Zu Gast bei den "Blutaktionären"

Letzte Woche fand die jährliche Hauptversammlung des größten deutschen Rüstungskonzerns Rheinmetall AG statt - Ein Bericht

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Die Rheinmetall AG ist der größte deutsche Waffenproduzent. Aber auch an diesem Großkonzern geht die Rüstungskrise nicht spurlos vorüber. Am 14. Mai 2013 fand in Berlin die jährliche Hauptversammlung der Aktionäre statt und gestattete einen Blick hinter die Kulissen. Vor dem Tagungshotel demonstrierte die Friedensbewegung gegen die aggressive deutsche Rüstungsexportpolitik.

Umstritten: Leopard-Panzer für Saudi-Arabien. Bild: Bundeswehr-Fotos/CC-BY-ND-2.0

Die Rheinmetall AG mit Hauptsitz in Düsseldorf-Derendorf ist der deutsche Konzern mit den umfangreichsten Rüstungsgeschäften, international nimmt er diesbezüglich den 26. Platz ein. Allerdings ist Rheinmetall kein reiner Rüstungsbetrieb, vielmehr verteilt sich der Umsatz auf zwei Geschäftsbereiche - der militärische "Defence"-Bereich und der "Automotive"-Bereich. Letzterer liefert Bauteile für die Autoindustrie. In welchem Umfang auch in diesem "zivilen" Bereich Dual-use-Produkte für die Rüstungsindustrie hergestellt werden, ist nicht bekannt. Vor zehn Jahren machten die Rüstungsverkäufe ein Drittel des Gesamtumsatzes von Rheinmetall aus, heute ist es schon die Hälfte.

Zum Produktportfolio gehören Bauteile für den Kampfpanzer Leopard II (Glattrohrkanone, Feuerleitanlage und Geschosse), die Schützenpanzer Marder und Puma, die gepanzerten Fahrzeuge Boxer, Duro, Fuchs, Serval, Wiesel, Wisent und Yak, der Bergepanzer Büffel, der Pionierpanzer Dachs, der Brückenlegepanzer Biber und der Minenräumpanzer Keiler. Mit Rheinmetall kann keine deutsche Zoohandlung konkurrieren. Außerdem werden das Maschinengewehr MG3, die Maschinenkanone Rh 503, die Bordkanone BK 27 für Tornado und Eurofighter, die Feldhaubitze FH155-1 und die Panzerhaubitze 2000 angeboten. Das Unternehmen verkauft zugleich Panzer und Munition, um Panzer zu zerstören.

Der Konzern beschäftigt in Deutschland rund 10.000 Mitarbeiter und verfügt mit seinen Tochterunternehmen über zahlreiche Produktionsstätten und Erprobungszentren: Aschau am Inn, Berlin, Bonn, Bremen, Düsseldorf, Fronau, Gera, Gersthofen, Hamburg, Heilbronn, Ismaning, Kassel, Kiel, Koblenz, Krefeld, München, Neuenburg, Nürnberg, Oberndorf, Rheinbach, Röthenbach, Rostock, Silberhütte, Stockach, Trittau und Unterlüß.

Das Grundkapital des Unternehmens beträgt 101.373.440 Euro; insgesamt wurden 39.599.000 Stückaktien ausgegeben. Zu den Großaktionären zählen u. a. die deutsche Tochter der amerikanischen BlackRock Inc. (New York) mit einem Paket von 1.198.814 Aktien, die DWS Investment GmbH, eine Tochter der Deutschen Bank AG, mit 1.173.000 Aktien, und die Allianz Global Investors Kapitalanlagegesellschaft mbh mit einem Portfolio von 382.004 Aktien. Hinzu kommen zahlreiche Aktien im Streubesitz von Kleinanlegern. So besitzt auch ein unbekannter Anteil von Rheinmetall-Mitarbeitern Aktien des eigenen Arbeitgebers.

Am 14. Mai 2013 fand die 13. Ordentliche Hauptversammlung der Kapitaleigner der Rheinmetall AG in Berlin statt. Versammlungsort war das Maritim Hotel (****) in der Stauffenbergstraße. Der Ort wurde mit Bedacht gewählt: Auf der anderen Straßenseite befindet sich der Berliner Amtssitz des Bundesverteidigungsministeriums. Zur Einlasskontrolle wurden die heute obligatorischen Sicherheitskontrollen mit Metalldetektor und Röntgen-Scanner durch Mitarbeiter des Wachunternehmens Securitas durchgeführt, während sich die Angehörigen des betriebseigenen Sicherheitsdienstes diskret im Hintergrund zurückhielten – sicherheitshalber.

