Zum "Terrorismus" im UN-Sicherheitsrat
Die Macht hat, wer - so hieß es früher - über den Ausnahmezustand verfügt. Heute heißt das: Die Macht hat, wer über die Definitionshoheit für unsere Begriffe verfügt. Hierfür ein Beleg aus der Begriffswerkstatt des UN-Sicherheitsrates
Wie geht der UN-Sicherheitsrat mit dem Begriff "Terrorismus" um? Und was zeigt uns dieser Umgang? (Dazu Teil A.) Was wäre nötig, damit sich dieser Umgang zum Besseren ändert? Und wie steht es mit den Chancen der Realisierbarkeit einer solchen Verbesserung? (Dazu Teil B.)
Teil A
Was unter "Terrorismus" zu verstehen ist, dafür gibt es, wie einschlägige Übersichten belegen, bekanntlich mehr als hundert verschiedene Definitionen. Daraus zu schließen, dass weitere Definitionsversuche entweder müßig oder gar unmöglich sind, wäre jedoch ein Fehlschluss - einer, der freilich sehr oft begangen wird. Und es gibt Institutionen, die daran, dass dieser Fehlschluss von uns begangen wird, ein dezidiertes Interesse zu haben scheinen. Wie sonst wäre es zu erklären, dass von solchen Institutionen Arbeiten (primär Dissertationen) gefördert werden, die zeigen wollen - und wohl auch sollen -, dass eine sinnvolle Definition von "Terrorismus" gar nicht möglich sei?
Am wenigsten begehen diesen Fehlschluss in der Regel die, die schon von Berufs wegen Experten für Begriffserklärungen sind - und auch sein sollten: Außer Juristinnen und Juristen also Philosophinnen und Philosophen, insbesondere also speziell Analytische Philosophen (wie ich einer zu sein mich bemühe). Besagtem Fehlschluss halten diese entgegen, dass zum einen nicht alle dieser hundert Definitionen gleich gut und zum anderen die guten nicht ohne logische Verbindung untereinander sein müssen. Es ist nichts Ungewöhnliches, dass unser Verständnis "ein und derselben Sache" unterschiedlich weit bzw. eng ist. Dass "Kommunikation" zum Beispiel von den kommunikativen Röhren bis hin zum Habermas'schen Kommunikativen Handeln alles Mögliche umfassen kann, ist kein Hindernis, klar zu sagen, was jeweils mit "Kommunikation" gemeint sein soll.
1.1 Auch was Terroristische Aktionen sind, lässt sich klar sagen. Und auch bei diesem Begriff lohnt es sich (entsprechend zu den kommunizierenden Röhren), nicht mit der allgemeinsten Verwendung anzufangen, vielmehr mit einer der engeren. Es brächte uns zum Beispiel kaum weiter, wenn wir uns an den Fällen orientieren würden, wonach schon all jenes Verhalten unserer Kids echt "terroristisch" wäre, gegen das wir uns - meist erfolglos - mit einem genervten "Ich lass mich von Dir nicht weiter terrorisieren!" zu wehren versuchen. Selbst die schlimmsten "Terroristen" von dieser Sorte stellen wir nicht einfach an die Wand und knallen sie ab, halten sie vielmehr meist fünf Minuten später schon wieder für "süß".
1.2 Terroristische Aktionen in dem die Welt und den Sicherheitsrat primär interessierenden Sinne sind: (i*) Extreme Gewalt-Akte, (ii*) mit deren Hilfe Terror ausgeübt wird, (iii*) wobei dieser Terror als Mittel zum Zweck des Erreichens politischer Ziele dient - und (iv*) diese Gewalt-Akte direkt gegen nicht-legitime Gewaltziele (Kinder z.B.) gerichtet sind.
1.3 Diese Definition scheint zirkulär, ist es aber nicht. Terrorismus ist nämlich nicht dasselbe wie Terror. Letzteres ist der umfassendere Begriff: Jede terroristische Aktion ist auch ein Terror-Akt; aber eben nicht jeder Terror-Akt auch ein terroristischer. Denn: Nicht bei jedem Terror-Akt fungiert der bewirkte bzw. zumindest zu bewirken versuchte Terror bzw. der ihm auf der Rezipienten-Seite entsprechende Horror: sei es Panik oder lähmendes Entsetzen, als Mittel zum Erreichen politischer Zwecke.
