Zentralasien: "Russland ist ein Weg in die Isolation"
Wie verändert der Ukraine-Krieg in einem Land wie Kasachstan das Verhältnis zu Moskau? Von Freundschaft bleibt formelle Partnerschaft mit Vorbehalten. Ein Gespräch mit dem usbekischen Politologen Temur Umarow.
Verliert Russland aktuell Einfluss in Zentralasien? Hat sich das Verhältnis zu bisherigen Verbündeten dort in Folge des Ukraine-Krieges verschlechtert, wie immer wieder zu lesen ist? Telepolis sprach darüber mit dem usbekischen Politologen und Zentralasienexperten Temur Umarow.
Herr Umarow, zwischen Tadschikistan und Kirgisistan gab es in den letzten Monaten bewaffnete Grenzkonflikte. Russland möchte, dass der zentralasiatische Raum geeint als Gegengewicht zum kollektiven Westen auftritt; und solche Kämpfe sind keinesfalls im russischen Interesse. Ist es ein Zeichen für schwindenden russischen Einfluss, dass die örtlichen Konflikte dennoch offen aufbrechen, da man keine Angst mehr vor den Russen hat?
Temur Umarow: Das ist eine sehr gute Frage. Ich sehe es auf zwei Arten. Zum einen hat der Konflikt zwischen diesen beiden Staaten nichts mit Russland zu tun. Und allgemein bin ich kein Befürworter dieser Idee, dass zentralasiatische Konflikte etwas mit Russland oder russischen Interessen zu tun haben. Das hat seine Wurzeln in den letzten Jahrzehnten und einer wachsenden nationalistischen Rhetorik vor allem in den letzten Jahren, wodurch es eine neue Qualität bekam.
Beide Seiten - die politischen Eliten der Tadschiken ebenso wie der Kirgisen - produzieren so auch ein äußeres Feindbild, um den inneren Zusammenhalt so stärken. Russland hat sich da nicht eingemischt und wird es weiter nicht tun. Es wäre unmöglich, hier durch Friedenstruppen oder andere Eingriffe eine Lösung herbeizuführen. Beide Seiten wollen keine Zugeständnisse machen und ohne solche gibt es keine Lösung.
"Ein geeintes Zentralasien wäre im russischen Interesse"
Russland ist also Zuschauer? Und sieht die Konflikte eher entspannt?
Temur Umarow: Das nicht. Ein geeintes Zentralasien wäre schon im russischen Interesse, um den USA und der Nato gemeinsam entgegenzutreten. Doch diese Erwartung Moskaus ist eher unrealistisch und informierte Leute dort wissen das. Sie sehen, dass Zentralasien zur Ukraine eine eher pragmatische Haltung einnimmt. Und deshalb unterstützt es auch nicht diese russische Konfrontation mit dem globalen Westen. Es wäre einfach nicht im eigenen Interesse.
Beide Staaten –Tadschikistan und Kirgisistan – sind ja in einem von Russland dominierten Verteidigungsbündnis, dem Vertrag über kollektive Sicherheit. Ist das dann ein Streit unter Verbündeten, wie der zwischen Griechenland und der Türkei innerhalb der Nato?
Temur Umarow: Ich verfolge den Konflikt zwischen Griechenland und der Türkei nicht genug, um die Rolle der Nato dort einschätzen zu können. Aber die Vertragsorganisation ist auch komplett anders als die Nato. Sie ist bekannt dafür, dass sie wenig effizient ist und viele Probleme nicht lösen kann.
Nur einmal – in Kasachstan im Januar – hat sie tatsächlich eine politische Krise mit eingedämmt. Viele werten das als Beleg, dass die Organisation nicht nur ein Papiertiger ist, sondern eine Militärmacht. Aber sie ist in Wirklichkeit nur ein Konstrukt, über das Moskau sein Ziel durchsetzen will, in Zentralasien befreundete politische Regime zu erhalten.
Im Falle von Grenzkonflikten dagegen werden sie ignoriert, sie können von der Organisation nicht gelöst werden, da sie schwach ist. Anders als die Nato, die aktiv bei vielen Konflikten mit US-Beteiligung mit von der Partie ist. Formal mögen beide ähnliche Ziele haben, real nicht.
Sie haben von Kasachstan gesprochen. Hier hört man auch oft, dass sich dessen Beziehungen zu Russland verschlechtert haben. Kasachstan nimmt ja viele russische Flüchtlinge vor der Mobilmachung auf.
Temur Umarow: Das ist die russische Sicht. Aus der Sicht der Kasachen sind die Beziehungen stabil und normal. Man hält alle Verträge mit Russland ein. Die Kasachen schließen nur die Grenzen nicht, weil es zwischen den Staaten keine Visumpflicht gibt und normalerweise kaum Kontrollen gibt.
Beide Staaten haben eine Zollunion, Kasachstan blockiert den Zugang für russische Importeure nicht und verhängt auch keine Embargos für Warenlieferungen nach Russland. Das Gleiche kann man nicht über Russland sagen - etwa Zuckerexport ist jetzt verboten, was zu einer ziemlichen Krise in Kasachstan geführt hat.
"Kasachstan muss Russland nicht bei allem Beifall klatschen"
Und die fehlende Unterstützung Kasachstans für den russischen Ukraine-Kurs?