An der Stirnseite des Konferenzraumes residierten die Mitglieder des Vorstandes und des Aufsichtsrates: Prof. Dr. Andreas Georgi, Dr. Siegfried Goll, Prof. Dr. Susanne Hannemann, Dr. Gerd Kleinert, Dr. Rudolf Luz, der neue Finanzchef Helmut P. Merch, Dr. Michael Mielke, Dipl. Ing. DDr. Peter Mitterbauer, Detlef Moog, Wolfgang Müller, Vorstandvorsitzender Armin Papperger, Prof. Dr. Frank Richter, und die DGB-Gewerkschaftler aus den Betriebsräten Roswitha Armbruster, Julia Cuntz, Heinrich Kmett, Harald Töpfer und Wolfgang Tretbar.

Etwas über 300 (Klein-)Aktionäre erschienen persönlich zu der fünfstündigen Versammlung, die insgesamt 21.577.989 Stückaktien repräsentierten. "Blutaktionäre" hat sie die Friedensbewegung getauft. Aber nur bei einem Teil der Rüstungsaktionäre handelte es sich um die berüchtigten Banker im Business-Outfit, vielmehr präsentierten die anwesenden Aktionären scheinbar den "Durchschnitt der Gesellschaft", um diesen abgedroschenen Vergleich mal wieder zu bemühen. Viele waren im Rentenalter und hatten daher Zeit, überhaupt an der Hauptversammlung teilzunehmen. Für den einen oder anderen Pensionär stand dabei weniger die kleine Rendite für seine paar Aktien im Vordergrund, vielmehr ging es darum, mal wieder unter Leute zu gehen. Auch nutzte manche Aktionärfrau die günstige Gelegenheit, um ihre jüngste Errungenschaft aus der Textilbranche öffentlich vorzuführen.

Der offizielle Geschäftsbericht 2012

Seit dem 1. Januar 2013 ist Armin Papperger der neue Vorstandvorsitzende des Konzern, und so war es sein Privileg, den Aktionären den offiziellen Geschäftsbericht für das Jahr 2012, in dem noch sein Amtsvorgänger Klaus Eberhardt den Vorsitz innehatte, vorzutragen.

Zu Beginn seines Redebeitrags philosophierte Papperger darüber, dass Sicherheit ein "Grundbedürfnis aller Menschen" und die "Grundlage für Wohlstand und Stabilität in Krisengebieten" sei. Stolz konnte der Vorstandsvorsitzende verkünden, dass der Konzern seinen Umsatz von 4.454 (2011) auf 4.704 Millionen Euro (2012) steigern konnte. Zwar fiel die Rendite von 7,9 auf 6,4 Prozent, dennoch erhalten die Aktionäre mit 1,80 Euro pro Aktie auch in diesem Jahr die gleiche Dividende wie im Jahr zuvor. Dabei wird die Aktie z. Zt. an der Börse mit rund 38 Euro gehandelt.

Die Belegschaft blieb mit 21.767 Mitarbeitern, darunter rund 3.000 Ingenieure, nahezu unverändert. Davon arbeiten heutzutage nur noch 50 Prozent in der BRD. Dass der Rest im Ausland (Europa 16%, USA 6%, Südamerika 10%, Asien 5%, etc.) aktiv ist, ist ein klarer Indikator für die weltweiten Geschäfte des Konzern. Für Restrukturierungsmaßnahmen wurden im vergangenen Jahr 20 Mio. Euro investiert.

Allein auf den Rüstungsbereich entfiel 2012 ein Umsatz von 2.335 Mio. Euro (2011: 2.141 Mio. Euro). Außerdem verzeichnete man einen Auftragseingang mit einem Gesamtvolumen von 4.987 Mio. Euro, der in den nächsten Jahren abgearbeitet werden muss. Dabei zeigt sich, dass die Geschäftanteile im Inland und in Europa im Vergleich zum Vorjahr weiter rückläufig waren. Das Ende des Kalten Krieges und die Euro-Krise fordern ihren Tribut. Experten sprechen diesbezüglich vom "Defence Budget Cut". Demgegenüber nahmen die Rüstungsexporte in Staaten der "Dritten Welt" noch zu. Besonders Asien gilt auch zukünftig als "Wachstumsmarkt" für Waffengeschäfte, verkündete Papperger. Die Vergleichzahlen für 2012/2011 im Einzelnen:

