"Zu viele Schusswaffen zwischen Bobby und dem Weißen Haus"

Seite 3: Zeugenaussagen vernichtet, Tatortfotos verschwunden

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Ob Sirhan allerdings mit neuen Beweisen jemals eine Wiederaufnahme des Verfahrens erreichen kann, ist fraglich. Dem entgegen steht, dass die Polizei in Los Angeles (LAPD) und die ermittelnde Sonderkommission Special Unit Senator schon nach dem Prozess 90 Prozent der aufgenommen Zeugenaussagen und Tatortfotos vernichtet haben - darunter alle jene, die der Einzeltäterthese widersprechen.

Dazu zählen etwa die Fotos des damals 15-jährigen Jamie Scott Enyart, der sich mit einem Presseausweis in das Hotel geschmuggelt und beim Abgang Kennedys durch die Küche über 100 Bilder geschossen hatte, darunter auch von dem Wachmann Thane Eugene Cesar, der hinter dem Senator stand und nach der Überwältigung Sirhans einen Revolver in der Hand hielt. Die Fotos wurden von der Polizei nach der Tat konfisziert, angeblich weil sie für das Gerichtsverfahren gebraucht würden, wo sie aber nicht gezeigt wurden.

Als er nach dem Prozess die Fotos zurückverlangte, erhielt er nur 18 Abzüge, keine Negative und die Auskunft, die anderen Bilder müssten für 20 Jahre unter Verschluss bleiben. Und als er sie nach dieser Frist 1988 erneut zurückverlangte, behauptete das LAPD, sie seien verbrannt worden. Er reichte eine Klage ein, die sechs Jahre lang hinausgezögert wurde. Dann, kurz vor dem anberaumten Gerichtstermin, entdeckte die Polizei die Fotos angeblich wieder und händigte sie dem Kläger aus - es waren allerdings nur die Fotos aus dem Ballsaal, nicht die entscheidenden aus der Küche.

Schließlich kam es 1996 dann doch zu einem Gerichtsverfahren. Nun behauptete der Anwalt des LAPD, die Fotos seien im Archiv in Sacramento gefunden worden und würden jetzt per Kurier zum Gericht gebracht. Am folgenden Tag traf der Kurier ein, ohne die Fotos, denn angeblich war ihm kurz zuvor die Tasche mit den Bildern aus dem Auto entwendet worden. Scott Enyart wurden 450.000 Dollar Schadensersatz zugesprochen - der "Zapruder-Film" des RFK-Mords ist bis heute verschwunden.

Dies ist nur eine ebenso bezeichnende wie haarsträubende Episode über die Ermittlungen und den Umgang mit Beweismitteln in diesem Fall - etliche andere haben Forscher und Autoren vom ersten Tag an bis heute zusammengetragen. Und die von den Ermittlern übersehenen oder auch willentlich übergangenen Fakten zeigen überdeutlich, dass auch Robert F. Kennedy nicht zum Opfer eines verwirrten Einzelschützen wurde.

Zeugen wie der Polizist, der nach der Tat als erster vor dem Hotel eintraf, und das konsternierte Ehepaar, das ihm aufgeregt von einer Frau in einem weißen, blau gepunkteten Kleid und einem Mann berichtete, die eine Minute zuvor lachend die Treppe hinunter gelaufen seien und begeistert: "Wir haben ihn erschossen! Wir haben ihn erschossen!" gerufen - und auf ihre Frage, wer erschossen worden sei, strahlend: "Kennedy!" geantwortet hätten, sowie weitere Zeugen, die dieses Paar am Abend im Hotel und zusammen mit Sirhan gesehen hatten, wurden im Prozess nicht gehört oder schon bei den Polizeiverhören so unter Druck gesetzt, dass sie ihre Aussage relativierten oder zurückzogen.

Dass die Frau in dem auffälligen Kleid von so vielen Zeugen gesehen worden war, begründete die Ermittlungskommission vor Gericht mit einer Verwechslung. Eine junge TV-Praktikantin habe ebenfalls ein gepunktetes Kleid getragen. Doch deren Kleid war gelb mit roten Punkten, und sie ging wegen einer Beinverletzung an einer Krücke, was keinem der Zeugen aufgefallen war.