Temur Umarow: Kasachstan muss nach den getroffenen Vereinbarungen nicht Russland bei allem, was es tut, unterstützen und überall Beifall klatschen. Gerade nicht, wenn eine Rakete in der Ukraine einen Spielplatz trifft oder Russland Referenden abhält über Gebiete, die von ihm gar nicht komplett kontrolliert werden und die eigentlich zur Ukraine gehören.
So können wir sagen, dass mit dem Kriegsbeginn der informelle Schleier der Freundschaft zerrissen wurde. Kasachstan ist nicht mehr bereit, mit einem Lächeln im Gesicht zu sagen, dass mit der Krim nicht alles eindeutig ist. Diese Floskeln gehören der Vergangenheit an. Kasachstan versteht, dass die Dinge, die in der Ukraine geschehen, nicht hinnehmbar und auch für die Kasachen selbst riskant sind.
Inwiefern riskant?
Temur Umarow: Nun, Russland könnte seine Logik, die es für den Angriff auf die Ukraine anwendet, einfach übertragen und gut Anspruch auf einige Gebiete Kasachstans erheben. Das ist dort natürlich nicht erwünscht. Deswegen ist die Freundschaft vorbei, der formale Aspekt der Partnerschaft besteht aber weiter. Kasachstan zerbricht diese nicht, stellt die wirtschaftliche Zusammenarbeit nicht ein. Es sagt immer noch, Russland sei ein wichtiger Partner.
Haben die Kasachen da keine Angst, Russland könnte versuchen, eine prorussische Regierung zu schaffen, wie man es ja in der Ukraine versuchte?
Temur Umarow: Noch prorussischer wäre nur eine Regierung, die Russland ihre Territorien überlässt. Ich glaube nicht, dass man in Russland auf solch eine Regierung in Kasachstan hoffen kann. Es würde einfach kasachischen Interessen widersprechen. Kasachstan will einfach eine normale wirtschaftliche Entwicklung, die eine zufriedene Gesellschaft ermöglicht, anders als in den letzten Jahren. So kam es ja zu den Protesten.
Dazu muss Kasachstan Teil der globalen Wirtschaft sein, Zugang zu anderen Volkswirtschaften haben, die die kasachischen Ressourcen benötigen. Russland alleine kann das nicht leisten. Russland braucht selbst keine Ressourcen.
Und zu sagen, dass man durch eine Stärkung der Wirtschaftsbeziehungen mit Russland ein besseres Standing in der Weltwirtschaft bekommt, gehört jetzt der Vergangenheit an. Russland ist eine Sackgasse, ein Weg in die Isolation. Als starker Partner von Russland geht man zusammen mit ihm in die Isolation.
Ist Russland dann gegenüber Kasachstan machtlos?
"Tokajew setzt nicht komplett auf die chinesische Karte"
Temur Umarow: Es unterbricht immer wieder die Lieferung durch die Transkaspische Pipeline. Es übt politisch und informell Druck auf Kasachstan aus. Aber drastische Folgen davon bleiben aus. Kasachstan verwendet auch keine nationalistische Rhetorik, etwa bei den Rechten der russischsprachigen Minderheit. Auch setzt Tokajew nicht komplett auf die chinesische Karte, da er weiß, er hat genauso eine lange Grenze zu Russland wie zu China.
Wird diese kasachische Politik erfolgreich sein?
Temur Umarow: Solange es keine antirussische Stimmung innerhalb Kasachstans gibt, wird das Land meiner Meinung nach sicher sein. Russland hat dann keinen Grund, so über Kasachstan zu sprechen, wie es jetzt über die Ukraine spricht. Sollte sich das ändern, wächst das Risiko russischer Versuche, die Innenpolitik in Kasachstan zu beeinflussen.
Die USA haben ja auch ein Abkommen mit Kirgisistan geschlossen. Ist das ein Versuch, noch mehr Zwietracht in Zentralasien zu säen?
Temur Umarow: Nein, das glaube ich nicht. Das ist kein Versuch, Russland zu verdrängen. Eher einer Kirgisistans, normale Beziehungen mit den Vereinigten Staaten herzustellen. Denn der dortige Staatschef Atambajew hat das zuvorige Abkommen gekündigt, nachdem ihn die USA wegen der Menschenrechtssituation kritisiert hatten – das betrachteten die Kirgisen als Einmischung in ihre inneren Angelegenheiten.
Jetzt will man die dadurch unterbrochenen Beziehungen zurück. Früher waren die USA tatsächlich in Zentralasien engagiert, sie hatten ja Truppen vor Ort im Afghanistan-Konflikt. Jetzt aber ist es für zentralasiatische Staaten viel schwerer geworden, in Washington die Aufmerksamkeit irgendwelcher Senatoren zu bekommen.
Seit die USA Afghanistan verlassen haben, ist für sie das Thema Menschenrechte wieder bedeutender geworden. Und es gibt ein neues Interesse: Die Gegnerschaft zu China und Zentralasien in die große Konfrontation mit China einzubeziehen. Man will die Asiaten beeinflussen, dass es besser sei, mit anderen Staaten zusammenzuarbeiten. Es ist aber eine große Frage, ob diese US-Politik erfolgreich sein wird.
Temur Umarow ist Absolvent von Universitäten in Moskau und Peking in Internationalen Beziehungen, Weltwirtschaft und Sinologie sowie Gastexperte für China und Zentralasien beim überparteilichen Thinktank Carnegie Endowment for International Peace.