  • BRD: 24 % statt 28 %
  • Europa: 22 % statt 30 %
  • Asien: 27 % statt 14 %
  • RoW: 27 % statt 28 %

Die vier größten Waffendeals 2012 waren die Lieferung von Militär-Lkw nach Südostasien (114 Mio. Euro), Waffenstationen für die USA (100 Mio.), Luftverteidigungssysteme für Brasilien (38 Mio.) und die Lieferung einer Fabrik zur Produktion von "Fuchs"-Transportpanzern nach Algerien (35 Mio.). In diesem Zusammenhang gab Papperger bekannt, dass 200 Arbeiter aus Algerien im Werk in Kassel ausgebildet werden (sollen).

Außerdem zeichnete der Vorstandsvorsitzende eine schönes Bild der Zukunft: Man müsse zwar von einem veränderten Marktumfeld ausgehen, werde aber an den beiden Säulen "Defence" und "Automotive" festhalten und bliebe ein "weltweit führender Anbieter". Gerade im Rüstungsbereich bestehe eine "exzellente Ausgangslage", man verfüge über ein "weltweites Kundennetz" in achtzig Staaten der Erde und sei ein "führendes europäisches Systemhaus für Heerestechnik". Im Rüstungsbereich rechne man mit einem "leichten Wachstum" aber "weniger Dynamik".

Im Rahmen der so genannten "Strategie 2015" setze man auf drei Prioritäten:

  1. Internationalisierung (Ausbau des außereuropäischen Geschäfts)
  2. Wachstum und Innovation (Investitionen in Höhe von 60 bis 80 Mio. Euro)
  3. Kosteneffizienz (Restrukturierungsmaßnahmen)

Die Kosten für die internen Restrukturierungsmaßnahmen belaufen sich im laufenden Jahr auf 40 bis 50 Mio. Euro. So müssten bei den Kettenfahrzeugen und den Luftverteidigungssystemen Kapazitätsanpassungen durchgeführt und die Standortstruktur optimiert werden. Dadurch werden in Kiel 90 und in Kassel 60 Arbeitsplätze wegfallen.

Bei den Waffenverkäufen favorisiere man "Systemgeschäfte": Wenn man einem Kunden ein ganzes Waffensystem verkaufen kann, fallen anschließend noch weitere "Folgegeschäfte" durch die Lieferung von weiteren "Komponenten" oder "Dienstleistungen" an. Außerdem würde man durch diese Kundenbindung unabhängiger von Konjunkturschwankungen. In diesem Zusammenhang strebt man einen "Ausbau von System- und Servicegeschäft" an.

Außerdem setzt der Konzern auf die "Hub-Strategie": Man verkauft nicht nur ein Waffensystem an ein anderes Land, sondern strebe die "Übernahme eines lokalen Anbieters" an. Dadurch würde sich die "lokale Wertschöpfung erhöhen", man hätte ein bessere "Vertriebsunterstützung" und könne leichter "in Nachbarländer expandieren". So dienten Waffengeschäfte mit der Südafrikanischen Republik zugleich als Brückenkopf für Rüstungsverkäufe nach Südamerika.

Die Manager von Rheinmetall erwarten, dass sich der gegenwärtige Trend fortsetzt und sich die Militärhaushalte weltweit regional sehr unterschiedlich entwickeln werden: USA minus, Europa minus, RoW (Rest of the World) plus! So würde sich der Anteil der Rüstungsgeschäfte außerhalb BRD/Europa von jetzt 36 % auf 50 % im Jahr 2015 steigern!

Trotz dieser – aus Sicht der Rüstungsaktionäre - "positiven" Selbstdarstellung überraschte Papperger zum Schluss seines Geschäftsberichts die Aktionäre mit schlechten Informationen: Für das erste Quartal 2013 rechnet man im Rüstungsbereich mit einem Minus von 44 Mio. Euro. So sei ein Munitionsauftrag für die USA ausgelaufen. Für das laufende Jahr erwartet man mit einem Rüstungsumsatz von 2,3 Mrd. Euro, also einem leichten Rückgang gegenüber 2012. Dennoch tröstete Papperger: "2013 ist ein Übergangsjahr. 2015 wollen wir einen Umsatz von über 5 Mrd. Euro bei deutlich verbesserter Profitabilität erzielen."

