Zigarrendampf bis Augenkrampf

Zigarre oder Zigarette? Bild: His Girl Friday

Eine quasi alphabetische Gefahrenliste des Journalismus

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Ich beginne am besten gleich einmal mit dem Zett.

In früheren Zeiten gab es den Spruch: "Alte Journalisten sterben nie." Ich weiß nicht, ob es diesen Spruch auch auf Deutsch oder in Deutschland gab — auf Englisch ging er jedenfalls so: "Old journalists never die — they just smell that way." (Sie riechen eben bloß so, als ob sie schon gestorben wären.)

Naja klar, nimmer ganz frisch, nur notdürftig rasiert, Unterarmschweiß, Unterwäsche hm-hm, und komplett verräuchert. Mein Vater beispielsweise rauchte während der Arbeit — Zigarren. Damit war er keineswegs allein. Man muss sich nur einmal einen Film wie "His Girl Friday" (1940) mit Cary Grant anschauen.

Die Männer tragen die meiste Zeit Hüte, auch drinnen, weil sie ja nur temporär in der Redaktion sitzen. Sie müssen gleich wieder hinaus. Und auf den unbewegten Stehkadern, den extra angefertigten Stills, rauchen sie auch nicht alle gleichzeitig. Aber im realen Leben taten sie es sehr wohl.

Zigarre war altertümlich, Zigarette war modern. Man sieht Egon Erwin Kisch auf keinem Foto ohne Fluppe, er muss eine eigene Fotozigarette ständig bei sich getragen haben.

Fotofluppe. Bild: Public Domain

Die typischen Büro-Hengste - Journalisten, die den ganzen Tag in ihrem Kabüffchen saßen, Kissenpupser —, die rauchten auch Zigarren. Mein Vater rauchte Zigarren. Ob er soeben den König von Jordanien interviewt hatte oder mit dem Schah von Persien palaverte - die Zigarre wartete nachher stets neben seiner Schreibmaschine.

Und nicht nur das. Den angesabberten Stumpen legte er beiseite, säbelte ihn später mit mehreren seinesgleichen in Stücke und rauchte diese dann in der Pfeife zu Ende.

Aber er war reinlich, täglich mit Seife gewaschen, frisch rasiert, neue Wäsche. Man roch an dem Mann die Sauberkeit und die Zigarren — eine angenehme Kombination. Und wie gesagt, Ruhestand gab es nicht. Mein Vater wurde mit 75 bei der Deutschen Welle in Pension geschickt, aber er arbeitete weiter, bis er nicht mehr ganz 81 wurde.

Mit 66 wog er rund 120 Kilo und hatte täglich eine umständliche Bus- und Bahnfahrt zu absolvieren, von Bad Godesberg nach Bonn, später von Godesberg nach Bonn und darüber hinaus nach Köln - und dann weiter mit der Straßenbahn innerhalb von Köln, insgesamt täglich 40 Kilometer hin und 40 Kilometer zurück.

Eines Abends stolperte er beim Aussteigen in Godesberg und fiel im hohen Bogen aus dem Bus auf den Gehsteig. Ob das die Ursache war oder ob sich seine Netzhaut (Retina) schon vor dem Sturz gelockert hatte, war nachher nicht mehr zu klären.

Danach lag er zwei Monate in der Uniklinik Bonn in einem abgedunkelten Einzelzimmer, quasi unbeweglich auf dem Rücken, für das Klo-Gehen wurde ihm eine Bettpfanne untergeschoben, Zeitunglesen war unmöglich, Besucher kamen keine, Radiohören war alles.

Rauchen war verboten.

Auf diese Weise gewöhnte er sich nach 50 Jahren das Zigarrenrauchen ab, auch wenn er mich und meinen Bruder, mit 14 oder 17, regelrecht dazu aufforderte, Zigarren zu paffen. Ah, der Wohlgeruch im Treppenhaus. Seine Schwester, meine Tante, eine Kettenraucherin, die 95 wurde, sagte zu mir: "Wusstest du, dass ich zeitlebens noch keine Zigarre geraucht habe?" — Ich sagte: "Beedies sind keine Zigarren."

Aber das Rauchen gehörte auch bei mir zum journalistischen Alltag, mit sechs Kollegen in einem geschäftigen Redaktionszimmer, immer wieder mal mit brennenden Blecheimern, bei geschlossenen Fenstern. Einmal rauchte ich dort eine Zigarre und wurde vom Senior der Belegschaft niedergebelfert wie ein räudiger Hund. Die Zeit der Zigarre im Journalismus war vorbei.

Das Auge meines Vaters heilte nach zwei Monaten, aber von da an war er Nichtraucher. Ich gewöhnte mir das Rauchen ab, erstens weil es keine frischen Beedies mehr in Wien zu kaufen gab, und zweitens, weil ich ein Buch fertig schreiben musste.

Blind wurde ich erst später, und auch recht langsam. Als erstes fiel mir auf, dass ich in einem Buchladen die Brille absetzen musste, wenn ich die Buchrücken oder sonst irgendetwas auf der Rückseite eines Buches lesen wollte.

Da hatte ich schon lange von der elektrischen Schreibmaschine zum Computer gewechselt. Ich konnte die Buchstaben größer oder kleiner stellen, aber nach 10 oder 14 Stunden vor einem schwarz/weißen oder weiß/schwarzen Bildschirm begannen die Augen zu flimmern.

Dankenswerterweise gibt es in Neuseeland die umfassende medizinische Versorgung, ich überlebte also den Herzkaschperl — wie man in Österreich so liebenswert dazu sagt —, dito bislang die teuren Insulin-Ampullen, die mich statt 2000 Dollar einmal alle drei Monate 5 Dollar kosten — und nun auch die Star-Operation auf dem linken Auge.

Der Chirurg witzelte bei der Begutachtung vier Wochen später. "Manche Patienten meinen ja dann, sie sähen alles ein wenig bläulich", sagte er. "Ganz genau", antwortete ich. "Fuji-Film links, Agfa rechts. Blau links, rechts 'Der Mann mit dem Goldhelm'."

RIESENSCHRIFT

"Verstehe", schrieb mir ein Kollege bei Telepolis, "warum deine Manuskripte manchmal auf 24 und 36 Pt bei uns landeten." Riesenschrift. Das Lesen von Büchern wurde zur Qual. Vor allem ermüdete ich bereits nach einer halben Seite, auf Telepolis-Foren postete ich keine Repliken mehr, bei 999 Aussendungen ersparte ich mir jeden weiteren Kommentar. "Mehr als 1000 Beiträge" sollten es nicht werden, als Journalist war ich mir der Maxime "dignity with honour" bewusst, wenn du etwas schreibst, musst du auch dafür bezahlt werden.

INVERSES ABECeDARIUM

Zu den Buchstaben zwischen Zett und Ah wird den Lesern sicher noch so manches einfallen, bitte unten im Kommenarteil.

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