugar Daddys diesen Zweck haben. Es geht klar um ein "do ut des": Die Werbegeschenke werden überreicht in der Hoffnung auf körperliche Belohnung. Tits for that statt tit for tat. Das scheinbare Geschenk ist tatsächlich ein hübsch verpackter Kauf.

Eine japanische Arbeitsgruppe bringt es sehr behutsam auf den Punkt: "Men, like the male of many animal species, use gifts to build satisfactory relationships with a desired woman." Soll man "satisfactory relationships" in diesem Zusammenhang nun übersetzen als "zufriedenstellende" oder doch eher "befriedigende" Beziehungen?

Jedenfalls ergründet die Forschung Bahnbrechendes: Für die Geschenkwirkung interagieren der Geber und das Geschenk. Frauen freuen sich, wenn ein attraktiver Mann Blumen schenkt, aber nicht, wenn ein Langeweiler das tut. Ei pardauz, wer hätte das gedacht?

Wenn das Geschenk in Wahrheit eine Bezahlung ist, dann ist Betrug eine Verlockung. Denn moralische Erwägungen und echter Altruismus spielen dann keine Rolle, schon gar nicht, wenn Erwischt-Werden keine Konsequenzen hat. Wie auf einem Tauschmarkt geht es dann nur darum, für möglichst wenig möglichst viel rauszuholen. Darum setzen einige Spinnenmännchen auf Mogelpackungen.

In der Hülle aus Seidenpapier, welche sie der Dame überreichen, ist nichts drin. Bevor die Betörte das merkt, ist sie schon befruchtet. Der Spinnenmann hat sein einziges Ziel erreicht. Untersuchungen zeigen, dass es weder seine Überlebenschancen (Spinnenweibchen verspeisen gerne ihre Partner) noch die seines Nachwuchs' erhöht, wenn er die Mutter mit Kalorien versorgt.

Ob die Gliedertiere darüber nachdenken, was sie tun, ob sie Chancen und Risiken abwägen, und ob die Weibchen sich über die Morgengabe freuen, all das ist unbekannt. Es ist ein ritualisiertes Verhalten mit wenig Varianz, und man geht gemeinhin davon aus, dass es instinkthaft durchgeführt wird. Aber weshalb sind dann einige Männchen großzügig, und andere nicht?

Keks?

Nun überreicht man der Oma gemeinhin keine Brautgeschenke. Doch soziale Gegenleistungen können sehr unterschiedlicher Art sein. Kleine Geschenke erhalten bekanntlich die Freundschaft. Sehr schön illustriert das eine wunderschöne Geschichte aus der Geschichte: Als der Staufferkaiser Friedrich II. vom Papst zum Kreuzzug gezwungen wurde, hatte er dazu überhaupt keine Lust. Er war in Sizilien in der arabischen Kultur aufgewachsen, sprach fließend Arabisch und hatte zum christlichen Glauben ein eher distanziertes Verhältnis.

Also tat er, nachdem er mit seinem Heer Jerusalem erreicht hatte, etwas Ungewöhnliches: Er schickte dem Sultan al-Kamil eine Pferdekarawane, beladen mit Gastgeschenken. Der Sultan schickte eine vergleichbare Karawane zurück. Dann begannen sie zu verhandeln. Wie die Wikipedia kurz zusammenfasst: "Dieser Kreuzzug wurde der einzige, welcher friedlich und erfolgreich war."

Bonobos machen es im Prinzip ähnlich. Die kleineren Verwandten der Schimpansen sind allgemein sozialer veranlagt als diese. Während Schimpansen, wie ein Forscher sagte, sich eher töten lassen würden, als freiwillig etwas abzugeben, teilen Bonobos ihr Essen freigiebig auch mit Fremden, ja, sogar bevorzugt mit Fremden. Allerdings motiviert auch die Bonobos dabei keine heiligmäßige Selbstlosigkeit.

Ihr Lohn besteht darin, den Fremden auf diese Weise kennenlernen zu können. Wenn die Forscher das Experiment so arrangierten, dass ein Bonobo einem anderen Zugang zu Bananen verschaffen konnte, ohne mit ihm interagieren zu können, waren die Menschenaffen nicht interessiert.

So können Geschenke also dazu dienen, eine Beziehung anzubahnen oder zu pflegen. Sie sind dann streng genommen nicht uneigennützig, denn für den Geber zahlen sie sich aus durch die Erweiterung der sozialen Möglichkeiten. Er erwirbt Loyalitäten und festigt Koalitionen, die ihm später nützlich sein könnten. Die beschenkte Oma wird vielleicht nicht nur Kekse schicken, sondern auch beim nächsten Familienzoff eine hilfreiche Verbündete sein.

