Z.B. George Floyd

Seite 2: I. Eine großartige Ordnung und ihr innerer Feind: kriminelle Charaktere

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Ohne Verklärung ihres Objekts ist diese Liebe nie ausgekommen. Was nicht heißt, gute Amerikaner wären sich nicht im Klaren darüber, dass ihr "pursuit of happiness" als verbissenes Gegeneinander der Konkurrenz abläuft; auch, dass die Heimat der Freien und Gleichen eine soziale Hierarchie aufweist, deren obere und untere Enden drastisch ausfallen. Warum sollte man das auch leugnen, wenn doch feststeht, dass die amerikanische Marktwirtschaft ein "land of opportunity" ist?

Eine Klassengesellschaft ist das sicher nicht, können doch die Mitglieder aller Klassen, die auch dort bekannt sind und gelegentlich so genannt werden, sich gleichermaßen frei entfalten und im Prinzip auch von der einen in die andere aufsteigen. Auch wenn sehr auffällig ist, wie sehr die Amerikaner für ihre Aufstiegsgeschichten auf Hollywood zurückgreifen, sollen die Fantasien bisweilen auf wahren Begebenheiten beruhen.

Doch es sind ohnehin nicht die Resultate der Konkurrenz, die wirklichen Lebensverhältnisse oben wie unten, die diese Konkurrenzgesellschaft so schön machen - und wenn nicht immer so schön, so doch letztlich über Kritik erhaben. Auch die unterschiedlichen und gegensätzlichen Mittel und Zwecke der jeweiligen Konkurrenten können der Schönheit nichts anhaben. Entscheidend sind nämlich die Tugenden der Konkurrenz, die auf allen Rängen der sozialen Hierarchie gefragt sind, insofern auch jeden Rang dieser Hierarchie von Kritik freisprechen: Tüchtigkeit, Ehrgeiz, Beharrlichkeit, List, der richtige Riecher und vor allem: die gute alte amerikanische Selbstverantwortung. Kurz: Gute Amerikaner, alte wie junge, besingen ihre kapitalistische Konkurrenz- und Klassengesellschaft also auf denkbar unsachliche Art als ein einziges Moraltheater.

Doch eines tun sie dabei nicht: die dazugehörigen Härten weichzeichnen. Ihren "way of life" kennen sie als eine sehr fordernde moralische Bewährungsprobe. Deren Härten sprechen nicht gegen das marktwirtschaftliche Glücksstreben selbst, sondern umso mehr für diejenigen, die sich in ihm bewähren. Für die Erfolgreichen gilt das erst recht, deren Tugendhaftigkeit damit schon ziemlich feststeht. Wenn sie sich im Dienste ihres geschäftlichen Erfolgs und ihres privaten Glücks Gesetzesübertretungen erlauben, ist das ärgerlich, wird ihnen aber immer wieder nachgesehen; falls derlei Nachsichtigkeit doch skandalisiert wird, nutzt sich die Aufregung schnell ab; Sozialneid fällt in Amerika auf die zurück, die ihn nicht zu eigenen Aufstiegsträumen veredeln oder wenigstens verstecken können.

Schließlich ist auch den nicht ganz anständigen Erfolgreichen genau das gelungen, worum es ja allen freien Glücksrittern geht; und man muss auch zugeben, dass ziemlich viel und ziemlich viele von deren Glück abhängen. Von diesem Moralüberschuss in der Heimat der freien Konkurrenz ist die Bewunderung für einen Donald Trump nur das aktuellste Zeugnis.

Mit Verlierern des freiheitlichen Lebenskampfs rechnet die Community der Konkurrenten natürlich auch. Dieses Schicksal zu erleiden, ist keine Schande, aber es berechtigt zu nichts. Verlierer, die meinen, Ansprüche an so etwas wie eine staatlich verwaltete Solidargemeinschaft stellen zu können, oder gar eine anklagende Kritik an ihrer Lage erheben, entlarven sich als "losers". Sonst würden sie doch ihren angeknacksten Stolz in das verbissene Bemühen stecken, endlich ein bisschen zu den Gewinnern zu gehören, statt denen ihren Erfolg wegnehmen zu wollen.