Im schriftlich vorgelegten "Einzelabschluss 2012" heißt es zu den aktuellen Risiken nur ganz allgemein:

Zu den potenziellen Risiken der Gesellschaften des Rheinmetall-Konzerns zählen einerseits nicht beeinflussbare Faktoren wie die nationale und internationale Konjunktur und die allgemeine Wirtschaftslage sowie andererseits unmittelbar beeinflussbare, zumeist operative Risiken, die durch das implementierte Risikomanagementsystem frühzeitig analysiert und für die, falls notwendig, Gegenmaßnahmen eingeleitet werden.

Die genannten Gefährdungen sind nicht notwendigerweise die einzigen Risiken, denen der Rheinmetall-Konzern ausgesetzt ist. Risiken, die bisher noch nicht bekannt sind oder jetzt noch als unwesentlich eingeschätzt werden, können sich bei veränderter Sachlage konkretisieren, die Geschäftsaktivitäten beeinträchtigen und sich nachteilig auf die Vermögens, Finanz- und Ertragslage auswirken.

Kritik der Aktionäre

Nach dem offiziellen Geschäftsbericht folgte die Aussprache. Zunächst hatte Marc Tümmler von der "Deutschen Schutzgemeinschaft für Wertpapierbesitz" (DSW) seinen obligatorischen Auftritt. Sein Auftreten war sehr "smart", um es höflich auszudrücken. Er warf Papperger vor, sein Vortrag sei eine Ansammlung von Plattitüden, die die wirkliche Lage nur verschleiern würden. Trotz des Hinweises auf "prall gefüllte Auftragsbücher" habe sich das "Ergebnis halbiert". Da es mit dem geplanten Börsengang der "Automotive"-Sparte nicht geklappt hatte, worüber sich Papperger völlig ausgeschwiegen habe, stelle sich die Frage, ob nun nicht frisches Kapital für weitere Investitionen fehlen würde. Es sei fraglich, ob die eingeleiteten Maßnahmen schon 2014 Wirkung zeigen würden oder erst 2015. Dies würde die notwendige "Geduld der Aktionäre" strapazieren.

Lars Labriga von der "Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger" (SdK) schlug in die gleiche Kerbe: Auch er warf Papperger vor, sein Vortrag sei eine Ansammlung von Plattitüden aus dem BWL-Studium, dem die aussagekräftigen "Kenngrößen" fehlen würden. Das Jahr 2013 werde wohl ein "Jahr des Übergangs mit Hängebrücke" werden, ein "annus horribilis". Papperger habe die Aufmerksamkeit auf die Perspektive 2015 gelenkt, weil 2013 "schrecklich wird". Die geplanten Restrukturierungsmaßnahmen in Höhe von bis zu 50 Mio. Euro seien nicht gerade klein, zudem stelle sich die Frage, wann diese Maßnahmen "etwas bringen werden".

Mit Daniel Meier oder Maier meldete sich auch ein Rheinmetall-Mitarbeiter aus dem Erprobungszentrum in Unterlüß (Niedersachsen) zu Wort. Er beklagte, dass für das Jahr 2012 nur noch eine Prämie in Höhe von 129 Euro ausgezahlt würde, während ein Jahr zuvor noch über 1.000 Euro ausgeschüttet worden waren. Außerdem würden durch die Einsparungen das betriebseigene Sommerfest und Jubiläumsfahrten ausfallen. Am Rande verriet er dem Auditorium, dass auf einer internen Betriebsversammlung eine Woche zuvor ein weit düsteres Bild von der Geschäftslage geschildert worden wäre, als hier auf der öffentlichen Aktionärsversammlung.

