Zeitbombe Schützenvereine
Eines hatten alle jugendlichen Amokläufer der jüngsten Vergangenheit gemeinsam: Praxis an der Waffe
Als 11. September 2001 mit Flugzeugen gemordet wurde, spekulierte man am 12. September, dass die Terroristen am PC trainiert haben könnten In Wirklichkeit waren sie in Pilotenschulen. Wann immer ein Jugendlicher durchdreht, wird als erstes von Computerspielen und Videofilmen gesprochen. Doch das Schießen haben alle jugendlichen Amokläufer woanders gelernt.
Der 16-jährige Amokschütze Martin Peyerl richtete am 1. November 1999 ein Blutbad in Bad Reichenhall an, das außer ihm selbst vier Menschen das Leben kostete und sechs Verletzte zurückließ.. Sein Vater war Mitglied bei den Sportschützen und dem Deutschen Soldaten- und Kameradschaftsbund, einem weiteren Club, "in dem scharf geschossen wird", und auch sein Sohnemann durfte regelmäßig Schießübungen im Wald durchführen. Der Vater bekam unter anderem auch deswegen Ärger, weil die Polizei in seinem Haus 19 Waffen fand und er legalerweise lediglich 17 (sic!) besitzen durfte.
In Brannenburg tötet im 16. März 2000 der 16-jährige Michael F. seinen Internatsleiter und jagt sich selbst eine Kugel in Kopf. Zuvor hatte er sich aus dem Waffenschrank seines Vaters zwei Waffen besorgt. Dieser Vater wiederum gehörte drei Schützenvereinen an, und besaß neben seinen legalen Waffen immerhin noch 70 illegale
Im Februar 2002 erschießt der 22-jährige Adam Labus zwei ehemalige Arbeitskollegen und den Direktor seiner Ex-Schule. Adam Labus wird als Einzelgänger und Waffennarr mit einem Faible für Gotcha beschrieben. Seine Waffen stammten aus illegalen Quellen, was Stoiber zu dem Kommentar veranlasste, dass dieses "schreckliche Ereignis nicht dazu geeignet" sei, "die große Zahl der legalen Waffenbesitzer ins Zwielicht zu setzen.".
Der Mörder von Erfurt, Robert Steinhäuser, der mit 16 Morden sogar die Dimension von Littleton übertraf, besaß seine beiden Waffen, die Pump-Gun und den Revolver, völlig legal. Er gehörte zwei Erfurter Schützenvereinen an, dem Schützenverein Domblick e. V. und dem Polizeisportverein, und verbrachte anscheinend einen Großteil seiner Freizeit mit intensivem Waffentraining.
Dies waren die vier großen Fälle der letzten Jahre, in denen Jugendliche zu Amokläufern wurden bzw. im schulischen Bereich mordeten. Sucht man nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner, so wird man auf der Stelle fündig: Alle vier Mörder hatten bereits ein jahrelanges, intensives Training an realen Waffen hinter sich. Auffällig auch die große Zahl legaler Waffen. Man kann abschätzen, dass im Jahr 2000 lediglich bei 4,1% aller Straftaten "legale" Waffen eingesetzt wurden. Dagegen handelt es sich bei den Amok-Morden (bis auf den Fall Adam Labus) jeweils um legale Waffen, deren Lizenzierung über die Zugehörigkeit zu Sportschützenvereinen erfolgte. Und von den 7,2 Millionen Schusswaffen in Deutschland sind nur 650.000 in den Händen von Sportschützen. Will man die auffällige Überrepräsentanz der Jugendlichen mit Schießclub-Background bei den Amokläufern erklären, reicht der Zugang zu den Waffen als Erklärung allein nicht aus - es geht auch und zumal um die Ausbildung an den Schusswaffen.