Solch unanständige Verlierer grenzen sich selbst aus der Gemeinschaft selbstverantwortlicher Konkurrenten aus und rutschen sehr nahe an die nächst darunterliegende Stufe in der moralischen Hierarchie der amerikanischen Klassengesellschaft. Die ist von den zahlreichen Verlierern bevölkert, die es nicht schaffen, ihre Armut gesetzeskonform abzuwickeln; damit geben sie sich als Kriminelle zu erkennen - als "bad hombres", böse Charaktere, untauglich für die Ordnung und gefährlich für die Erfolgreichen und Anständigen. Kombiniert man das eine mit dem anderen, eine soziale Kritik mit ein bisschen ungesetzlicher Unruhe, ist man endgültig am sittlichen Bodensatz der freien Gesellschaft angekommen und nagt an ihrem Fundament. Die einzige Sprache, die solch unanständige Verlierer verstehen, ist strafende Gewalt.

Das ist nicht bloß die entgleiste Sichtweise rechtschaffener Bürger, sondern kennzeichnet auch die Funktionsweise des amerikanischen Justizwesens selbst. Seine elementar rassistische Logik wird nur dadurch verschleiert, dass darin nicht - jedenfalls nicht offiziell - nach Rassen sortiert und bestraft wird. Gleichwohl beeindruckend sind das Ausmaß und die Konsequenz, mit denen die Justizabteilung des großen Freiheitsstalls von Armut und Kriminalität auf untaugliche Charaktere, auf Verbrechernaturen schließt und diese entsprechend behandelt.

Genauso wenig wie die Härten der marktwirtschaftlichen Konkurrenz wird also auch die Gewalt, die für das ordnungsgemäße Funktionieren des freien Glücksstrebens nötig ist, irgendwie beschönigt oder heruntergespielt, eher glorifiziert und als unerlässliches Werkzeug im Wahlkampfarsenal nicht nur eines jeden Sheriffs, sondern auch aller Politiker bis hin zur präsidentiellen Spitze gewürdigt. In diesem Sinne führt Amerika seit über einem halben Jahrhundert einen Krieg gegen zwei unpersönliche Feinde im Innern: "crime" und "drugs".1

Der Kriegsauftrag wird andererseits sehr persönlich vollstreckt, und zwar vor allem - im Einklang mit der etablierten moralischen Hierarchie des Landes - an den schlechten Charakteren, die weniger an der Wall Street und an den diversen Universitäten, sondern in den bekannten Vierteln hausen. Dort schlagen sich die Verbrecher zwar mit haargenau den gleichen Konkurrenztugenden, aber mit illegalen Techniken des Glücksstrebens durch und entlarven dabei sich und ihre Nachbarn als böse Buben.

Mit dieser praktizierten Liebe zur besten Ordnung der Welt, also diesem Krieg gegen die Unordnung der unanständigen Armen, bringt die Heimat der Freien es zu Strafmaßen und einer Gefängnisbevölkerung, die sich hinter den Feindbildern fremder "Gewaltherrschaften" nicht zu verstecken brauchen; sie gehen schon deswegen in Ordnung, weil ihre Notwendigkeit mit ihrer Existenz Jahr für Jahr bewiesen wird. Gemäß der Logik der Bestrafung, dass sich im Verbrechen der böse Charakter zeigt, ist die Strafe mit dem Gefängnisaufenthalt nicht vorbei, muss nicht einmal mit ihm anfangen; der Verbrecher kriegt seinen offiziellen und moralischen Status als solchen eben nicht so leicht abgeschüttelt.

In den meisten Bundesstaaten wird verknackten Straftätern eine Reihe von bürgerlichen Rechten entzogen, was eine Existenz nach den offiziellen Richtlinien so gut wie verunmöglicht.2 Da ist gelegentlich von einem "Teufelskreis" die Rede, der die ganz weichen Herzen zu höflichen, folgenlosen Bedenken hinsichtlich der Effektivität einer solchen Kriminalitätsbekämpfung bewegt - Gipfel der Barmherzigkeit. Was die zuständigen Politiker selbst betrifft: Von einer "Spaltung" zwischen den Parteien ist zumindest in dieser Frage nichts zu sehen, eher herrscht ein Überbietungswettbewerb.

II. Ein großartiges Volk und sein farbiges Gegenbild

Der Dauerkrieg gegen das Verbrechen ist einerseits eine multikulturelle Angelegenheit. Die armen Mitglieder aller Ethnien begegnen einander nicht nur in den unteren Rängen der sozialen und moralischen Hierarchie, sondern auch auf unterschiedlichen Stufen der Bestrafung durch das Justizwesen. Andererseits ist das, wogegen die "Black lives matter!"-Bewegung auf die Straße geht, nicht zu übersehen: Gleichberechtigung und farbenblinde offizielle Moral hin oder her, die Schwarzen werden von der Staatsgewalt wie von einem stattlichen Teil der Bevölkerung als ein verdächtiges Kollektiv betrachtet und behandelt.