Fragen und Kritik aus der Friedensbewegung

Aber nicht nur die Lobbyisten der Kapitaleigner übten Kritik. Schon vor dem Eingang wurden die Aktionäre von einem anderen kritischen Publikum empfangen. Die Friedensbewegung war vor dem Bendler-Block auf der anderen Straßenseite aufmarschiert, um ihren Protest gegen die deutsche Rüstungsexportpolitik und insbesondere die weltweiten Waffengeschäfte der Rheinmetaller lautstarken Ausdruck zu verleihen. Die Berliner Friedenskoordination (Friko), die Berliner Kampagne "Legt den Leo an die Kette", die "Aktion Aufschrei - Stopp den Waffenhandel!", die "Ärzte gegen Atomkrieg" (PPNW) und die Naturfreundejugend waren mit 50 bis 60 Demonstranten vor Ort. Ausgerechnet die "Bild"-Zeitung zählte gar "knapp 100 Menschen". Allerdings fiel auf, dass nur wenige junge Leute unter den Protestlern waren. Christine Hoffmann (Pax Christi), Lühr Henken (Bundesausschuss Friedensratschlag), Jan van Aken (Die Linke), Hans-Christian Ströbele (Grüne) und Dorothea Kerschgens (Kritische Aktionäre) hielten kurze Ansprachen. Einer der Demoteilnehmer trug ein selbstgebautes Modell einer Drohne. Nicht alle, die die kleine Demonstrantenschar fotografierten und filmten, waren Journalisten.

Obwohl beiden Seiten nur eine Straßenbreite getrennt waren, kam es zu keinerlei Kontakt zwischen Rüstungsgegnern und Rüstungsprofiteuren. Während die Berliner Polizei eisern über die Einhaltung der Demo-Auflagen wachte und den Demonstranten jedes freche Überschreiten der Straße verbat, zogen sich die schick gekleideten Rüstungsproduzenten ängstlich ins Hotel zurück. Bei der Hauptversammlung im letzten Jahr hatte es noch keinen solchen Protest gegeben, aber seit im Mai 2012 der Leo-Deal mit den Saudis bekannt wurde, regt sich zunehmender Widerstand im ganzen Land.

Aber nicht nur draußen vor der Tür, auch im Saal war die Friedensbewegung ausgesprochen präsent. Von den insgesamt elf Wortmeldungen entfielen gleich vier Redebeiträge auf die Vertreter der Friedensbewegung, schließlich ist eine Aktionärsversammlung eine seltene Gelegenheit, einem Konzernvorstand einmal kritische Fragen zu stellen. Für die Friedensbewegung kommt es darauf an, möglichst genau informiert zu sein, schließlich haben die Waffenkonzerne übergroße Rechtsabteilungen nichtsnutziger Diplomjuristen, die einen Konzerngegner schon mal gerne mit einer saftigen Klage überziehen würden. Daher dient das Frage- und Auskunftsrecht hier auch der Selbstverteidigung. Jeder Aktionär hat Rederecht und die Redezeit ist unbefristet! Wenn die völlig unterschiedliche Gewichtung der verschiedenen Aktienpakete nicht wäre, könnte man fast meinen, Rheinmetall wäre "basisdemokratischer" als es die Grünen je waren.

Zunächst übte Dorothea Kerschgens von den Kritischen Aktionären und Aktionärinnen – wie in jedem Jahr – massive Kritik an den Rüstungsgeschäften des Konzerns. Das Themenspektrum ihrer Anmerkungen und Nachfragen reichte vom Umgang des Konzern mit seinen Zwangsarbeitern im Zweiten Weltkrieg, über die Rüstungsexporte (Radpanzer Fuchs nach Algerien und Kampfpanzer Leopard IIA7+ PSO und Transportpanzer Boxer nach Saudi-Arabien und Qatar) bis hin zur Rüstungskooperation mit einem norwegischen Unternehmen. Die Selbstdarstellung des Konzerns gleiche einer "Märchenstunde", reklamierte sie.

Der Politikwissenschaftler Prof. Dr. Peter Grottian meldete sich als Vertreter von Attac und dem Aktionsbündnis Aufschrei zu Wort. Er warf dem gesamten Vorstand vor, dieser ignoriere in seinem vermeintlichen "Rechenschaftsbericht" die politischen Auseinandersetzungen um die Rüstungsexporte, die in der Gesellschaft brodeln würden. Laut Umfragen würden 70 bis 80 % der Bevölkerung Waffendeals mit Saudi-Arabien und Katar ablehnen. Selbst altgediente Sicherheitspolitiker (Hans-Dietrich Genscher, Ruprecht Polenz, etc.) beteiligten sich mittlerweile am gesellschaftlichen Diskurs. "Wir wollen eine öffentliche Debatte darüber, wie Exportrichtlinien verschärft werden können", erklärte Grottian. Aber entgegen dieser Forderung verstecke sich der Rheinmetall-Vorstand hinter dem Rock bzw. Hosenanzug von Frau Merkel und der Geheimnistuerei ihrer Waffenexporte, statt sich selbst der Verantwortung zu stellen.

