Zensur in der Bitbananenrepublik
Lernt man aus der Blamage der Sperrung von xs4all durch den DFN
Passend zur wissenschaftlich haltlosen Sperrung von xs4all.nl durch das Deutsche Forschungs-Netzwerk DFN fand in Amsterdam ein Kongreß von Internet Service Providern und Telcos statt. Auf dem Amsterdamer Messegelände waren vom 16. bis 18.04.1997 viele bekannte Nasen aus der Netzwelt vertreten. Der Eintritt für alle drei Tage betrug gut 1500 US-Dollar. Bewaffnet mit dem Stativ einer Sony Digitalvideokamera des lokalen Amsterdamer Kabelfernsehsenders "Myster 2000" kam ich gratis rein.
Der dritte Tag war geteilt in "Technical Workshops" und "Legal and Regulatory Forum". Es muss davon ausgegangen werden, dass die Bundesanwaltschaft keinen Vertreter zu dieser Konferenz zu Fortbildungszwecken geschickt hat. Das wäre zwar etwas teurer als das Briefporto für ein Zensurschreiben an das DFN, aber gesamtgesellschaftlich billiger als die Flurschäden gewesen.
Besonders die Podiumsdiskussion: "ISP - Common Carrier, Broadcaster or Publisher?" war lustig. "Can and should the Net be censored? Should ISP's be held responsible for the content accessed via their POP's?" war der Untertitel. Die englische Anwaltsfirma Bird & Bird übernahm die Einführung und auf dem Podium hockten einer von der EU, einer von der Deutschen Telekom, einer von Belgacom sowie VertreterInnen von ISP-Vereinigungen aus der BRD (*nicht* von der Gilde der ICTF), aus .uk und .nl. Für "The Netherland IP Association" saß Felipe Rodriquez auf dem Podium.
Es war so absurd: da kommen die Bosse (CEOs) von UUNET, MFS Europe, Earthlink, der Präsident von AOL und ein Haufen mehr Leute aus dieser Preisklasse nach Amsterdam und hören auf einer Konferenz zur Zukunft des Internet mit Netz-TV und Real Audio, dass gerade aktuell "the german scientific network" www.xs4all.nl *komplett* sperrt, also auch den Belgrader Real-Audio-Oppositionssender B92.
Auf dem Podium der Chef der niederländischen Providervereinigung: zensurbetroffen, ruhig und sehr freundlich. Good old Europe live. Auch für den "Head of Internet Services" bei BSkyB, Murdochs britischen Pay-TV, war der Zensurfall sehr wichtig.
Das war eine Präsentation von Kohls Bitbananenrepublik, wie er es in seinen schlimmsten Alpträumen eher nicht befürchtet hätte. Sie geschah am Freitag, dem 18.04.97, zu Amsterdam vor wichtigen Entscheidungsträgern der Internet-Zukunft aus aller Welt.
Die geistigen Nacktschnecken bei BKA und Bundesanwaltschaft sowie das von diesen überrollte DFN blieben danach noch immer für mehrere Tage begriffsstutzig, bis endlich die XS4ALL-Sperre aufgehoben wurde. Das war die teuerste Zensur in der Geschichte der BRD.
Da Helmut Kohl zumindest ein Fünkchen wirtschaftspolitischen Verstand hat, ist Zensur in Deutschland jetzt Chefsache und auf dem Gebiet wird nichts mehr verboten ohne seine Paraphe. Doch es wird wohl schon zu spät sein: das DFN hat den Internet-Standort Deutschland kaputt zensiert. Es wird lustig zu beobachten, wie es weitergeht in der BRD: bleibt es bei den bisherigen Wadenbeisser-Methoden der Netzzensur und der Erhebung von Anklage gegen den Chef von CompuServe Felix Somm und gegen andere?
Der durch die Netze wandernde Brief von G.I.L.C an Helmut Kohl dürfte der erste offene Brief sein, den er gegen seine Prinzipien nicht ignorieren kann. Vielleicht tritt nach dieser wirtschaftspolitisch unendlich teuren Blamage in Amsterdam doch ein Umdenken ein und die zensurwütigen deutschen Nacktschnecken werden von der Politik zum dem gemacht, was sie sind: zur Schnecke.
(c) Wau Holland für eMailPress, der agentur gegen den strich...