Es bleibt kein anderer Schluss übrig als der, dass eine effektive Vorbeugung gegen solche Ereignisse nur möglich ist, indem man Jugendliche von Waffen fernhält, und zwar durch drakonische Verschärfung der Strafen für Eltern, die ihre Waffen nicht erfolgreich vor den Kindern wegsperren, und durch die Verwehrung der Aufnahme von Jugendlichen in Sportschützenvereine. Ob solche Einschränkungen der Sportausübungen hingenommen werden können oder ob die Gefahr von Amokläufen unter allgemeines Lebensrisiko abzubuchen ist, das müsste die Politik klären.
Aber die Politik hat andere Faktoren ausgemacht:
"Die schrecklichen Ereignisse von Bad Reichenhall, Metten und Brannenburg haben uns aufgerüttelt. Wir müssen alles tun, um Gewalt bei Jugendlichen zu unterbinden bzw. zu verhindern. Gewalt bei Jugendlichen hat immer ein ganzes Bündel von Ursachen, die vielfach auch im unkontrollierten Konsum von Gewalt verherrlichenden und schwer jugendgefährdeten Videofilmen und von sogenannten Killerspielen liegen. Der Einfluss der Medien auf unsere Kinder und Jugendliche ist oftmals kontraproduktiv zu unseren Wertvorstellungen, die wir unseren Kindern vermitteln wollen, die gerade auch in den Schützenvereinen vermittelt werden." - Staatsminister und Ministerkandidat Huber am 31.3.2001 zum 50-jährigen Jubiläums des Schützenbezirks Niederbayern.
Auch Kanzlerkandidat Stoiber sprach sich am 27.4.2002 umgehend für ein Verbot von Gewaltdarstellungen in Computerspielen aus. Ob das nützen würde? Bei Peyerl wurden Computerspiele beschlagnahmt, es wurde aber nie bekannt gegeben, welche es waren. Michael F. und Adam Labus scheinen keinen Computer benutzt zu haben. Bei Robert Steinhäuser wurden jetzt Computerspiele beschlagnahmt, bei denen gewinnt, "wer sich mit Waffengewalt den Weg bahnt". Das kann Kingpin sein, Counter Strike oder Tomb Raider.
Das eigentliche Problem, die legale Ausbildung und der legale Besitz von Schusswaffen, wird aber nicht angegangen. Oder nicht wirklich - während in Erfurt gemordet wurde, verschärfte der Bundestag das Waffenrecht minimal und zwei Unionsabgeordnete feierten ihren Erfolg, Schlimmeres verhindert zu haben: Die Pressemitteilung wurde inzwischen zurückgezogen:
Der erste Entwurf der Koalition war geprägt von Ideologie, Uneinsichtigkeit und Mangel an Sachkunde. Rechtstreue Jäger, Schützen und Sammler sollten mit unsinnigen Verschärfungen der Vorschriften belastet werden, obwohl nach allen polizeilichen Erkenntnissen hierfür keine sicherheitspolitische Notwendigkeit besteht. ... So konnten die sinnlose Waffenbegrenzung, die Meldepflicht für inaktive Schützen und die ständige Bedürfnisprüfung verhindert werden. Die Aufbewahrungspflichten wurden nun praxisgerecht gestaltet. Mit der Herabsetzung der Altersgrenze der Sportschützen für Luftdruckwaffen auf 10 Jahre wird der Jugend eine Chance auf Leistung und dem deutschen Schießsport Konkurrenzfähigkeit eröffnet.
Die mangelhafte Aufbewahrung ermöglichte das Morden von Brannenburg und Bad Reichenhall. Dass sie zu früh mit echten Waffen in Kontakt kamen, scheint alle vier Mörder den Weg zu Tat gebahnt zu haben. Doch hier auf Besserung von Seiten der Politik zu hoffen, ist mit Sicherheit vergebens: Stoiber, der gerne Gewalt in Computerspielen verbieten würde, ist Ehrenvorsitzender der "königlich privilegierten Feuerschützengesellschaft Wolfratshausen", deren Homepage gleich demonstriert, mit welchen Waffen im beschaulichen Wolfratshausen scharf geschossen wird.