"Der Rechenschaftsbericht redet viel vom Umfeld, aber er meint nur das Geschäftsumfeld"; kritisierte Grottian. Was der Geschäftsbericht vorführe, sei bloß ein "Rheinmetall-Schlaraffenland". Die Waffengeschäfte seien grundgesetzwidrig und ein Hohn auf die eigenen "corporate compliance"-Richtlinien. Es stelle sich die Frage, wie der Vorstand zukünftig mit der wachsenden Widerstandsbewegung und weiteren Protestaktionen umgehen wolle. Außerdem bleibe abzuwarten, ob die nächste Bundesregierung die Rüstungsexportbedingungen verschärfen werde und welche Auswirkungen dies dann auf Rheinmetall hätte. Man solle "den Konzern verbieten"!

Um den Hieb auf die "corporate compliance"-Richtlinien richtig verstehen zu können, muss man sich einmal die entsprechende Selbstdarstellung des Rüstungskonzerns anschauen und genießen. Darin heißt es:

Rheinmetall steht aus Überzeugung für eine nachhaltige Unternehmensführung und bekennt sich in Übereinstimmung mit seinen Werten und Leitlinien zu einem von Verantwortung, Integrität, Respekt und Fairness geprägten untadeligen Verhalten. Das Unternehmen ist ein ehrlicher, loyaler und zuverlässiger Partner seiner Stakeholder. Seine Vorstände, Geschäftsführer, Führungskräfte und Beschäftigten sind verpflichtet, sich in Geschäftsbeziehungen einwandfrei zu verhalten, das Ansehen von Rheinmetall zu wahren, die materiellen und immateriellen Vermögenswerte zu schützen und alles zu vermeiden, was Imageschäden bzw. operative oder finanzielle Nachteile für einzelne Gesellschaften oder den Konzern nach sich ziehen kann. Das Handeln nach Recht und Gesetz sowie die Einhaltung von Richtlinien und Regeln sind selbstverständlich.

Stefan Siebenrock von der Gesellschaft für bedrohte Völker kritisierte mehrere Waffenexporte und fragte nach deren Auswirkungen: Ob die nach Algerien gelieferten Transportpanzer Fuchs auch gegen Marokko im Sahraui-Konflikt eingesetzt werden könnten, ob das Rheinmetall-Ausbildungszentrum in Russland nicht zu einer Steigerung der Menschenrechtsverletzungen durch die russischen Streitkräfte im Nordkaukasus führen würde, und welche Panzer nach Indonesien geliefert werden sollen und ob diese auch im Konflikt in West-Papua zum Einsatz kommen können.

In einem etwas zu lang geratenen Redebeitrag stellte Micha Ebeling von der Friedensbewegung aus Hannover gleich vierzig Fragen zu den technischen und militärischen Aspekten verschiedener Rüstungsprojekte, insbesondere dem Gefechtsübungszentrum in Letzlingen (Sachsen-Anhalt) mit seinen 200 Mitarbeitern, der Kooperation mit der Israel Aircraft Industries (IAI) bei der Produktion der Heron-Drohne, der Produktion von Waffensystemen zur Crowd-and-Riot-Control, der früheren SMArt-Artilleriemunition, die jetzt nicht länger produziert wird, und den Parteispenden des Konzern etc..

Unter den Aktionären eines Rüstungskonzerns sind die Rüstungsgegner erwartungsgemäß eine kämpferische Minderheit. Aber auch unter den "normalen" Aktionären gibt es durchaus Einzelpersonen, die die Rüstungsgeschäfte des "eigenen" Konzerns mit Skepsis verfolgen. Dies wurde deutlich, als die Wirtschaftswissenschaftlerin Dr. Barbara Grimberg von der Ruhr-Uni aus Bochum ans Rednerpult trat. Sie begehrte nicht nur zu ökonomischen Aspekten Auskunft, sondern kritisierte auch das geplante Panzergeschäft mit Saudi-Arabien.

Nur ein Herr Gerd Blumenthal (phon.), der sich als Vertreter in- und ausländischer Finanzinstitutionen vorstellte, äußerte seinen Unmut über die Rüstungsgegner. Dies sei hier schließlich "eine Aktionärsversammlung und nicht eine politische Veranstaltung" meinte der Herr Vertreter, außerdem hätten die Rüstungsgegner noch nie "eine verantwortliche Position in der Wirtschaft bekleidet". Ansonsten folgte das Auditorium der Kritik aus den Reihen der Friedensbewegung mit Interesse, zumindest mit Gleichmut, schließlich sind Aktionäre disziplinierte Bürger, die wissen, wie man sich zu benehmen hat.

