Zeitenwende: Ist ein grüner Kapitalismus möglich?

Der Politikwissenschaftler Ulrich Brand überbringt unbequeme Botschaften. Archivbild: Heinrich-Böll-Stiftung

Der Politikwissenschaftler Ulrich Brand überbringt unbequeme Botschaften. Archivbild: Heinrich-Böll-Stiftung / CC-BY-SA-2.0

In der multiplen Krise stellt sich die Frage nach Alternativen. Geht Wachstum auch nachhaltig – oder ist das eine Illusion? Gespräch mit Ulrich Brand (Teil 1)

In ihrem neuen Buch "Kapitalismus am Limit" entwerfen Ulrich Brand und Markus Wissen drei Szenarien dafür, wie es mit der Menschheit in der globalen Krise weitergehen könnte: Kommt ein grüner und reformierter Kapitalismus, kommt eine Stabilisierung durch autoritäre Strukturen oder lässt sich eine neue, solidarische Perspektive gewinnen und – in wahrscheinlich harten Konflikten mit herrschenden Interessen – auch umsetzen?

Letztere kann es zumindest nicht innerhalb der bekannten imperialen Ausbeutungsverhältnisse geben, auf die der grüne Kapitalismus und die autoritären Machthaber – von Trump über Bolsonaro bis Putin – explizit setzten und setzen. Ulrich Brand sprach mit Telepolis über grüne Illusionen, autoritäre Rollback-Versuche und mögliche Alternativen.

Ihr Buchtitel "Kapitalismus am Limit" erscheint sehr kämpferisch. Haben Sie sich seit Ihrem letzten Buchprojekt mit Markus Wissen, "Imperiale Lebensweisen", radikalisiert?

Ulrich Brand: In dem Buch von 2017 haben wir vor allem den Begriff der "imperialen Lebensweise" entwickelt. Damit bezeichnen wir Produktions- und Konsummuster, die auf einer ungleichen Aneignung von Natur und Arbeitskraft innerhalb unserer Gesellschaften und im globalen Maßstab beruhen.

Sie prägen den Alltag in den Gesellschaften des globalen Nordens sowie der Mittel- und Oberklassen des globalen Südens und verursachen hohe soziale und ökologische Kosten.

Firmenstrategien sind mächtiger als individueller Konsum

Die imperiale Lebensweise ist nicht einfach eine Frage individueller Konsumentscheidungen, sondern eine tief verankerte Struktur und umfassende Lebensbedingung. Sie ist historisch gewachsen und wird wesentlich von profitorientierten Unternehmensstrategien und machtvollen Politiken vorangetrieben und ist in Infrastrukturen, wie Produktionseinheiten, Vertriebswegen, Straßen und Flughäfen festgeschrieben.

Während wir eben damals diesen Begriff entwickelten, nehmen wir im neuen Buch eine Zeitdiagnose vor. Wir nehmen eine Diagnose dessen vor, was im (Arbeits-)Alltag der Menschen ganz praktisch gelebt wird. Im neuen Buch sind wir in der Tat skeptischer als vor sieben Jahren, was die wirksame Bewältigung der ökologischen Herausforderungen und vor allem der Klimakrise angeht.

Zunächst: Gibt es überhaupt einen "grünen Kapitalismus" oder ist das ein Widerspruch an sich? Anders gesagt, kann beispielsweise mit nachhaltigen Produkten, die lange Betriebszyklen haben oder einen ressourcenschonenden Umgang mit der Natur, überhaupt Geld verdient werden oder ist das nicht immer subventionsabhängig?

Ulrich Brand: Wir argumentieren, dass es für viele politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Akteure wichtiger wird, unsere Produktions- und Lebensweise zu dekarbonisieren. Die Klimakrise ist gesellschaftspolitisch ein Top-Thema. Staatliche Politik und Unternehmen kommen unter Druck. Denken wir an die Zunahme der Produktion und des Verbrauchs von erneuerbaren Energien, Elektroautos oder den Initiativen, Stahl künftig mit Wasserstoff zu produzieren.

Ewiges Wirtschaftswachstum: Keine Chance für "grüne" Ziele

Es wird dann oft von "grüner Ökonomie" oder "grünem Wachstum" gesprochen. Doch das bleibt eben unter den kapitalistischen Macht- und Vermögensverhältnissen und entlang der kapitalistischen Expansions- und Wettbewerbslogik. Auch die globalen Ausbeutungsverhältnisse werden nicht hinterfragt, sondern der Kolonialismus wird um grüne Elemente ergänzt.

Damit werden die "grünen" Ziele nicht erreicht. Und wir sehen, dass es bisher weltweit zu einer Zunahme der fossilen Energieerzeugung und Industrie und gleichzeitig zu einer Zunahme von erneuerbaren Energien und "grüner" Technologie kommt. Eben, weil die Wachstumslogik nicht infrage gestellt wird.

Die strukturelle Blindheit der Profitlogik ist fraglos beklagenswert, aber wenn wir uns die Konsumseite anschauen, dann muss konstatiert werden, wie sehr Lebensentwürfe im globalen Norden eng mit dem Kapitalismus verbunden sind. Wie kann glaubhaft eine solidarische Zukunft und ein besseres Leben ohne Flugreisen und eigenen Pkw vermittelt werden?