Geschenke aus Dankbarkeit

Solange das Geschenk der Gegenleistung vorangeht, setzt es einerseits Vertrauen voraus, hat andererseits aber immer den Geruch des Kaufs. Das ändert sich erst, wenn sich die Reihenfolge umkehrt. Das Dank-Geschenk bringt zumindest in materieller Hinsicht nichts mehr. Streng betriebswirtschaftlich gesehen ist es rausgeschmissenes Geld. Hier geht es wirklich um Beziehungspflege, oder gar um das besondere Gefühl der Dankbarkeit.

Wer freilaufende Katzen hat, kennt die sicherlich wohlgemeinten, wenngleich meist ekligen Mitbringsel. Im schlimmsten Fall sind sie noch frisch, weil lebendig, und verschwinden hinterm Kleiderschrank. Ob die Katze sich damit tatsächlich für Kost und Logis bedanken will, ist umstritten. Möglicherweise tut sie mit ihren schwerfälligen menschlichen Mitbewohnern auch das, was sie sonst mit tapsigen Katzenjungen macht: Sie bringt ihnen das Jagen bei, indem sie leichte Beute zum Üben mitbringt. Auch in diesem Fall wäre es aber ein Geschenk ohne Gegenleistung.

Auch, weshalb Delphine in Tangalooma auf der ostaustralischen Moretoninsel sich erkenntlich zeigen, ist nicht klar. Sie werden dort seit bald dreißig Jahren allabendlich gefüttert. Und manchmal bringen sie ein Dankgeschenk zurück - frisch gefangene Fische oder Oktopoden etwa, die sie den Mitarbeitern überreichen.

Ähnliches wird vielfach von Rabenvögeln berichtet. Wenn man sie regelmäßig füttert, dann erweisen sie bisweilen durch kleine Geschenke ihre Dankbarkeit. Bekannt wurde 2015 die Geschichte der damals achtjährigen Gabi Mann in Seattle, die seit 2011 täglich die Krähen in ihrem Garten mit Futter versorgte. Bald begannen die Vögel, Kleinigkeiten im Garten zu hinterlassen: Schrauben, verlorene Ohrringe, kaputte Glühlampen, Knöpfe, Muschelschalen - lauter glitzernde Dinge.

Als die Bloggerin Kate St. John einige Jahre später davon berichtete, erzählten einige Kommentatoren von eigenen, ähnlichen Erlebnissen. Der Ornithologe John Marzluff hat solche Geschichten gesammelt und zum Kern seines Buches "Gifts from the Crow" gemacht. Er sieht darin ein Beispiel dafür, wie ähnlich Vögel uns Menschen sind.

Vorausgesetzt natürlich, wir zeigen Dankbarkeit.

Es freut mich, wenn es Dich freut

Und damit kommen wir zur schönsten Form des Schenkens: dem Geschenk aus Zuneigung. Ein Geschenk, dass keinen anderen Zweck hat als den, den anderen glücklich zu machen.

Und das ist gar nicht so einfach. Es setzt voraus, dass man weiß, worüber genau sich der Andere freuen wird. Nicht jede Oma ist begeistert über eine Karte zum Helene Fischer-Konzert. Es kann sehr schwierig und langwierig sein, sich Gedanken über das richtige Geschenk zu machen. Wer nicht bloß das schenken will, was immer schon funktioniert hat, braucht mehr als Empathie für die Gefühle des Beschenkten: Er braucht echte Theory of Mind, also die Fähigkeit, über die Gedanken und Wünsche eines anderen nachzudenken. Selbst vielen Menschen fällt das schwer.

Eichelhäher (auch sie Rabenvögel) können das. Ihre Männchen reichen ihrer Dame auch dann noch gelegentlich Geschenke, wenn sie längst ein Paar sind. Wie ja auch der verheiratete Mann gut beraten ist, gelegentlich einen Strauß Blumen mitzubringen. Mit Blühgewächs kann die Häherin allerdings nichts anfangen; sie ist pragmatischer veranlagt und mag es nahrhaft.

Aber wir kennen das: Mag eine Speise noch so köstlich sein, irgendwann hat man sie über. Das geht Hähern ebenso, und der einfühlsame Gatte achtet darauf: Wenn er sieht, dass seine bessere Hälfte sich an Wachsmottenlarven sattgefressen hat, bietet er ihr Mehlwürmer an, und umgekehrt. Und das völlig unabhängig davon, wonach ihm selbst der Sinn steht.

Ob Oma sich über Wachsmottenlarven freut? Nun, darüber werden wir jetzt in Ruhe nachdenken. Ziel der Bescherung ist jedenfalls, dass sie sich freut. Das zumindest hätten wir jetzt geklärt.