Zarif, wir wissen wo dein Proxy steht!
Facebook ist in Iran populär wie nie - trotz und wegen seines Verbotes
Immer wieder kündigten iranische Politiker in den letzten Monaten eine Aufhebung der Internetzensur an. Doch auch an seinem zehnten Geburtstag bleibt Facebook in Iran verboten. Den Menschen im Land ist das ziemlich egal - vielen Politikern auch.
Für einen kurzen Moment schien der Konflikt zwischen Iran und dem Westen wieder aufzubrechen: "Missbrauchen Sie die Gelegenheit nicht, um meine Follower-Zahl zu reduzieren", scherzte der iranische Außenminister, Javad Zarif, am Montag letzter Woche in Berlin beim Pressegespräch. Auf die Frage, warum seine Facebook-Seite "Zehntausende Likes" habe, während Facebook für normale Bürger verboten ist, lautete seine ausweichende Antwort: "Ich habe 830.000 Follower und darauf bin ich sehr stolz." Darüber hinaus sei er leider nicht zuständig.
Rund fünftausend Kilometer entfernt hat Farin weit weniger Anlass, sich über die Likes auf seiner Facebook-Seite zu freuen. Er gehört zu jenen Millionen Iranern, die auf einen freien Zugang zum Netz weiter hoffen müssen. In elf Postings hat Farin tags zuvor Zarifs Rede vor der Münchner Sicherheitskonferenz verbreitet, die besten Zitate ins Persische übersetzt. Lediglich "vier Freunden gefällt das". "Nicht einmal als er vom Ende des Atomprogramms sprach, hat das jemanden interessiert. Da bekommen die Katzenbilder meiner Nichte mehr Likes", ärgert er sich hinter seinem Teheraner Rechner.
Demonstranten trafen sich erst auf Facebook, dann auf der Straße
Farin ist 21, Maschinenbaustudent und auf Facebook - trotz dessen Verbotes. Und trotz der Erkenntnis, dass auch in einem Land, in dem Facebook selbst ein Politikum ist, das Soziale Netzwerk offenbar nur schlecht für politischen Aktivismus taugt. Fünf Jahre ist es her, dass Farin sich auf der Seite anmeldete. "Meine Freunde waren da. Deshalb bin ich dorthin", erklärt Farin seine Motive und gleichzeitig das Geschäftsmodell des Unternehmens.
Fast genauso lang steht Facebook auf der Verbotsliste der staatlichen Zensurbehörde: "Wir sind enttäuscht, dass Nutzer in Iran nicht die Möglichkeit haben, das Internet als Quelle für Informationen über die Kandidaten zu nutzen", lautete das knappe Statement des Unternehmens, als iranische Behörden die Seite im Mai 2009 blockierten.
Wenige Wochen vor der umstrittenen Wiederwahl des iranischen Präsidenten Mahmoud Ahmedinedjad hatte Reformer-Kandidat Mir Hossein Moussavi hunderttausende Anhänger im Netz um sich versammelt. In Online-Foren diskutierten Menschen über die Zukunft des Landes. Politiker riefen auf Facebook zu Demonstrationen auf. Aktivisten protestierten erst in Facebook-Gruppen und anschließend auf der Straße.
Als "Wetten, dass ich 1.000.000 Menschen finden kann, die Ahmedinedjad nicht leiden können" zur beliebtesten iranischen Facebook-Seite aufstieg, ereilte das Soziale Netzwerk das Schicksal von bis zu fünf Millionen weiteren Internetseiten in Iran: Es landete auf der Zensurliste.
Ein Megabyte gegen die Zensur
Auch Farin ging 2009 auf die Straße. Um das Verbot "von irgendeinem US-Konzern" ging es ihm nicht: "Und ich denke, auch sonst niemanden. Ich wollte unser Land gegen die konservativen und religiösen Spinner verteidigen. Vom Facebook-Verbot habt ihr mehr mitbekommen als wir",, sagt er. Online seien Iraner mit und ohne Zensur.
990 Kilobyte klein ist das Programm, das auf Farins vergilbten Röhrenmonitor prangt und von dort aus die Zensurinfrastruktur des Iran aushebelt. Entwickelt hat es ein kanadisches Unternehmen, verbreitet wird es unter anderem von der Deutschen Welle: "MitPsiphon kann man all diese Repressalien umgehen". Zugang zu 260 Millionen Webseiten verschaffe das Programm - pro Woche. "Das Tool gehört quasi zur Grundausstattung jedes PCs", sagt Farin. Und Facebook längst zum sozialen Alltag in Iran.
