Zur Sozialpsychologie des Nazis
Wie Rechte die Psychoanalyse umkehren. Und warum Linke dadurch ins Hintertreffen geraten. Eine Erklärung mit Hilfe von Adorno.
Nur wer zu nichts Bürgerlichem taugt, taugt auch nicht zum Faschisten.
Peter Brückner
In dem Adorno-Text aus dem Jahr 1951, "Die Freudsche Theorie und die Struktur der faschistischen Propaganda" stieß ich auf folgende Passage, deren Aussage nichts an Aktualität eingebüßt hat:
Vielleicht liegt das Geheimnis der faschistischen Propaganda darin, dass sie einfach die Menschen als das nimmt, was sie sind: echte, ihrer Selbständigkeit und Spontaneität weitgehend beraubte Kinder, der heutigen standardisierten Massenkultur – und nicht Ziele aufstellt, deren Verwirklichung ebenso über den psychologischen wie über den gesellschaftlichen Status quo hinausginge. Die faschistische Propaganda braucht nur die bestehende Seelenverfassung für ihre Zwecke zu reproduzieren, sie braucht keine Veränderung hervorzubringen; und die zwanghafte Wiederholung, die eins ihrer Hauptkennzeichen ist, fällt mit der Notwendigkeit dieser andauernden Reproduktion zusammen.
Adornos Freund Leo Löwenthal, auf dessen Studie über rechte Agitatoren in den USA sich Adorno bezog, hatte deren Verfahren als "umgekehrte Psychoanalyse" bezeichnet.
Der faschistische Agitator mobilisiert den psychischen Untergrund so, wie er ihn vorfindet, setzt Vorurteile und Ressentiments einfach in Gang, statt sie über sich selbst aufzuklären und zu bearbeiten, wie es psychoanalytische und aufklärerische Praxis wäre. "Du hast keine Arbeit, die Juden und Ausländer sind schuld daran, dass du keine Arbeit findest!"
Wirkliche Aufklärung hingegen ist anstrengend und setzt komplizierte Bearbeitungsvorgänge voraus. Auch deswegen gerät die Linke in Krisenzeiten oft ins Hintertreffen.
Hinzu kommt die Sprache der Linken, die phantasielos und hölzern ist. Begriffsgeklapper, Statistiken, Zahlen. Starr und kalt wird das Dogma heruntergeleiert. Wo bleiben die Lust, die Phantasie, der Witz und die Begeisterung?
An dieser linken "Unterernährung der Phantasie" hat sich seit Ernst Blochs Zeiten nichts geändert. Die Linke langweilt und reißt niemanden vom Hocker. Diese Aspekte wären in die gegenwärtige Populismus-Debatte einzubringen, sonst bleibt sie unfruchtbar und geht am Kern der Sache vorbei.
Auch heute wird, wenn von rechtsradikalen Aufmärschen und Versammlungen wie in Erding am letzten Wochenende berichtet wird, stets betont, die Teilnehmer und Teilnehmerinnen seien "ganz normale Bürger" und entstammten der "Mitte der Gesellschaft", als wäre das ein demokratisches Gütesiegel und eine vom Verfassungsgericht ausgestellte Unbedenklichkeitsbescheinigung.
Der Faschismus erwächst aus der Normalität der bürgerlichen Ordnung und Lebensweise, ist, wenn man so will, deren übersteigerte Form. Niemand sollte sich also mit diesen Formeln beruhigen. Es gibt keine harmlose bürgerliche Normalität, der "Normale" ist schon auf dem Weg zum Handlungshilfen des Verbrechens.
Adorno sprach in seinem Buch „Negative Dialektik“ im Zusammenhang mit den in Frankfurt vor Gericht stehenden SS-Schergen von Auschwitz, die in der wirtschaftlich aufblühenden Bundesrepublik inzwischen wieder als Ärzte, Kaufleute, Handwerker und Buchhalter tätig waren, von "Normalungetümen".