Der ballistische Experte der Kommission präsentierte ein Gutachten der drei Projektile, die Kennedy angeblich getroffen hatten, wobei sich später herausstellte, dass diese nicht aus Sirhans Waffe stammten - was bei einer neuerlichen Anhörung 1975 als eine einfache Verwechslung falsch beschrifteter Couverts dargestellt wurde.

Der hinter Kennedy stehende Wachmann Thane Eugene Cesar, den Zeugen mit gezogener Waffe hinter dem niedergestreckten Senator gesehen hatten, wurde weder verhört, noch wurde seine Waffe beschlagnahmt und ballistisch untersucht. Sie hatte dasselbe Kaliber wie die Waffe Sirhans, doch drei Jahre später behauptete Cesar, er habe sie schon vor dem Attentat verkauft. Ein privater Ermittler fand jedoch den Käufer und die Quittung des Verkaufs, datiert auf den September 1968, drei Monate nach den Schüssen.

Cesar war erst zwei Tage zuvor vom Ambassador-Hotel über die der Sicherheitsfirma Ace Guard Security engagiert worden und hatte davor für die Flugzeug- und Rüstungskonzerne Lockheed und Hughes Aircraft gearbeitet (was er später auch wieder tat) - mit höchster Sicherheitsstufe des Verteidigungsministeriums.

Wie Lisa Pease gezeigt hat, waren die Beamten der zur Aufklärung des Mordes eingesetzten Ermittlungskommission überwiegend Mitglieder der verschiedenen Militärgeheimdienste oder standen in enger Verbindung mit der CIA. Mike Ruppert, der 1969 in das LAPD eintrat und seinen Job 1990 verlor, als er aufdeckte, dass seine Vorgesetzen den von der CIA betriebenen Drogenhandel vertuschten, fand beim Studium der Akten 1998 heraus, dass dies dieselben LAPD-Oberen waren, die seinerzeit die RFK-Ermittlungen geführt (bzw. sabotiert) hatten.

Wie wir schon im Mordfall JFK gesehen haben, waren die Militärgeheimdienste auch hier in die Bearbeitung wichtiger Zeugen involviert. Der Journalist und Augenzeuge Don Schulman, der unmittelbar nach den Schüssen von Radio- und Fernsehreportern interviewt wurde und gesagt hatte, dass einer der Wachmänner geschossen hätte, wurde im Verhör danach sehr stark unter Druck gesetzt - man bezichtigte ihn, an einer Verschwörung zum Mord RFKs beteiligt zu sein und drohte mit Verhaftung - sodass er zugab, sich möglicherweise geirrt zu haben.

Bei einer weiteren Anhörung 1973 jedoch kam er zu seiner ursprünglichen Version des Ereignisses zurück und bestand darauf, "absolut sicher" zu sein, dass der Ace-Guard-Security-Wachmann Cesar gefeuert habe - und ließ sich von seinen Vernehmern im Büro des Staatsanwalts, die insistierten, dass keine weiteren Schüsse gefallen seien, nicht davon abbringen.

Auch der verdächtigte Schütze Thane Eugene Cesar wurde in späteren Jahren mehrfach interviewt und bestritt immer wieder, in der Küche geschossen zu haben, auf Nachfrage recherchierender Journalisten aber musste er indessen zugeben, mit rechtsradikalen Gruppen in Verbindung gestanden und ein echter Kennedy-Hasser gewesen zu sein.

Wie in Dallas wird auch bei dem Kennedy-Mord in Los Angeles das Herz der Finsternis deutlich - die unheilige Liaison von Militärs, Geheimdiensten und paramilitärischen Rechtsextremen -, dem dieser Anschlag aller Wahrscheinlichkeit nach entsprang und das den Grund für die nachfolgenden Tarnungen, Täuschungen und Vertuschungen - die Nicht-Aufklärung des Verbrechens - darstellt. Wäre hier nur ein einsamer Irrer am Werk gewesen, wäre auch in diesem Fall der Mord längst bis ins letzte Detail geklärt und der vermeintliche Mörder wegen guter Führung im Zuchthaus schon längst entlassen

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