Ulrich Brand: Das ist in der Tat so und ja auch unser zentrales Argument. Die kapitalistische Wachstumsmaschinerie bietet vielen Menschen, insbesondere im globalen Norden, aber auch im globalen Süden, gute Arbeits- und Einkommensverhältnisse. Für andere ist die imperiale Lebensweise ein mehr oder weniger attraktives Versprechen einer besseren Zukunft.

Marktwirtschaft: Armut vs. Konkurrenz und Dauerstress

Sie wird vor allem von den meisten als alternativlos empfunden. Doch wir sollten nicht vergessen, dass es auch hierzulande und noch mehr in anderen Weltregionen Prekarität und Armut, Leid an den Verhältnissen durch Dauerstress und Konkurrenz und vieles andere gibt. Und dass wir eben zügig unsere biophysischen Lebensgrundlagen ruinieren.

Zur Frage der Alternativen: Es geht nicht zuvorderst – wie oft beim Thema Nachhaltigkeit suggeriert wird – um individuelle Konsumentscheidungen. Gute Lebensbedingungen für eine solidarische Lebensweise müssen gesellschaftlich geschaffen werden, und zwar gegen mächtige fossile Interessen.

"Der Umbau muss ein sozialer und ökologischer sein"

Ein gut ausgebautes öffentliches Verkehrsnetz, inklusive attraktiver Sammeltaxis auf dem Land, eine weitgehend saisonale, ökologische und regionale Landwirtschaft. Es muss aber auch glaubwürdig sein und daher erst mal daran ansetzen, dass es keine Privatjets und immer größere Autos gibt. Der Umbau muss ein sozialer und ökologischer sein.

Zur Konsumlust kommt hier die Not: Viele befinden sich in einer Art "Schuldknechtschaft". Jetzt kommt die Wissenschaft und sagt: Ihr habt falsch gelebt! Die finanzielle Überforderung durch Eigenheimbau und das Abbezahlen des SUVs war unsinnig, weil für diesen Lebensstil die Ressourcen fehlen. Der Widerspruch ist vorprogrammiert, nicht wahr?

Ulrich Brand: Die Wissenschaft als solche gibt es ja nicht. Ein Gutteil der Wirtschaftswissenschaft predigt ja immer noch Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit um jeden Preis und stellt die Ausbeutung von Menschen und Natur nicht infrage.

"Immer mehr Eigenheime und SUVs geht eben nicht"

In meinem Fach der Politikwissenschaft spielt der Blick auf umfassendere gesellschaftliche Entwicklungen kaum eine Rolle und die ökologische Krise wird nur am Rand behandelt – oft als "Politikfeld" im Sinne von Umweltpolitik. Doch es gibt naturwissenschaftliche Einsichten und auch Teile der Sozial- und Geisteswissenschaften, die die Reichweite der Probleme erkannt haben.

Immer mehr Eigenheime und SUVs geht eben nicht und wir benötigen ein politisches und gesellschaftliches Bewusstsein, dass sich da etwas ändern muss. Und dann müssen entsprechende Politiken entwickelt werden.

Wichtig ist, dass der Umbau nicht auf dem Rücken der Schwächeren ausgetragen wird. Und nochmal zu Ihrer Frage: Ist denn "Schuldknechtschaft" ein erstrebenswerter Zustand oder wird uns das nicht von den Banken und Firmen aufgedrängt als ein nur vermeintlich attraktives Leben?

Die Gefahr von rechts, die mit autoritären Antworten lockt, wird in Österreich im beginnenden Nationalratswahlkampf deutlich. Der Spitzenkandidat der FPÖ, Herbert Kickl, sagt, wenn diese Gesellschaft noch irgendeine Chance haben soll, müsse man ihn wählen. Er sieht sich auf einer Art Anti-Klima-Kreuzzug. Dagegen müsste ein breites Bündnis auftreten. Gefährden Sie dies mit ihrer Kritik am grünen Kapitalismus?

Ulrich Brand: Zunächst plädieren wir ganz entschieden für eine Dekarbonisierung der Wirtschaft. Doch die muss eben weitergehen, E-Autos und eine immer weitere Digitalisierung sind eben nicht die Lösung. Und wir sagen, dass die herrschenden grün-kapitalistischen Strategien leider nicht die von vielen Menschen empfundene Ungleichheit angehen.

Warum Jobverlust und höhere Preise für Schwächere?

Warum sollen die Schwächeren nun Jobs verlieren, höhere Preise akzeptieren und in prekäre Lebensverhältnisse getrieben werden, während die Vermögenden, Reichen und Hyperreichen so weitermachen wie bisher?

Daran setzt die autoritäre Rechte an: "Wählt uns und wir sichern euch die bisherigen Lebensverhältnisse, indem wir vor allem die Migration reduzieren." Das ist ein falsches Versprechen, weil ja die extreme Rechte die Ungleichheiten in der Regel gar nicht bekämpft.

Es ist ein autoritärer Populismus, der jene verachtet, die sie wählen. Doch solange die Parteien der Mitte und links davon sich nicht trauen, Macht- und Verteilungsfragen glaubwürdig anzugehen, bleibt das ein leichtes Spiel der FPÖ, gegen "die da oben" zu wettern.

"Kapitalismus am Limit" von Ulrich Brand und Markus Wissen ist im Oekom-Verlag erschienen.

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