Wunschvernichtung erzeugt Hass
Der durchschnittliche Erwachsene dieser Kultur ist ein Produkt von Wunschvernichtung und verinnerlichter Repression. Immer, wenn ihm außerhalb seiner etwas begegnet, das auf ein Mehr an Freiheit und Glück hindeutet oder das einfach nur anders ist, "geht ihm das Messer in der Tasche auf". Wilhelm Reich sagte in seiner "Rede an den kleinen Mann":
Ich sage dir, kleiner Mann: Du hast den Sinn für das Beste in dir verloren. Du hast es erstickt, und du mordest es, wo immer du es in anderen entdeckst, in deinen Kindern, deiner Frau, deinem Mann, deinem Vater und deiner Mutter.
Der autoritär erzogene und "zur Sau gemachte" Mensch trägt eine Neigung davon, das, was er selbst unter Schmerzen in sich abtöten und begraben musste, aus sich herauszusetzen und dort am Anderen zu bekämpfen und zu vernichten.
Das niedergedrückte und beschädigte Leben brütet über seinen Kompensationen und sinnt auf Rache: "Der da grenzt sich nicht so ein wie ich, der muss weg!" Das ist der sozialpsychologische Kern des Faschismus – einst und jetzt.
Die Rechten machen es sich einfach und greifen solche diffusen Stimmungen so auf, wie sie sie vorfinden. Die politische Linke hätte sie über sich selbst aufzuklären und muss in diesem Bemühen weite Wege gehen.
Den Spiegel zerschlagen
Nicht die Fremden bedrohen uns, sondern das Fremde, das uns in Gestalt intransparenter finanzieller Abstraktionen gefangen hält. Es ist die vor sich hin nullende Null, die sich selbst vorantreibende Teufelsmühle des Kapitals, die uns alles entfremdet und fremd erscheinen lässt.
Wenn schon "Heimatschutz", dann vor den wahren Zerstörern von Heimat: den Waffenhändlern, den Lebensmittelspekulanten, den Hedgefonds-Managern, der tobsüchtig gewordenen freien Marktwirtschaft, dem Geld, das vollkommen unpatriotisch ist und dahin fließt, wo die Bedingungen für seine Vermehrung am günstigsten sind.
Das Geld hat alle Grenzen niedergerissen und ist in die Abstraktion geschossen. Es sind die riesigen, weltumspannenden Medienkonzerne, die die kulturellen Besonderheiten einebnen und die Menschen in Anhängsel ihrer Apparate und stammelnde Analphabeten verwandeln.
Es sind die großen Fastfood-Ketten, die den Geschmackssinn zerstören, die regionalen Kochkünste ruinieren und die Leute in verfettete Idioten verwandeln.
Gerade angesichts der fortdauernden sogenannten Flüchtlingskrise ist es wichtig zu betonen, dass es das Kapital selber war und ist, das die Globalisierung vorantreibt und damit eine historisch beispiellose Woge transnationaler Mobilität ausgelöst hat, von der wir einstweilen nur die Anfänge erleben.
Wer sich nach Heimat und bergender Gemeinschaft sehnt – und diese Sehnsucht ist im Sinne Ernst Blochs eine zutiefst menschliche -, kann diese nur im Kampf gegen die kapitalistischen Modernisierer und Flexibilisierer gewinnen, die sich unser Lebensgelände unter den Nagel reißen und uns in hochmobile Geld- und Warensubjekte verwandeln.
Die Flüchtdenden, deren massenhafte Ankunft viele erschreckt und ängstigt, sind der vollkommen falsche Adressat des Protests, ein klassischer Sündenbock. In ihrem Schicksal könnten wir uns und unsere Zukunft als deterritorialisierte, bindungslose und entwurzelte Nomaden erkennen.
Über kurz oder lang werden wir alle zu Bewohnern von transit points. Möglicherweise ist das eine der verschwiegenen Quellen der Wut, die die Geflüchteten auf sich ziehen. Sie halten uns den Spiegel vor.
Wer will sich darin schon erkennen? Da zerschlägt man lieber den Spiegel.
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