1.4 Diese Definition hat den für jede rationale - wie auch für jede ethisch akzeptable - Diskussion unabdingbaren Vorteil, dass sie nicht selektiv ist. Sie schließt nicht schon per Definition bestimmte Spezialfälle aus. Sie schaut auf die Tat, auf das, was getan wurde bzw. getan wird - und nicht darauf, wer es ist, der die Tat tut; sie rechtfertigt oder verurteilt die Tat nicht schon deshalb, weil sie aus bestimmten Motiven vollzogen wird; und sie ermöglicht so, dass wir uns auch von Täterschaft und Motivlage unabhängig darüber verständigen können, an welchen Tat-Merkmalen unsere moralische Verurteilung (der Tat und dann auch von deren Tätern) letztlich hängt. Kurz: Die Definition ist, was Täter, Motive und unsere Bewertungsbasis angeht, neutral. Das muss sie auch sein, damit, wer gegen jeglichen Terrorismus vorgehen will, auch wirklich jeglichen treffen kann.
2 Die Vereinten Nationen bemühen sich um ein gemeinsames Terrorismus-Verständnis schon lange. Im Folgenden geht es mir nur um ein einzigen konkreten Fall dieses Bemühens. Am 08. Oktober 2004 hatte der Sicherheitsrat mit der Resolution 1566 erneut zum Terrorismus Stellung genommen und dabei auch zum wiederholten Male den Terrorismus-Begriff selber zu erklären versucht. Diese Begriffserklärung ist von allen bis dahin gezeigten Sicherheitsrat-Ansätzen die überzeugendste; sie deckt sich mit der obigen Definition nahezu völlig. Jedenfalls prima facie.
2.1 Terroristische Akte sind nach Absatz 3 dieser Resolution Akte, (i) "die mit der Absicht begangen werden, den Tod oder schwere Körperverletzungen zu verursachen", Taten (ii) "die mit dem Ziel begangen werden, die ganze Bevölkerung, eine Gruppe von Personen oder einzelne Personen in Angst und Schrecken zu versetzen", und (iii) "die mit dem Ziel begangen werden" "eine Bevölkerung einzuschüchtern oder eine Regierung oder eine internationale Organisation zu einem Tun oder Unterlassen zu nötigen". Wenn nun auch noch (i) als Mittel zum Zweck (ii) und dieser wiederum als Mittel zum Zweck (iii) herausgestellt worden wäre, dann wäre das ziemlich genau unsere Terrorismus-Erklärung von oben. (Jedenfalls in den Punkten (i*) bis (iii*).)
Diese Resolutions-Definition erscheint somit in ihrem Ansatz als ein Fortschritt in Sachen begrifflicher Klarheit. Und Klarheit wäre im "Kampf gegen den Terrorismus" auch echt vonnöten - falls dieser Kampf nicht nur selektiv oder gar blind geführt werden sollte.
2.2 Genau diesen klaren Schnitt macht aber, entgegen dem ersten Eindruck, auch diese Resolution 1566 nicht. Sie versieht die zitierte Begriffserklärung vielmehr mit einer Reihe von Zusätzen, durch welche die begriffliche Neutralität und damit die generelle Brauchbarkeit dieser Erklärung wieder zunichte gemacht werden. [Über einen israelischen UN-Mitarbeiter erhielt ich die Information, dass diese Zusätze ersichtlich die Handschrift des damaligen (nur per Dekret vom Präsidenten G. W. Bush ernannten) US-Botschafters bei der UN zeigen. Und in der Tat: Auf den von meinem Informanten gemachten Kopien von den Entwürfen zu dieser Resolution stammen die entscheidenden handschriftlich eingetragenen "Verbesserungen" nachweislich von John Bolton.]
Die Resolution ergänzt die genannten Bedingungen (i) bis (iii) um die folgende vierte: Terroristische Akte sind (iv) Akte, "welche Straftaten im Sinne und entsprechend der Begriffsbestimmungen der internationalen Übereinkommen und Protokolle betreffend den Terrorismus darstellen". Dieser Zusatz hat zweierlei zur Folge: (a) er macht die ganze Begriffserklärung entweder schlicht zirkulär oder drückt sie auf das mindere Niveau der früheren Erklärungen; und (b) er macht den Straftatbestandscharakter dieser Taten bereits zu einem Merkmal von deren Definition. Es kommt der Resolution primär wohl auf diese letztere Folgerung (b) an. Auf (iv) folgt jedenfalls direkt: Derartige Taten können "unter keinen Umständen gerechtfertigt werden ... , indem politische, philosophische, weltanschauliche, rassische, ethnische, religiöse oder sonstige Erwägungen ähnlicher Art angeführt werden". Dazu gleich noch mehr.
