Zölibatäre Liebe

Ein Jesuit und Zen-Lehrer über seine vierzigjährige Beziehung mit einer Nonne

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Eine Ordensfrau und ein Jesuit verlieben sich. Sie werden ein Paar, ohne dass sie ihre Gelübde brechen. Das heißt: Sie verzichten auf Sex. Ihre Beziehung hält seit 40 Jahren. Darüber haben sie jetzt mit Unterstützung der Berliner Journalistin und Autorin Christa Spannbauer ein Buch geschrieben: Niklaus Brantschen und Pia Gyger, Es geht um die Liebe - Aus dem Leben eines zölibatären Paares.

Pia Gyger, Jahrgang 1940, trat mit 27 Jahren ins Katharina-Werk ein, eine religiöse Gemeinschaft, die Jugendlichen mit schweren Persönlichkeitsstörungen half. Einige trugen damals noch ein Ordensgewand, andere nicht - wie Frau Gyger, die sich an ihre Miniröcke und Lippenstifte erinnert.

Niklaus Brantschen, Jahrgang 1937, trat mit 22 Jahren in den Jesuitenorden ein - dafür hatte er sich schon als Schüler interessiert - und zwar, weil er geheimnisvoll war (und zu der Zeit in der Schweiz auch verboten).

Frau Gyger und Herr Brantschen sind beide Zen-Meister, haben mehrere Bücher geschrieben und gemeinsam das Lassalle-Institut für Zen-Ethik-Leadership, eine Zen-Linie und die Kontemplationsschule Via Integralis sowie das Friedensprojekt Jerusalem - offene Stadt zum Erlernen des Friedens in der Welt gegründet.

Herr Brantschen, Sie lieben eine Frau, aber Sie leben zölibatär. Kamen Sie nie in Versuchung, das Zölibat zu brechen?

Niklaus Brantschen: Ich war nie in der Situation zu sagen, jetzt trete ich aus dem Jesuitenorden aus, führe ein so genanntes normales Leben mit allem Drum und Dran, mit Ehe und Kindern. Das war ein Wunsch, aber nie ein ernsthaftes Problem. Mit 22 Jahren bin ich in den Jesuitenorden eingetreten, das war eine ganz klare Option, ich hatte sie mir gründlich überlegt und die Entscheidung bewusst getroffen. Uns ging es darum: Wie können wir die ursprüngliche Berufung mit unserer Liebe in Verbindung bringen? Das bedeutete für uns auch ein bewusst gelebter Verzicht.

Fiel Ihnen dieser Verzicht schwer?

Niklaus Brantschen: Der Schmerz hielt sich in Grenzen. Liebe ist übrigens nie einfach. Auch in einer normalen ehelichen Beziehung gibt es Verzicht und Schmerz, es tut immer auch weh, behaupte ich mal. Und das darf es auch. Aber die Frage ist, gibt es nur Schmerz, Verzicht, Not und Elend, oder erwächst aus diesem Verzicht auch eine Kraft? Für uns geht es immer auch um eine Form der Solidarität mit Menschen in bestimmten Lebenssituationen wie etwa Gefängnis, wenn wir auf gelebte genitale Sexualität verzichten.

Aber zärtlich waren Sie doch. Was heißt das?

Niklaus Brantschen: Sie fragen, wie weit Nähe gelebt werden kann. Wir haben bald gemerkt, dass wir nicht gemeinsam in die Ferien fahren könnten. Und wir haben immer in getrennten Zimmern übernachtet, und das tun wir auch jetzt noch. Es gibt also gewisse Regeln, an die wir uns halten. Und was den Austausch von Zärtlichkeit betrifft: Es gibt Formen, die eine eigene Dynamik entwickeln. Und wenn man nicht miteinander ins Bett gehen will, dann lässt man diese Formen der Zärtlichkeit bleiben, um nicht krampfhaft zurückrudern zu müssen.

Sie haben bei Ihrem Eintritt in den Orden drei Gelübde abgelegt: Armut, Gehorsam, Ehelosigkeit ...

Niklaus Brantschen: Diese drei Gelübde gehören zusammen und sie bedingen einander. Armut, der Verzicht auf eigenen Besitz, ist sinnvoll in einer Gütergemeinschaft, in dem man einander gegenseitig trägt. Gehorsam bedeutet, dass man sich in ein größeres Ganzes einordnet. Das zölibatäre Leben ist in einer Gemeinschaft auch leichter, weil da eine emotionale Heimat ist - ich bin geborgen und durch die Mitgliedschaft eingebunden.

Was bedeuten diese Gelübde? - Sie schreiben, dass sie eine Antwort auf die drei stärksten menschlichen Triebe sind: Besitztrieb, Machttrieb und Sexualtrieb. Was meinen Sie damit?

Niklaus Brantschen: In der Gesellschaft werden diese Triebe oft exzessiv und destruktiv ausgelebt. Das Ordensleben dagegen ist einfach und maßvoll. Das Armutsgelübde ist ein Zeichen gegen Maßlosigkeit, das Gehorsamsgelübde gegen Beliebigkeit und die Ehelosigkeit ein Zeichen gegen die Sexualisierung.

Sie leben zölibatär, aber in Ihrem Buch setzten Sie sich für die Abschaffung des Pflichtzölibats ein. Warum?

Niklaus Brantschen: Keine Frage, es gibt Weltpriester, die das Zölibat beispielhaft leben. Doch viele leiden darunter und manche führen ein Doppelleben, weil sie es nicht wagen, die Konsequenzen zu ziehen, aus Angst, ihre Stelle zu verlieren. Ich setze mich für die freie Wahl ein. Ich will das Zölibat als solches nicht abschaffen - gibt es doch in allen Hochreligionen Gemeinschaften zölibatär lebender Menschen: Sie haben weniger Verpflichtungen von außen her. Was die Aufhebung des Pflichtzölibats betrifft, braucht es wohl, mit Blick auf die Schwerfälligkeit der römisch-katholischen Kirche, noch etwas Geduld.

Niklaus Brantschen, SJ. Foto: © Marcel Kaufmann / Kösel Verlag.

Frau Gyger und Sie schreiben ja, dass Sexualität eine schöpferische Kraft ist, die Sie transformieren. In der Tat haben Sie beide, teils allein, teils gemeinsam viel erreicht: Was hätten Sie denn davon nicht erreicht, wenn Sie Ihre Sexualität gelebt hätten?

Niklaus Brantschen: Was wäre, wenn ... das ist müßig zu fragen. Aber so, wie wir leben, haben wir eine Kultur der Partnerschaft erreicht, auch im Miteinander-Arbeiten. Das ist ein sehr effektives Gleichgewicht und setzt viele Energien frei. Und effektiv sind wir, so gesehen, auch fruchtbar geworden.

Sie beide schreiben, dass die Welt sich rasant ändert und die traditionellen Geschlechterrollen ausgedient haben; und dass Sie öfters Paaren begegneten, die privat eine gleichberechtigte Beziehung lebten, aber bei denen der Mann nach außen immer noch die mächtigere Position inne habe. Sie haben zu zweit viele Projekte aufgebaut und nun engagieren Sie sich für die Gleichberechtigung von Mann und Frau.

Niklaus Brantschen: Ja, ich denke, das Patriarchat ist zum Schaden aller. Gleichberechtigung ist nötig. Aber das will eingeübt sein und verlangt große Achtsamkeit. Wenn Medienschaffende oder Veranstalter an uns heran traten, wollten sie meist nur die Frau oder den Mann, also Pia oder mich, ins Bild setzen oder einladen. Wir waren aber, zumindest zur Zeit unserer beruflichen Aktivität, nur im Doppelpack zu haben und ließen uns nicht gegeneinander ausspielen. Die Kultur der Partnerschaft und Gleichberechtigung von Mann und Frau ist übrigens - neben der Kultur der Gewaltfreiheit, der Kultur der Wahrhaftigkeit und Toleranz, sowie der Kultur der Gerechtigkeit - eines der vier Prinzipien des Weltethos.

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