Der Krieg gegen Verbrechen trifft die Schwarzen in besonderem Maße, er zielt nämlich auf sie. Ihre Hautfarbe weist sie als Mitglieder einer gefährlichen Community aus, sodass sie selbst erst recht gefährlich leben.3 Das ist natürlich nicht der offizielle Standpunkt der amerikanischen Staatsgewalt, ist sogar offiziell verpönt; von ihren Agenten wird er gemäß dem polizeilichen Insiderwitz "Racial Profiling gibt es nicht ... aber es funktioniert!" dennoch vollstreckt und von einem bedeutenden Teil der Gesellschaft geteilt.

Den Schwarzen wird die so überaus menschenfreundliche Unterscheidung zwischen guten und bösen, anständigen und kriminellen Konkurrenzcharakteren nicht zugestanden; in ihrem Fall gilt, was für die weiße Mehrheitsbevölkerung nicht gilt: Ihre Rechtsbrüche zeugen nicht von faulen Äpfeln, sondern von einem verkorksten Stammbaum, von einer kollektiven Untauglichkeit für die Ordnung und von einer kollektiven Gefahr für die Ordentlichen.4

Amerika ist das Land der "hard-working" Konkurrenzgeier

Ihren Protest gegen diesen Umstand erheben die Demonstrierenden in der Gewissheit, dass sie damit gegen einen Machtgebrauch und einen Geist antreten, die den Verfassungsprinzipien und dem Selbstverständnis der Nation widersprechen. Die geht schließlich "davon aus, dass alle Menschen gleich geboren sind", gleichermaßen nach "happiness" per Teilnahme an der marktwirtschaftlichen Konkurrenzgesellschaft streben.

In einer Hinsicht haben sie recht - freilich nicht in dem Sinne, dass Amerika es versäumt hätte, "dem Menschen" gerecht zu werden. Die damit benannte abstrakte Kunstfigur, der die amerikanische Staatsgewalt laut Verfassung zu dienen verspricht, steht für den Menschen, der in die kapitalistische Konkurrenzgesellschaft entlassen wird - in eine Produktionsweise, in der es zwar von Gegensätzen, Über- und Unterordnungsverhältnissen zwischen den Menschen wimmelt, in der aber diese privaten Herrschaftsverhältnisse versachlichter Art sind: Die Macht der einen über die anderen entscheidet sich nicht an der Hautfarbe, sondern am Besitz von Eigentum und Geld und daran, ob sie ihr Geld mit eigener oder fremder Arbeit verdienen.

Wenn der amerikanische Staat, wie in jeder erfolgreichen kapitalistischen Demokratie, andere Formen von Unterscheidung und Unterordnung verbietet, dann deswegen, weil er auf diese Unterscheidungen und Unterordnungen Wert legt, näher: auf deren Produktivkraft für den kapitalistischen Reichtum, aus dem er auch seine Machtmittel bezieht.

Die amerikanische Verfassung legt dabei auch Wert darauf, dass die freien Konkurrenten aller Couleur aus ihren versachlichten Konkurrenz- und Klassenverhältnissen eine nationale Identität und Selbstliebe schöpfen - und dass das geht, haben sie mit ihrem 250 Jahre alten "grand experiment in democracy" längst bewiesen. Und zwar mit genau der oben beschriebenen Konkurrenzmoral: Amerika ist das Land der "hard-working" Konkurrenzgeier, die so lange in Harmonie leben, wie sie die Freiheit hochhalten, sich also auf ihre jeweilige Selbstverantwortung an ihrem jeweiligen Platz besinnen.

Dieser offiziell amerikanische, "liberale" Standpunkt findet nichts dabei, die Regie des Kapitals, d.h. der Kapitale als "offene Gesellschaft" zu feiern, als einzig menschengerechte Herrschaftsform, kurz: als die Freiheit des Menschen zu zeigen, was in ihm steckt.

