Zeugen Jehova: Closed Shop mit großer Außenwirkung
Seite 2: Erleuchtung in der Ehe
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Sie sprachen es schon an, Sie waren Opfer häuslicher Gewalt. Wie weit verbreitet ist das bei den ZJ?
Francis Tanya Luce: Da spreche ich allerdings aus persönlicher Erfahrung. Darüber habe ich ein Buch geschrieben, "Francis Gefängnis", das bald veröffentlicht wird.
Innerhalb der lokalen Versammlung, wo ich zuletzt war, gab es etwa 100 aktive Mitglieder. Davon war ca. die Hälfte von häuslicher Gewalt betroffen. Entweder wurde darüber geschwiegen oder die Fälle, von denen ich wusste, hatten große Probleme innerhalb der Versammlung.
Die Opfer werden im Stich gelassen, da die Zwei-Zeugen-Regelung verhinderte, dass eine Aufklärung und polizeiliche Untersuchung stattfinden kann.
Mein Ex-Mann tat mir schwere körperliche und sexualisierte Gewalt an. Darüber durfte ich nicht sprechen, schon gar nicht wurde der Täter zur Rechenschaft gezogen.
Im Gegenteil: Ich wurde diskriminiert, diffamiert und gemieden, in dem Augenblick, als ich darüber sprach. Ich wurde aufgefordert, zum Täter zurückzugehen, um die Ehe aufrecht zu erhalten oder allein zu bleiben, da die Ehe nicht als aufgehoben gilt, auch nicht im Falle von häuslicher Gewalt, und auch nicht, obwohl ich seit 1998 rechtlich geschieden bin. Diese Scheidung vor einem weltlichen Gericht wird von der Organisation nicht anerkannt.
Welche Hilfe können Betroffene sich von außerhalb holen?
Francis Tanya Luce: Im Grunde gar keine, da das intern geregelt wird, wie ich schon sagte, es darf nicht drüber gesprochen werden, geschweige denn, dass es Konsequenzen für die Täter hätte. Für die Opfer bedeutet das nicht nur, dass sie im Stich gelassen werden, sondern dass sie den Schein der heilen Familie wahren und als Mitglied der ZJ funktionieren müssen.
Trost und Heilung sollen sie im Gebet finden, ebenso die Erleuchtung, wie sie "normal" weiterleben können in der Ehe. Das vor dem Hintergrund der Indoktrination der Mitglieder und der eingeimpften Angst, bei Fehlverhalten statt im Paradies in der Hölle zu landen, ist eine unfassbare psychische Belastung für die Betroffenen.
Aussteiger
Was schätzen Sie, wie viele Menschen haben sich der Organisation in Deutschland wieder abgewandt?
Francis Tanya Luce: Ich persönlich schätze, dass die Hälfte der gewonnenen Mitgliedern wieder aussteigt - auch ein großer Teil der Hineingeborenen. Die offiziellen Zahlen sind aus meiner Sicht verfälscht, aber mit Zahlen tun sich die ZJ ohnehin schwer.
Was bedeutet das für die Ex-Mitglieder?
Francis Tanya Luce: Ex Mitglieder gelten den aktiven ZJ als der letzte Abschaum, wie die "gebadete Sau zum Wälzen im Schlamm und der Hund ist zu seinem eigenen Gespei zurückgekehrt".
Wir Aussteigerinnen gehören nach Ansicht der Organisation in die Vernichtung, nur bei Reue gibt es eine Wiederaufnahme. Wenn jemand wieder aufgenommen wird, ist das ein schwarzer Fleck auf der "weißen Weste".
Aussteigerinnen fallen unter das absolute Kontaktverbot und werden als "Abtrünnige" bezeichnet, auch wenn sie sich nichts zu Schulden kommen ließen, nur eben ausgestiegen sind.
Wo können Ausstiegswillige oder Aussteigerinnen sich Hilfe holen?
Francis Tanya Luce: Es gibt einige Möglichkeiten, z. B. jw-help, Infosekta, Ethik - und Weltanschauungsbeauftragte bei den Ländern, Ärztinnen und Ärzte, im Bekanntenkreis außerhalb der ZJ um Unterstützung bitten, die Familie, so diese nicht selbst in die Strukturen eingebunden ist, ansprechen.
Würde es Ihrer Ansicht nach helfen, der Organisation die Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts wieder zu entziehen?
Francis Tanya Luce: Ja, das wäre sehr hilfreich, es würde bedeuten, dass der Organisation das Recht aberkannt wird, interne Probleme selbst zu lösen. Dann wären die ZJ schlicht ein Verein und ein Verein hat nicht die Möglichkeit, z. B. über familiäre Probleme zu entscheiden. Die Aberkennung würde den ZJ die Macht nehmen, vor allem die Machtstellung gegenüber den Mitgliedern. Insgesamt wäre die Struktur angreifbarer.
Was würden Sie Ausstiegswilligen raten?
Francis Tanya Luce: Sich an oben genannte Stellen wenden und eine Selbsthilfegruppe aufsuchen, um das Erlebte aufzuarbeiten.
Die Organisation scheint ein closed shop, ein nach innen sehr geschlossenes System zu sein, hat aber über die vielfältigen Missionierungstätigkeiten große Außenwirkung. Warum bekommt die Bevölkerung so wenig davon mit, was hinter den Kulissen und dem schönen Schein der Harmonie passiert?
Francis Tanya Luce: Die Außendarstellung ist immer eine andere, als gegenüber den Mitgliedern. Nach außen hin wirken die Mitglieder, z. B. diejenigen die in der Öffentlichkeit den Wachturm verteilen, höflich und aufgeschlossen. Aber intern sind sie sehr strengen Regeln unterworfen.
Denken Sie z. B. an den Umgang mit häuslicher Gewalt. In solchen Fällen weiß das "Ältestenbuch" Rat, das ist zugänglich nur für "Älteste", also Autoritätspersonen innerhalb der Struktur. Das "Ältestenbuch" gibt ihnen Handlungsanweisungen, die strikt zu befolgen sind.
Die Mitglieder sind häufig von tiefem Misstrauen gegenüber der ungläubigen Mehrheitsgesellschaft geprägt, sie sehen sich häufig als Opfer der "ungerechten menschlichen Systeme". Das macht es auch so schwer, wenn nicht unmöglich, ihnen von außen Hilfe anzubieten.
Der Ausstieg kann nur funktionieren, wenn die betroffene Person es selber will. Dann aber wäre es wichtig, ihr zuzuhören und vor allem zu glauben, welche Erfahrungen sie auch immer gemacht haben wird.