Immerhin heben sich die Rüstungsgegner aus der anonymen Masse der (Klein-)Kapitalisten hervor und sorgen für etwas mehr Transparenz. So war denn auch das fleißige Backoffice bemüht, die eingegangenen Fragen zu beantworten.

Antworten des Vorstandes

Der Rheinmetall-Vorstand gab sich demokratisch und erklärte, gegen die Kritik aus der Friedensbewegung sei "nichts einzuwenden", aber "wir müssen sie nicht teilen". Was die Rüstungsexporte im Allgemeinen anbelangt, erklärte Papperger, "die Entscheidung der Bundesregierung ist für uns gültig und wir halten uns daran".

Zur Lieferung eines Ausbildungszentrums in Russland erklärte Rheinmetall, das Projekt sei eine Mithilfe im Anti-Terrorkampf. Ansonsten gelte, "für Verwendung und Gebrauch unserer Produkte ist Rheinmetall nicht verantwortlich".

Auf die Fragen zum Fuchs-Export nach Algerien antwortete der Vorstand, ein Geschäft über die Lieferung von 54 Füchsen würde gerade abgewickelt. Die geplante Transportpanzer-Fabrik sei auf eine Kapazität von 1.200 Panzern ausgelegt, die angeblich alle bei den algerischen Streitkräften verbleiben würden. Mit der Fabrik würden 800 bis 1.000 Arbeitsplätze geschaffen. Was einen möglichen Einsatz dieser Transportpanzer in einem algerisch-marokkanischen Krieg anbelangt, erklärte Rheinmetall: "Für die konkrete Nutzung des Materials durch den Kunden sind wir nicht verantwortlich."

Zum geplanten Export von Kampfpanzern Leopard II und Transportpanzern Boxer nach Saudi-Arabien erklärte der Rheinmetall-Vorstand, das Regierungsgeschäft "ist unsererseits nicht öffentlich zu kommentieren". Zur Präsenz von Rheinmetall-Mitarbeitern in Saudi-Arabien mache man "keine Angaben". Was den Boxer anbelangt, hieß es, "in Bezug auf Saudi-Arabien können wir keine Aussagen machen".

Zum Panzergeschäft mit Indonesien erklärte Papperger, die Typenbezeichnungen der Panzer seien ein Geschäftsgeheimnis: "Wir dürfen zu technischen Spezifikationen keine Auskunft geben", so Papperger. Aus Pressemeldungen ist aber längst bekannt, dass es sich um insgesamt 164 gebrauchte Panzer (104 Leo II, 50 Marder und insgesamt 10 Biber, Büffel und Dachs) handeln soll. Außerdem versicherte Rheinmetall, ein Einsatz der Panzer im Papua-Konflikt werde ausgeschlossen, da es eine entsprechende Ausschlussklausel im Liefervertrag gibt.

Was die Frage nach den Parteispenden im Jahr 2012 angelangt, war die Antwort kurz aber aufschlussreich:

  • CDU: 17.000 Euro
  • CSU: 6.000 Euro
  • FDP: 17.000 Euro
  • SPD: 15.000 Euro
  • Grüne: 0 Euro
  • Die Linke: 0 Euro

Früher waren die Beträge wesentlich höher gewesen, aber durch die Krise fließen die Zuwendungen an die Parteien offensichtlich nicht mehr so üppig. Mittlerweile wird – nicht nur von der Friedensbewegung - ein komplettes Verbot solcher schmierigen Zuwendungen gefordert.

Zum Schluss der Hauptversammlung wurde über die Entlastung des Vorstandes abgestimmt. Da unterstellt wurde, dass alle nicht abgegebenen Stimmen eine Zustimmung signalisierten, verlief die Abstimmung ruckzuck. Mit 20.965.049 Stimmen (= 97,81 %) wurde der Vorstand entlastet, dagegen stimmten 469.512 Stimmen, 45.946 Stimmen enthielten sich. Ein Gegenantrag des Dachverbandes der Kritischen Aktionäre und Aktionärinnen fiel damit durch. Die Kosten der Hauptversammlung samt Mittagessen beliefen sich auf nicht weniger als 420.000 Euro.