2.3 An diese Definitionsmerkmale und diese Zusatzfolgerungen will Absatz 3 dieser Resolution freilich nicht nur "erinnern"; sie fordert unmittelbar danach "alle Staaten auf, solche Straftaten zu verhindern und, wenn sie nicht verhindert werden können, sicherzustellen, dass für solche Straftaten Strafen verhängt werden, die der Schwere der Tat entsprechen".
2.4 Keine einzige der bisherigen "Begriffsbestimmungen der internationalen Übereinkommen" ist [genauer: war bislang so - s. 2.6 unten], dass sie auch staatlichen Terrorismus als "Terrorismus" bezeichnet. Man beachte zudem: Diskutiert wird hier ohnehin nur so genannter Fremd-Terrorismus, also nicht die Fälle, in denen sich staatlicher Gewaltterror gegen die eigene Bevölkerung richtet.
Die obige Zusatzfolgerung (a) besagt, dass diese Begriffslücke auch weiterhin bleiben soll. Damit ist aber auch diese neue Definition nicht mehr neutral. Ob Aktionen terroristische sind oder nicht, hängt ihr zufolge nicht mehr allein von den Taten ab, vielmehr auch davon, wer es ist, der sie vollzieht. Auch die Definition der Resolution 1566 ist bezüglich der potentiellen Täterschaft selektiv.
2.5 Wer kommt dieser Resolutionsdefinition zufolge bei Terroristischen Akten als deren potentieller Gewalt-Adressat in Frage? Das bleibt offen. Abgehoben wird lediglich auf den Spezialfall "namentlich auch ... Zivilpersonen". Das ist nur so zu verstehen, dass sich terroristische Akte außer gegen Zivilisten auch gegen Nicht-Zivilisten richten können. Also auch gegen Soldaten bzw. Militärangehörige im weiteren Sinne. Auch diese können somit der Resolution zufolge nicht-legitime Gewaltziele sein. Diese Voraussetzung muss zum Beispiel gemacht werden, damit auch der Anschlag auf das US-Schlachtschiff Cole im Golf von Aden (2002) so bezeichnet werden kann, wie er von den USA und deren Verbündeten natürlich sofort bezeichnet wurde: als ein terroristischer Akt. Eine der zu klärenden Fragen wäre jetzt: Genau wann sind Soldaten legitime Gewaltziele und wann nicht? Und wer legt das fest?
Ein zu weites Feld für diesen Kurzkommentar. Aber klar sollte sein, was diese Begriffsbestimmung praktisch bedeutet: Sogenannte asymmetrische Angriffe (insbesondere: nicht von regulären Soldaten ausgeführte Angriffe) auf die eigenen Soldaten fallen unter Terroristische Akte. Im Klartext: Jeder Aufständische, dessen Angriff Soldaten schwer verletzt oder tötet, ist Terrorist. Ganz egal, was sonst noch der Fall ist. Der nächste Erweiterungsschritt wäre: Auch Soldaten oder Milizionäre, die kein Recht darauf haben, unsere Soldaten zu verletzen oder zu töten, sind Terroristen.
2.6 Die im April 2019 getroffene Präzedenz-Fall-Entscheidung der derzeitigen US-Administration, auch die iranischen Revolutionsgarten auf ihre Terroristen-Liste zu setzen, macht genau diesen Erweiterungsschritt. Diese gewiss nicht ohne den derzeitigen nationalen Sicherheitsberater dieser Administration herbeigeführte Entscheidung kann sich also direkt auf die hier betrachtete UN-Sicherheitsrat-Resolution 1566 stützen. Der Name dieses Sicherheitsberaters: John Bolton. Eine Frage an unsere Experten: Wie könnte sich eine die gesamte UN-Charta derartig verachtende Instrumentalisierung der UN rechtlich verhindern lassen? Müsste nicht auch ein solcher Fall von semantischer Kriegsführung in den Zuständigkeitsbereich einer internationalen Gerichtsbarkeit fallen?
2.7 Ein weiteres Manko dieser Resolutionsdefinition von Terrorismus hängt mit ihrer essentialistischen Vorverurteilung zusammen. Diese schließt alle möglichen beurteilungsrelevanten weiteren Unterscheidungen aus. Zum Beispiel die, ob die legitimen wie die nicht-legitimen Gewaltopfer direkte oder indirekte Gewaltopfer sind, ob die betreffenden Gewaltfolgen stark zurechenbar sind oder nicht und dergleichen. Kurz: Ob es sich bei den zivilen Opfern um (wie in (i*) von 1.2 oben) direkt ins Visier genommene Opfer oder "nur" um sogenannte Kollateralschäden handelt. Oder sollen all diese Unterscheidungen (und die damit verbundenen Entschuldbarkeiten wie Ausreden) nur für die eigenen Gewaltanwendungen reserviert bleiben? Das hätte dann aber, vermute ich, mit neutral moralischen Bewertungen nur noch sehr wenig zu tun.