Die völkische Besonderheit der weißen Amerikaner

Die rassistische Sonderbehandlung, mit der die Schwarzen konfrontiert werden, ist die Kehrseite eines in der weißen Mehrheitsbevölkerung fest etablierten Selbst- und Rechtsbewusstseins, das diesen Prinzipien und dieser Moral der Konkurrenz zwar widerspricht, aber als Einspruch gegen sie überhaupt nicht gemeint ist. Im Gegenteil: Das Kollektiv "echter" Amerikaner pflegt das Bewusstsein, nicht bloß das größte Kollektiv im Land der Freien und Gleichen zu stellen, sondern auch die wahren Subjekte dieser einzigartig menschengerechten Ordnung zu sein, die im Regime der Freiheit nicht bloß die bestmöglichen Lebensbedingungen vorfinden, sondern ihr eigenes Werk - und vor allem: ihre eigene völkische Besonderheit.

Dabei ist es offensichtlich gleichgültig, ob sie überhaupt die ökonomischen und politischen Machtmittel besitzen, an diesen Lebensbedingungen irgendetwas zu bestimmen außer ihren eigenen Willen, dabei mitzumachen. Entscheidend für die Einbildung, das Subjekt der freiheitlichen Ordnung zu sein, ist vielmehr die Gewissheit, dass die moralischen Idealisierungen des marktwirtschaftlichen Konkurrierens ihre besonderen Attribute sind, die die anderen allenfalls auch lernen können; dass sie das wahre Konkurrenzvolk, also die vollkommenen Menschen sind, auf die die Verfassung der Nation mit ihrer Apotheose des Menschen, frei und gleich geboren, sich in Wahrheit bezieht - und deren Vorfahren diese Verfassung sich einmal gegeben haben.

Das verschafft den Ärmsten unter ihnen zwar sonst nichts, aber immerhin einen ideellen Lohn: das eingebildete Vorrecht, darüber zu urteilen, ob und inwiefern die anderen Sub-Kollektive der Bevölkerung, die "racial minorities", für die Freiheit der Konkurrenz überhaupt reif sind, ob sie den Schutz der freiheitlichen Staatsmacht beanspruchen können oder ihn eher fürchten sollen. Dieses Recht wird zwar in Wahrheit nur von den wirklichen Herren im Staat und in der Wirtschaft ausgeübt, das sprechen sie aber auch sich als Mitglieder des gleichen Herrenvolks zu.

Die amerikanische Geschichte ist eine wahre Schatztruhe von Beispielen für den ausschließenden Charakter dieses praktizierten Selbst- und Rechtsbewusstseins.5 Die Schwarzen sind davon ein besonderer Fall, lange nach der Abschaffung der Sklaverei. Denn auch ihre Emanzipation ändert nichts daran, dass ihre Hautfarbe alles Nötige über sie verrät: Ihre Anwesenheit auf amerikanischem Boden entspringt nicht dem Willen, das Glück in der freien Konkurrenz zu suchen und darüber einen Beitrag zum Gemeinwesen zu leisten. Dieser Wille ist ihnen also auch nicht zu unterstellen; die Schwarzen sind und bleiben insofern fremd - es ist nicht ihre Ordnung, nicht Ausdruck ihres Freiheitsdrangs.

Das unterscheidet die Schwarzen von den anderen Fremden, die über die Jahrhunderte in kleineren und größeren Wellen Richtung Amerika schippern und zu denen das einheimische Herrenvolk seit jeher ein gespaltenes Verhältnis pflegt. Als Konkurrenten - zunächst um Land, später um Arbeitsplätze in der aufblühenden Industrie, noch später in der wachsenden "Dienstleistungsgesellschaft" - stoßen die je letzten Immigranten bei ihren einheimisch gewordenen Klassenbrüdern traditionell auf Skepsis bis Ablehnung. Was die mittellose Abhängigkeit der eingeborenen stolzen Proletarier Amerikas nicht schafft, das schaffen auch nicht ihre neu eingewanderten Ebenbilder, nämlich den leisesten Zweifel daran zu säen, dass die marktwirtschaftliche Freiheit ein schönes Privileg ist.6

Bei den wirklich entscheidenden Subjekten kommen die Einwanderer tendenziell besser an: anfänglich als Kräfte zur Besiedlung und Bewirtschaftung des eroberten Kontinents und damit zur Konsolidierung der kontinentalen Eroberung; zur Erledigung der Drecksarbeiten beim Aufbau der Infrastruktur, die für die kapitalistische Erschließung des eroberten Landes erforderlich ist; zur Befriedigung des Heißhungers des industriellen Kapitals nach rentabler Arbeit; als Kanonenfutter für den Sieg über den abtrünnigen Süden und später für die Durchsetzung einer immer amerikanischeren Weltordnung; als Wähler für den Sieg in der Konkurrenz um die Macht ...