Bilanz

Durch das Ende des Kalten Krieges und die Euro-Krise ist die europäische Rüstungsindustrie in Schwierigkeiten geraten. Der militärische Interventionismus der letzten Jahre konnte nur vorrübergehend einen zusätzlichen Absatzmarkt kreiren, aber nach den militärpolitischen Fiaskos der Interventionen in Libyen, Irak und Afghanistan dürfte sich der Bellizismus erst einmal erschöpft haben - mit den entsprechenden Auswirkungen auf die Beschaffungspolitik der Bundeswehr. Dies wollen die Rüstungskonzerne nun durch erhöhte Rüstungsexporte in Schwellenländer kompensieren, was die Friedensbewegung zu recht alarmiert.

Auch Rheinmetall ist offensichtlich von der Absatzkrise betroffen, obwohl der tatsächliche Umfang der Firmenprobleme auch durch die Hauptversammlung nicht wirklich erkennbar wurde. Immerhin gaben die Konzernbosse ein paar Informationshäppchen preis, obwohl sie sich mit ausweichenden Antworten – wie üblich – hinter ihren Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen verschanzten.

Bei der diesjährigen Aktionärsversammlung fiel die Kritik an den Waffendeals noch heftiger aus als in den vorangegangenen Jahren. Der Vorstand bekam es diesmal mit Kritik von verschiedenen Seiten zu tun und jede hatte seine eigene Stoßrichtung: Mal ging es um die gesellschaftspolitische Auseinandersetzung, mal um drohende Kampfeinsätze, mal standen militär-technische Fragen im Vordergrund. Sicherlich lassen sich alte Rüstungsmanager aus Düsseldorf nicht durch ein paar Wortbeiträge von Rüstungsgegnern beeindrucken, aber andererseits muss man sich in der Marmorwelt einer Vorstandsetage oder dem mondänen Villenviertel von Düsseldorf-Meerbusch nur selten eine solch massive und eloquent vorgetragene Kritik anhören.

Ein Rüstungskonzern ist keine Komfortzone: Zu den Krisenerscheinungen im eigenen Konzern kommt nun eine massive Rüstungskritik von außen, die noch über Jahre andauern wird. Auf der Hauptversammlung konnte man den Eindruck gewinnen, dass den Rüstungsmanagern mittlerweile schwant, dass in den nächsten Jahres noch einige politische Auseinandersetzungen auf sie zukommen werden, auf die sie heute noch gar nicht eingestimmt sind. Hier traf Peter Grottian mit seiner Fundamentalkritik ins Schwarze.

Jedenfalls wissen auch die Rüstungsmanager, dass sie das Beharrungsvermögen der Friedensbewegten nicht unterschätzen dürfen. Das haben die Beiträge der Kritischen Aktionäre in den letzten zwanzig Jahren auf den Hauptversammlungen immer wieder deutlich gemacht: Trotz der ausweichenden Antworten der Konzernleitung werden die gleichen Fragen Jahr um Jahr unermüdlich vorgebracht. Nun kommt zur Kritik im Saal der Protest auf der Straße hinzu. Dies zeigte die Demo am 14. Mai in Berlin, dies zeigte auch die erneute Mahnwache und Blockade vor der Konzernzentrale am Vortag in Düsseldorf durch das "Aktionsbündnis Rheinmetall entrüsten!".

Noch können die Rüstungsmanager, Rüstungsingenieure und Rüstungstechniker jeden Tag nach getaner Arbeit brav nach Hause zu Frau und Kind dackeln und ihr gemütliches Familienleben zelebrieren, während tagtäglich überall auf der Welt mit "Made in Germany"-Waffen von Rheinmetall gemordet und gemetzelt wird. Auch wenn so mancher Rüstungsmanager von Rheinmetall einfach nicht verstehen kann, was gegen lukrative Geschäfte mit tollen Waffen überhaupt einzuwenden ist, könnte es mit dieser selbstgefälligen deutschen Rüstungsidylle schon bald vorbei sein – so oder so.

Bei der Demo vor der Maritim-Hotel erklärte Christine Hoffmann von Pax Christi:

Wir können den Aktionären, also den Eigentümern von Rheinmetall, nur raten: Zwingt diesen Konzern endlich, vollständig auf zivile Produkte umzustellen. Wenn ihr Euch damit nicht durchsetzt, verkauft Eure Anteile, solange ihr noch was dafür bekommt. Denn wir werden nicht locker lassen, bis Ihre Rheinmetall-Aktien wertlos sind.

Der Autor ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit.