Zu Besuch im Tierstimmenarchiv
Sind Fische wirklich stumm? Wie balzt die Wolfspinne? Wie röhrt der Krötenfisch? Warum bellen Hunde?
Hundegebell ist das Fachgebiet für den Leiter des Berliner Tierstimmenarchiv am Museum für Naturkunde Dr. Karl-Heinz Frommolt. Er hat sich auf Canidae spezialisiert, Hunde und ihre Verwandten.
Warum um Gotteswillen bellen Hunde?
Frommolt: Beim Wolf, dem Stammvater der Hunde, hat das Bellen eine andere Funktion, er bellt, wenn ein artfremdes Tier sich dem Rudel nähert und Gefahr droht. Der Hund lernt sein Bellen beim Menschen einzusetzen und ausnutzen. Anders ist es, wenn man Hunde untersucht, die vorrangig mit anderen Hunden aufwachsen. Da bellen sie auch als Warnung: Komm jetzt nicht näher. Und Hunde bellen in Situationen, wenn Wölfe heulen würden. Das heißt, das Bellen hat auch eine Rudel integrierende Funktion. Wölfe heulen ja im Chor. Da kommt es zu einer regelrechten Rudelzeremonie. Auch bei Hunden kann man einen leichten Heulansatz heraus hören. Es gibt auch Untersuchungen, die nahe legen, dass Hunde sinnlos bellen
Der nette Herr Frommolt ist Dozent für Bioakustik an der Humboldt Universität Es ist nicht einfach sein Büro zu finden. Es gibt nämlich ein Gesetz, dass den Universitäten einen undurchsichtigen und verwinkelten Raumplan vorschreibt. Universitäten nutzen das, um Studenten auszusieben: Wer den Hörsaal Q 3 in III im neuen westlichen Seitenflügels nicht findet, um den kann es nicht schade sein. Zum Tierstimmenarchiv muss man zuerst in einen Hinterhof, dort steht eine dreistöckige Ruine, die aussieht wie Dresden 45, das ist der alte westliche Flügel, und dann durch eine Art Unterführung, dann links durch eine grüne Tür. Die Fachrichtung Bioakustik hat drei kleine Räume, einer hinter dem anderen. Im Ersten warten die Studenten auf eine Sprechstunde. Es gibt das übliche Schwarze Brett und ein Aquarium mit Guppies. Im nächsten Zimmer stehen Regale mit über viertausend Tonbandrollen, DAT-Cassetten und CDs. In packpapierbraunen Hüllen lagern gewaltige Schätze: WalgesängeFledermäuse, Wapati und Ochsenfrösche.
Das ist es, das bedeutendste Tierstimmenarchiv der Welt mit rund hunderttausend Tiergeräuschen. Im letzten Zimmer ist ein kleines Tonstudio eingerichtet. Aus zwei Lautsprechern pfeift, kratzt, zwitschert und bellt es in selten gehörter Klangqualität.
Heulen Hunde wie Wölfe den Mond an?
Frommolt: Auch Wölfe heulen nicht den Mond an. Das sieht nur so aus, weil sie eine bestimmte Haltung einnehmen. Hunde heben wie Wölfe heben ihren Kopf beim Bellen nach oben. Ebenso andere Hundeverwandte. Wir haben vor kurzem Polarfüchse untersucht. Die bellen eine Strophe, um ihr Territorium zu kennzeichnen. Bei der Bellstrophe geht der Kopf bei jeder Note ein Stück nach oben.
Vor ein paar Monaten war Frommolt auf einer Expedition zu den Kommandeursinseln in der Beringstraße, den letzten Inseln auf russischer Seite. Wochenlang waren sie unterwegs durch die harte Kälte gewesen. In der flachen, trostlosen Landschaft sorgt nur das Heulen der Polarfüchse für Abwechslung. Eingemummt standen Frommolt und die anderen Bioakustiker in der Tundra mit ihren Tonbandgeräten und zeichneten die Bellstrophen der Polarfüchse auf. Nun spielt Frommolt die Ergebnisse der Lauschaktion ab. Andächtig hören wir
Frommolt: Der Hund kann bis zum Bereich von 47 Kilohertz hören. Weit in den Ultraschall hinein. Eigenartigerweise kann er nicht so hoch bellen.
Können alle Tiere, die Laute von sich geben, auch hören?
Frommolt: Eigentlich ja. Teilweise ist es bei den Insekten nicht so. Bei den Mücken summen nur die weiblichen Tiere. Die männlichen Mücken sind stumm und fliegen zu den summenden Weibchen. Es gab mal Fallen, wo die Mücken mit einem akustischen Signal angelockt wurden. Die weiblichen Mücken haben sich davon überhaupt nicht irritieren lassen und die männlichen Tiere, die sowieso nicht stechen, sind da dann hingeflogen.Erst mit der Entwicklung tragbarer Tonbänder konnten Tiere in freier Wildbahn aufgezeichnet werden. Das Tierstimmenarchiv wurde 1951 gegründet. Die erste Aufnahme war ein Waldkäuzchen aus dem Berliner Tiergarten, dass zwei im Käfig gefangene Artgenossen besuchte. Bei den Aufnahmen von Tierlauten sind die Wetterbedingungen ganz wichtig, Insekten singen schneller wenn es heiß ist. Auch Frösche quaken je nach Temperatur unterschiedlich.
Können Tiere auch erzählen?
Frommolt: Bei Grünen Meerkatzen gibt es drei Arten von Warnrufen, die klar unterscheiden, ob ein Feind aus der Luft kommt, oder vom Boden zum Beispiel ein Leopard oder im Geäst sich eine Schlange nähert. Das hat man im Playback-Verfahren, also mit Tonbandaufnahmen, nachgewiesen, dass es die akustischen Signale sind.
Kennen Tiere in der akustischen Kommunikation auch die Vergangenheitsform? Wie beim Tanz der Bienen: Dort ist die Wiese mit den speziellen Blüten?
Frommolt: Nein, das ist mir nicht bekannt. Die Erfahrung spielt natürlich eine Rolle, aber es wird nichts aus der Vergangenheit berichtet.
Es gibt weltweit drei große Tierstimmenarchive, eins in London , eins an der amerikanischen Cornell University und eben Berlin. Die Bioakustik hat auch eine Zeitung, die ca. einmal im Jahr erscheint. Sie heißt natürlich Bioacoustics journal
Frommolt: Nicht alle Tiergeräusche werden mit dem Mund gemacht. Wir sammeln auch das Brusttrommeln der Gorillas und das Klopfen der Spechte. Sogar Spinnen geben beim Balzen Laute von sich. Hören Sie mal. Krrk-krrk. Krrk-krrk.
Frommolt, Besitzer eines Kaninchens, kennt sich auch mit Vögeln aus. Eine seiner letzten Veröffentlichungen heißt: Grünlaubsänger (Phylloscopus trochiloides) imitiert Gesang des Buchfinken (Fringilla coelebs).
Frommolt: Singvögel haben die komplexesten Lautäußerungen. Sie lernen neue Tonfolgen und Strophen. Sie müssen den arteigenen Gesang erlernen, wenn sie den nicht können, kommen sie bei der Fortpflanzung nicht zum Zuge. Ohne Vorbild würden Vögel nur verstümmelt singen können Wale haben sehr komplexe Lieder, auch hier vermuten wir Lernprozesse. Sie können an ihren Gesängen ihren eigenen Familienverband erkennen. Es gibt Spekulationen, dass Wale sich über den ganzen Erdball verständigen könnten, wenn es den Schiffslärm nicht gäbe, aber das halte ich für übertrieben.
Warum sind Fische stumm?
Frommolt: Fische sind gar nicht stumm. Wir denken nur, dass sie stumm sind, weil Schall aus dem Wasser nur schwer an die Luft kommt. Mit einem Hydrophon, ein wassertaugliches Mikrophon, hört man, dass unter Wasser eine ganze Menge los ist. Fische können die Zähne aneinander reiben, sie stoßen Wasser in Intervallen durch die Kiemendeckel, oder sie benutzen ihre Schwimmblase. Wie zum Beispiel der Krötenfisch, ein Meeresfisch, der auch in tropischen Gewässern vorkommt. Das ist ein Paarungsruf eines Krötenfisches Das alles ist nicht so laut. Der Knurrhahn droht, wenn er von einem Räuber angegriffen wird. Aber in der Regel richten sich die Fische an ihresgleichen. In das Aquarium des Tierstimmenarchivs wurde das institutseigene Hydrophon noch nicht eingetaucht. Ob und welche Geräusche die Guppies da drinnen von sich geben, ist unklar.
Haben Sie Fische gehört?
Frommolt: Ich habe schon Fische gehört. Auch Garnelen, die schabende Geräusche von sich geben. Unter Wasser können wir den Schall kaum orten, denn unsere Ohren sind an die Luft angepasst.
Franz von Assisi und Konrad Lorenz haben es getan, Pferdeflüsterer und Katzenmuttis machen es noch heute, sie reden mit den Tieren. Manche Katzenbesitzer miauen mit ihren Tieren. Nützt das was?
Frommolt: Ein beruhigendes Gespräch tut es auch. Aber man kann Hunde und Wölfe durch eigenes Bellen und Heulen dazu bringen, ebenfalls los zu bellen. Das klappt natürlich nicht immer
Das klappt erstaunlich oft. Viel schwieriger ist es, Hunde zum Schweigen zu bringen. Gibt es da eine sichere Methode?
Frommolt: Wenn ich das wüßte, wäre ich reich. Dann hätten wir hier im Archiv keine finanziellen Probleme mehr.
Was würde passieren, wenn man den Hunden die Stimmbänder heraus operieren würde? Wäre das nicht eine gute Idee, der Hund reißt sein Maul auf und bellt und bellt, aber kein Ton kommt raus?
Frommolt:: Das wäre eine drastische Belastung für die Hunde. So was wäre nicht zu verantworten