343 "Freunde" hat Farin auf Facebook, aus 14 Ländern stammten diese, sagt er. In einer Bildergalerie sieht man ihn mit seiner Familie in den Bergen Teherans Skifahren. Sein Account trägt seinen richtigen Namen. Via Twitter lernte Farin seine Freundin kennen. "Auf Facebook trennte sie sich wieder", sagt er und tippt ein Grinsesmiley in den Facebook-Chat. Verabredungen mit Freunden, "Katzen, die wie Hitler aussehen", Unmengen vertrödelter Zeit: In Iran ist das Netzwerk ein Kommunikationsmedium, wie überall auf der Welt. 20 Millionen iranische Nutzer sollen die beiden großen Sozialen Netzwerke haben - mehr als jeder vierte Bewohner des Landes.
Mit der Wahl Rohanis schienen die Zeiten langsamer VPN-Tunnel gezählt
Spätestens mit der Wahl Hassan Rohanis zum iranischen Präsidenten im Juni 2013 mehrten sich die Zeichen, das Land würde die ohnehin wirkungslosen Zensur-Verordnungen der Realität anpassen. Von Twitter-Gründer, Jack Dorsey, auf die Sperren angesprochen, erklärte Rohani im Oktober überraschend: Seine "Anstrengungen" richteten sich darauf, "sicherzustellen, dass mein Volk bequemen Zugang zu allen weltweiten Information erhält, wie es sein Recht ist."
Als im selben Monat Kulturminister Ali Djannati verkündete, Facebook müsse für alle erreichbar sein, schienen die Tage von langsamen VPN-Tunneln besiegelt. Für kurze Zeit waren Facebook und Twitter für jedermann und ohne Anti-Zensur-Software zugänglich. "Ein technischer Fehler" sei Schuld gewesen, entschuldigten sich nur Stunden später die Behörden und stellten den widersprüchlichen Status Quo wieder her. Er hält bis heute an (vgl. Facebook bleibt im Iran gesperrt).
Im religiösen Establishment gilt Facebook als Sünde
Von einer Panne will Farin nichts wissen: "Der Klerus hat Angst, er könnte noch mehr Macht verlieren. (...) Es gibt Leute in der islamischen Republik, die glauben, dass die Regierung die Pflicht habe, Zugang zu bestimmten Dingen im Internet zu verhindern", sagte auch Irans Außenminister, Zarif, am Montag. Diese "Leute" - das ist das religiösen Establishment des Landes.
Immer wieder machen islamische Gelehrte auf den vermeintlich unislamischen Charakter des Sozialen Netzes aufmerksam. Die Mitgliedschaft bei Facebook sei eine Sünde, da es "Sittenlosigkeit verbreite und den religiösen Glauben schwäche", erklärte Großajatollah Lotfollah Safi-Golpaygani im vergangenen Jahr.
Doch selbst unter iranischen Spitzenpolitikern gehört der Account beim amerikanischen Giganten immer öfter zur Grundausstattung der Öffentlichkeitsarbeit: Vom Oppositionellen unter Haussarest, Mousavi, bis zum Präsidenten, Hassan Rohani, der mittlerweile über einen Facebook- und einen Twitteraccount erfügt. Die Postings seien von Freunden geschrieben, gab Rohani kürzlich zuProtokoll.
Auch der konservative Revolutionsführer, Ali Khamenei ist in den Sozialen Netzwerken vertreten, ebenso die liberalen Enkel des Republikgründers, Ruhollah Khomeini. Selbst der Hoffnungsträger der Hardliner bei der iranischen Präsidentschaftswahl, Saeed Jalili, postet auf Facebook und Twitter.
Mehr als Katzenbilder
"Das Verbot von Facebook ist selbst unter Konservativen umstritten", erklärt Shayan Arkian, Gründer des Online-Magazins IranAnders. Die Sperren seien "keine kollektive Entscheidung des Regimes, sondern eine Mischung aus Behördentrott und Ängsten vor religiösem Werteverfall."
"Wir sind auf Facebook, die sind auf Facebook, jeder weiß es, keiner darf es, keinen kümmert es", lautet hingegen die nüchterne Erklärung von Farin. Tage nach der Münchner Sicherheitskonferenz haben Bilder vom Schneefall in Teheran seine Zarif-Posts nun völlig von der Timeline verdängt.
Auf die Frage nach der Freigabe von Facebook antwortete Zarif dann am Montag allerdings doch noch. Auch er hoffe "auf einen freierer Zugang zum Internet." Wenig hoffnungsvoll klingt hingegen seine Ergänzung: Erst müssten "unterschiedliche Interessen ausbalanciert" werden. Doch auch die Gewissheit, dass Facebook selbst in Iran mehr zu bieten hat als Katzenbilder, hat mit Zarif zu tun - wenn auch unfreiwillig. Das iranische Statistikamt ermittelte im letzten Jahr den Post mit den meisten iranischen "Gefällt mir". Der zensurkritische Gewinner: "Welchen Proxy verwenden Sie, Herr Zarif?"