2.8 Den Terrorismus zu verurteilen, ist eine Sache; die Verurteilung schon in seine Definition zu stecken, eine ganz andere. Letzteres hat natürlich einen ungeheuren "Vorteil": Diskussionen darüber, warum (welche Art von) Terrorismus verwerflich ist, sind schlicht überflüssig. Die neue Resolution geht aber, indem sie uns daran "erinnert", dass terroristische Akte "unter keinen Umständen gerechtfertigt werden können", einen wesentlichen Schritt weiter. Sie schließt jegliche "politische, philosophische" etc. Erwägungen pro und contra einer Rechtfertigbarkeit von terroristischen Akten prinzipiell aus - und damit auch jegliches Nachdenken über die Gründe unserer Beurteilungen solcher Akte.
2.9 Was soll mit denen geschehen, die sich durch diese als "Erinnerung" maskierte Drohung des Sicherheitsrates das eigene Nachdenken nicht verbieten lassen wollen - auch nicht das öffentliche? Sind im Krieg gegen den Terrorismus in Bälde auch Philosophen und andere Denker zum Abschuss freigegeben? Und was soll mit den Staaten geschehen, die eine offene Diskussion über Verständnis und Bewertung des Terrorismus und der diversen anti-terroristischen Maßnahmen trotz dieser Drohung weiterhin zulassen? Werden auch sie zur Klasse der Schurkenstaaten gerechnet? Und all dies mit dem Segen der Vereinten Nationen?
3 Kurz: Wie die Vereinten Nationen auch in dieser Resolution 1566 mit dem "Terrorismus" umgehen, ist höchst problematisch. Offenbar wird auch dort letztlich alles getan, um eine umfassende Definition, die auch den durch Staaten ausgeübten Terrorismus einschließen würde, durch die Bank zu verhindern. Damit wird aber gerade die schlimmste Sorte von Terrorismus bereits per definitionem ausgeblendet. Es kann somit keine Rede davon sein, dass sich die Vereinten Nationen - bzw. die den Sicherheitsrat bislang dominierenden Staaten - wirklich gegen jede Art von Terrorismus wenden. Und die Medien? Anstatt den so geschaffenen blinden Fleck auszuleuchten, schließen sie sich dieser semantischen Ausblendungsstrategie nahezu ausnahmslos an.
3.1 Was lässt sich gegen diese Form von (letztlich nicht nur) begrifflicher Gehirnwäsche tun? Nichts - solange diese Gehirnwäsche nicht als solche erkannt wird. Und selbst dann: Auch wer den blinden Fleck lokalisiert hat, hat damit noch nicht die Sprache - und so auch die Sehweise - der Blinden geändert.
Wer will denn in Sachen Terrorismus überhaupt Klarheit? All die wohl kaum, die vom (von Thomas Kaplan so bezeichneten) "Terrorism of 'Terrorism'" (vom Terrorismus, der allein schon durch die Benutzung des "Terrorismus"-Diskurses ausgeübt wird) primär profitieren. Und zu dieser großen Klasse können Terroristen und Contra-Terroristen gleichermaßen gehören. Beidemal auch staatliche; ja, wohl am ehesten eben solche. Und somit eben auch die, die auch in der UN das Sagen haben - und das primär in deren Sicherheitsrat.
3.2 Diese Diagnose - blinder Fleck & Anfälligkeit für semantische "Terrorismus"-T-Akte - ist eine generelle. Besonders gravierende Folgen hat diese Diagnose freilich, wenn von der so diagnostizierten Krankheit, wie hier belegt, sogar diejenige Institution befallen ist, auf die alle, die - wie ich z.B. - immer noch an den Vorrang des Rechts vor den verschiedensten Formen von Gewalt glauben, auch jetzt noch trotz aller himmelschreienden Missbräuche derselben sozusagen ihren letzten Funken Hoffnung setzen: unsere UN.
Teil B
4 Lässt sich an dieser Malaise etwas ändern? Und wie? Und was wäre dazu zuvörderst notwendig? Ich beschränke mich im Folgenden auf die Änderung, die die allerwichtigste - freilich damit mit Sicherheit auch die, was ihre Durchsetzbarkeit angeht, allerschwierigste - sein dürfte.