Die Frage, ob die für Amerika, nämlich für seine herrschenden Instanzen so nützlichen Einwanderer auch als Amerikaner tauglich sind, ist damit überhaupt nicht beantwortet. Wovon Chinesen, irische und italienische Katholiken, Mexikaner u.v.a.m. ihr Lied singen können: Das Land der Freien besteht auf der Freiheit der Kalkulation mit den "armen, geknechteten Massen", die es bei sich aufnimmt;7 und ein freies "einheimisches" Volk besteht auf seinem Vorrecht.

Die Schwarzen sind nicht "foreigners", sondern "niggers", eine untaugliche Rasse

In einem solchen kalkulierenden Verhältnis - dies das Leiden rechtsbewusster weißer Nationalisten - steht der amerikanische Staat zu den Schwarzen von Haus aus nicht. Die sind aus diesem Blickwinkel zwar wie Ausländer, nämlich verdächtige Fremde, können aber nicht als Ausländer behandelt werden. Sie können nicht einmal die Ehre für sich verbuchen, Bürger eines fremden Staats zu sein, also wenigstens anderswo ihre Heimat zu haben. Sie sind nicht "foreigners", sondern eben "niggers", eine untaugliche Rasse, deren "Fremdheit" rein in ihrer Untauglichkeit und Gefährlichkeit für die heimische Ordnung besteht, die nicht bloß "unsere" Ordnung ist, sondern die einzig vollkommen menschliche. Ausnahmen bestätigen die Regel.

Und das ist nicht bloß das Bild, das dessen Anhänger von den Schwarzen pflegen, sondern war bekanntlich auch lange Zeit das offizielle Prinzip ihrer Behandlung durch die amerikanische Staatsgewalt. Nach ihrer Entlassung in die freie Konkurrenz werden sie - in den Südstaaten - in die Rolle von de jure eigenständigen Bauern gedrängt, die aber de facto als billigste Arbeitskräfte der Willkür ihrer Geschäftspartner ausgeliefert sind; politisch werden sie im besten Fall als Bürger zweiter Klasse behandelt, ansonsten von Bürgern und Beamten systematisch terrorisiert.

Im Zuge von zwei "great migrations" fliehen sie in die Metropolen des Nordens und Westens, wo die Herren der kapitalistischen Industrie und der Kriegswirtschaft sie als billige Arbeitskräfte gebrauchen können - und werden dort mit einer staatlichen Bevölkerungspolitik konfrontiert, die nicht gewillt ist, sie als betreuungsbedürftige Lohnarbeiter zu behandeln. Die außerordentliche Ehre, als eine nicht existenzfähige Arbeiterklasse staatliche Betreuung zu genießen, bleibt den Weißen an entscheidender Stelle vorbehalten - sowie der Genuss, in ihren Vierteln nur auf Exemplare ihrer eigenen Rasse blicken zu dürfen.8

Mit dieser ausschließenden Behandlung der Schwarzen konkurrieren die äußerst guten Erfahrungen, die die herrschenden Instanzen mit ihnen machen: als Arbeitskräfte, Soldaten und - wo sich die Sorgen um ihre politische Verlässlichkeit legen - als eine beträchtliche potenzielle Wählerklientel. Kennedy und die anderen Herren des US-Imperialismus sollen zudem gewisse propagandistische Reibungsverluste bei der Versöhnung ihres imperialistischen Anspruchs als Anführer der freien Welt mit der Lage der Schwarzen daheim erlitten haben. Das verschafft der damaligen Bürgerrechtsbewegung eine gewisse Anerkennung von oben und damit entscheidenden Auftrieb.

Am glücklichen Ausgang der Bürgerrechtsbewegung steht dann die offizielle Gleichberechtigung - während "black power" zum Staatsfeind Nummer Eins avanciert. Haarspalterei wird dabei nicht betrieben. Die Militanz und die revolutionäre Rhetorik der "black panthers"; die friedlichen Märsche und patriotischen Töne der Bürgerrechtsbewegten; die Unruhen in den Metropolen als Reaktion auf den Terror der Polizei und vieler inoffizieller Vertreter der echten weißen Amerikaner; das Verbrechen und der Drogenkonsum, die sich in den schwarzen Elendsquartieren ausbreiten - alles steht für dasselbe: für eine allgemeine Missachtung von Amerikas großartiger Ordnung und ihres "way of life". Dies die Geburtsstunde des "Kriegs gegen das Verbrechen", dessen personelle Besetzung schon im Moment der Ausrufung feststeht.

Der innere Feind

Der Rassismus, den die Schwarzen heute durch Polizei und Justiz erfahren, ist eines bestimmt nicht: eine ungerechte Verallgemeinerung schlechter Erfahrungen mit Einzelnen. Es ist genau umgekehrt: Die praktizierte Feindschaft gegen die Schwarzen ist die Weise, wie die Agenten der guten Ordnung und Schutzkräfte des Rechtsfriedens mit dem Auftrag Ernst machen, dass sie es nicht "nur" mit vielen Bösewichtern zu tun haben, sondern - ganz gemäß der Logik eines Kriegs gegen Kriminalität - mit einem inneren Feind, der ganz bestimmt nicht zum guten amerikanischen Gemeinwesen der Selbstverantwortlichen gehört.

Dieser Feind wird ausgeschrieben, gesucht und gefunden. Worauf die Suche trifft: eine fix und fertige, subalterne schwarze Community, wie geschaffen für diese Rolle. 9 Von Amerikas bewaffneten Friedenswächtern bekommen die Schwarzen es mit einer Offensive zu tun, die der Wirksamkeit der Jim-Crow-Gesetze in nichts nachsteht.10 Der private rassistische Terror wird zwar geächtet, findet aber als störende Begleitmusik zum offiziellen Wirken von "law and order" weiterhin statt. Er findet sein schwaches, aber wirksames Echo in den kleinen alltäglichen Demonstrationen der Angst vor und der Verachtung für die Schwarzen.

Stolze weiße Nationalisten oben und unten verstehen sich dabei gut. Die Regierten unter ihnen haben keine Mühe, in den offiziellen rassenneutralen Umschreibungen der inneren Feinde die einheimischen Fremden zu erkennen - zumal die Regierenden mit Hilfe der freien Presse an eindeutigen Bebilderungen von schwarzen Drogensüchtigen und Schwerverbrechern nicht sparen. Der Umstand, dass dabei das letzte Zipfelchen an Eindeutigkeit dann doch fehlt, begründet schon seit Jahren einen amerikanischen Volkssport und Exportschlager der politisch korrekten Art: Manche führen Aufsicht darüber, dass wirklich nur ganz neutrale Ausdrücke in die öffentliche Beratschlagung über den Umgang mit bösen Kriminellen Eingang finden; andere verlegen sich auf die überflüssigste aller Entlarvungen - auf die Aufdeckung und Entzifferung der offensichtlichen "code words" und "dog whistles", mit denen eine rassistische Ordnungspolitik für ein zu egalitären Moralbezeugungen erzogenes Volk verdaulich gemacht wird, ohne dass in der Übersetzung zu viel verloren geht.

Dem ist vor allem zu entnehmen, wie wenig es da zu verschlüsseln gibt - wie klein der Schritt ist von der Konstruktion eines inneren, verbrecherischen Feinds zu dessen personeller Besetzung. Es ist auch so: Wenn eine rassistische Politik gar nicht mit einer rassistischen Terminologie begründet und betrieben wird, sondern mit Beschwörungen der schönen Ordnung, ihrer Werte und des großartigen Volkes, dann wird die rassistische Praxis weniger verdeckt als vielmehr ihre wahre Grundlage im anerkannten Patriotismus offenkundig.

* Eine beachtliche Bilanz haben die Schwarzen also vorzuweisen: Dieses Kollektiv wird konfrontiert erstens mit den Härten, die der Kapitalismus seinen mittellosen Freien und Gleichen beschert, zweitens mit der Verachtung, die ein egalitäres Konkurrenzvolk für seine minderbemittelten Mitglieder bereithält, drittens mit einer unmöglichen Beweislast: Sie sollen den Verdacht entkräften, sie würden als leibhaftiger Rechtsbruch herumlaufen - das Gegenteil steht den Schwarzen ja schon buchstäblich auf die Stirn geschrieben, und das kriegen sie mit keinem Kapuzenpulli der Welt verdeckt. Dafür sollen sie auch und gerade gegenüber der Polizei mit jederzeit sichtbaren Gesten der Unterwürfigkeit den Vorbehalt anerkennen, der gegen sie gepflegt wird; alles andere ist Widerstand und wird bestraft - wie, das ist nun schon wieder auf Video festgehalten worden.

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