4.1 "Ändere Deine Sprache!", dieser Imperativ des großen Aufklärers Lessing gilt auch für die UN. Aber wie sollte diese Änderung in Sachen "Terrorismus" aussehen? Die Antwort folgt bereits aus dem Kern des Rechts selbst. Dieser Kern hat einen Namen: Unparteilichkeit.
Die zentrale semantische Aufgabe ist klar und einfach benennbar: Die Sprache (der Terrorismus-Begriff) der hier verhandelten UN-Resolution 1156 ist bereits a priori parteiisch; die Sprache (der T-Begriff) von § 1.2 ist das nicht. (Siehe jetzt nochmal 1.4.) Also …
4.2 Der T-Begriff von 1.2 ist nicht nur nicht selektiv; er ermöglicht auch eine klare Trennung zwischen Deskription und Bewertung (Verurteilung). Ob ein Akt ein T-Akt ist oder nicht, das ist eine Tatsachenfrage; was an T-Akten verwerflich ist und was nicht, das ist eine Frage der moralischen (und gegebenenfalls auch der rechtlichen) Bewertung, die sich aus allgemeineren und im Idealfall auch universellen bzw. zumindest universalisierbaren Bewertungs- (bzw. Rechts-) Kriterien ergibt.
Ein Vorteil dieser deskriptiv/evaluativ-Trennung ist der Nebeneffekt, dass sich erst mit ihr auch eine klare begriffliche Basis für die verschiedenen Arten von empirischen (Sozial- und Politik- wie Religions-wissenschaftlichen) T-Theorien ergibt - falls an solchen überhaupt ein ernsthaftes Interesse besteht.
4.3 Der größte Vorteil dieser Trennung ist aber der, dass nur mit ihr einer zwar oft gehörten, bislang aber wohl nirgendwo auch nur ansatzweise eingelösten Forderung Genüge getan werden kann - wenn man das wirklich wollte: nämlich der nach einer Verrechtlichung unseres Umgangs mit der ganzen T-Sphäre: und zwar sowohl des inner- als auch des transstaatlichen Umgangs.
4.4. Allein mit diesem in der Tat radikalen Begriffs-Perspektiven-Wechsel dürfte es aus dem derzeitig immer noch vorherrschenden, ja sogar ersichtlich sich beschleunigenden Teufelskreis von T-Gewalt und nicht minder großer kriegerischer Counter-T-Gewalt ein Entkommen geben. (Wiederum: so man das überhaupt möchte.)
4.5 Radikal wäre ein solcher Verrechtlichungs-Schrittt - inner- wie überstaatlich - auch in seinen Folgen: Schon mein bloßes Votum für den T-Begriff von 1.2 (der sich leicht in eine Palette unterschiedlich starker T-Begriffe differenzieren ließe) ist ein Beispiel dafür, wie revolutionär selbst eine simple analytisch-philosophische Intervention sein kann: Das Votum für 1.2 impliziert in Sachen T-Akte einen Umsturz der gegenwärtigen Machtverhältnisse. Wer T-Täter ist und wer nicht, darüber entscheiden derzeit letztlich Regierungen - und zwar in Form von je nach politischer Großwetterlage aktualisierbaren Terroristen-Listen. Mein Votum zweifelt die semantische und allein damit auch schon die moralische Legitimität dieser "Definitions"-Hoheit an. Die Frage, ob die Definitionsmerkmale von 1.2 erfüllt sind oder nicht, darf eben nicht vom politischen Gusto abhängig sein; es geht um eine oft über Leben und Tod - und zwar nicht nur der T-Täter! - entscheidende Faktenfrage, für die (über den sogenannten gesunden Menschenverstand hinaus) letztlich die einschlägigen nationalen wie internationalen Gerichte zuständig sind. Sonst niemand.
So sollte es jedenfalls sein.
Der Text wurde für die Festschrift für Reinhard Merkel zum 70. Geburtstag, 2020, verfasst.
Georg Meggle ist Analytischer Philosoph, d.h. Experte für Begriffserklärungen. Zu den wichtigsten von ihm erklärten Begriffen gehören: Kommunikation, Sprachliche Bedeutung, Humanitäre Interventionen, Kollektive Identitäten, Terrorismus - und Antisemitismus: Genau wann bin ich Antisemit?
Zusammen mit seinen Kollegen Norman Paech und Rolf Verleger hat Georg Meggle dagegen protestiert, dass sich nach dem Bundestag nun sogar - ohne Not und offenkundig auch ohne richtig darüber nachgedacht zu haben - die höchste Institution der akademischen Welt Deutschlands, die HRK (Hochschulrektorenkonferenz), in Sachen Antisemitismus die Definitionshoheit anmaßt: Petition. Aktuelles Interview mit Georg Meggle.