Zur politischen Exkommunikation eines christlichen Fundamentalisten

Lässt die CDU Martin Hohmann aus innerer Überzeugung fallen?

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Der Psychoanalytiker Otto Fenichel hat den Antisemitismus als das projektive Verhalten einer neurotischen Persönlichkeit gedeutet. Antisemiten "entdecken" ihre eigenen verdrängten Persönlichkeitsmomente in jüdischen Menschen, um sie dort zu verfolgen und zu unterdrücken. Der Sozialpsychologe Ernst Simmel behauptete noch weiter gehend, dass der antisemitische Christ den Juden in Teufelgestalt braucht, um ihn den Hass erdulden zu lassen, der im christlichen (!) Zivilisationsprozess nicht abgebaut wurde. So wirft der Skandal im Fall des bekennenden Fundamentalisten Martin Hohmann nicht allein die Frage auf, wie antisemitisch dieser Politiker ist. Das Leitthema heißt vielmehr, ob christlich konservatives Denken solche Diskriminierungsschemata unweigerlich produziert, nachgerade im eigenen Selbstverständnis von ihnen abhängig ist. Handelt es sich bei Hohmanns Äußerung um das Exemplum eines fundamentalistischen Politikbegriffs, der ohne Freund-Feind-Denken nicht auskommt und demnächst wieder die Hatz auf die Gottlosen aller Sorten eröffnet?

Die Unionsparteien wollen den Nationalfeiertagsredner Hohmann nun opfern, um ihr eigenes nationalkonservatives Lager vor solchen Verdächtigungen rechtsradikalen Denkens und seiner Umtriebe zu schützen (Der Wortlaut der Rede von MdB Martin Hohmann zum Nationalfeiertag). Mittlerweile wird auch die Kritik am Ausschluss in CDU und CSU lauter.

Man muss den Text im Zusammenhang sehen, und wenn man ihn im Zusammenhang liest, dann kann man nicht zu dem Ergebnis kommen, Hohmann sei Antisemit.

Der CSU-Abgeordnete Norbert Geis gestern im Bayerischen Rundfunk

Der Versuch, durch den Ausschluss Hohmanns nationalkonservative Werte wie den Stolz der Deutschen auf ihr Land zu legitimieren, markiert die Crux(!) in diesem Fall (Der nächste Hohmann kommt bestimmt). Er wird dadurch mehr als ein Fall, sondern könnte zum Symptom einer politischen Theologie der Bekämpfung des jeweiligen Anderen werden. Es geht mithin um die alte nebulöse Trennlinie zwischen konservativer, nationaler, nationalistischer und rechtsradikaler Politik.

Nach einer Umfrage im Auftrag des Stern sagen lediglich 41 Prozent der Bundesbürger, dass sie für einen Ausschluss Hohmanns aus der CDU sind.

Der nationalsozialistische Antisemitismus speiste sich nachhaltig aus dem Glauben, die eigene nationale Identität in der Verfolgung der Juden zu finden. Richard Wagner befand zuvor leitmotivisch für die rassistische Konstruktion von Volk und Nation, dass alles was jüdisch ist, undeutsch sei. Die jüdische Historikerin Shulamit Vokov hat den Antisemitismus als die große Klammer beschrieben, mit der sich alle Vorurteile, Ressentiments und Irrationalismen zu einer nationalistischen, anti-modernen Weltsicht verbinden. Das Bekenntnis zum Antisemitismus wird nach Vokov zum Zeichen der eigenen kulturellen Identität.

Dem Stolz ist der Vergleich mit Anderen eingeschrieben

Das blasse Gerede von der deutschen Leitkultur, vom Nationalflaggenbekenntnis und schließlich von der christlichen Kultur des Abendlandes, die vormals gegen Juden und heute gegen Muslime zu verteidigen ist, lässt vermuten, dass ohne Feindbild, ohne Ressentiments gegen das "Andere", diese Identität nicht wirklich gelingen will. Denn die ideologischen Achsen zwischen antiliberalem Denken und Antisemitismus, Nationalstolz und expliziten Feindschaften folgten historisch betrachtet immer politischen Mythen, die sich vor allem durch ihre kategorische Unsauberkeit auszeichneten.

Ein gesundes deutsches Nationalbewusstsein bleibt, zumindest wenn man denn nach dessen expliziten Inhalten fragt, eine Chimäre. Und selbst wenn es keine wäre: Wer braucht dieses Bewusstsein in funktional ausdifferenzierten, leidlich liberalen Gesellschaften, in denen auch Politiker einer Tätigkeit wie jedermann nachgehen und nicht den Wählerauftrag haben, das nationale Bewusstsein zu stärken oder gar zu stiften, sondern nachhaltig soziale und ökonomische Interessen einer Gesellschaft zu vertreten?

Wer stolz zu sein behauptet, ohne einen Widerpart, einen Unterlegenen benennen zu können, belügt sich bestenfalls selbst. Denn jedem Stolz ist der Vergleich mit jenen eingeschrieben, die eben nicht oder nur weniger stolz sein dürfen. Wenn alle stolz sind, macht Stolz bereits semantisch keinerlei Sinn. Die CDU-Vorsitzende Merkel glaubt dagegen an die Möglichkeit, unbefangen, d.h. "nicht auf dem Rücken von Dritten" stolz auf das eigene Land sein zu können. Doch antisemitischen Äußerungen wie jenen des Herr Hohmann dürften psychodynamische Muster zu Grunde zu legen, die sich nicht diesem frommen Oberflächenglauben an sich und seiner stolzen Nation fügen.

"In der Politik ist doch alles Taktik"

Die von Hohmann entfachten Gefahrenpotenziale sind offensichtlich den Christdemokraten selbst nicht klar. Anders jedenfalls sind Bedenkzeit und plötzlicher Sinneswandel in der Behandlung des christlichen Fundamentalisten Hohmanns nicht zu verstehen. Es geht den Unionisten offensichtlich weniger um den Gehalt der Aussage Hohmanns und die aufscheinenden Gefahrenpotenziale eines christlichen Fundamentalismus als vielmehr um die Frage, was der Partei schaden könnte. Was also gedacht und wie gehandelt wird, bleiben zwei Paar Schuhe.

Es gibt jene, die wie Hohmann offen bekennen, und jenen wohl sehr viel größeren Kreis, der aus Gründen politischer Opportunität - zumindest noch - in der Öffentlichkeit schweigt. Hohmann wird dafür jetzt von keinem kleinen Teil der Konservativen gerade als Mann mit Rückgrat dargestellt. Allein die Solidaritätsbekundungen im Internet sprechen eine eindeutige Sprache. Schuld an Hohmanns Ausschluss ist also letztlich die verlogene Gesinnungspolizei, die für sich reklamiert, das Gewissen der Nation zu sein und denen neben den "jüdischen Tätern" der Angriff Hohmanns galt.

Hohmann soll anlässlich seiner Auseinandersetzungen mit der Partei-Spitze bekundet haben: "In der Politik ist doch alles Taktik." Und da könnte er wohl nicht nur in seinem eigenen Fall Recht haben. Denn was hier aus Selbstschutzgründen als Selbstreinigung der Konservativen durch die politische Exkommunikation eines "Standhaften" inszeniert wird, lässt gerade nicht erkennen, dass man die ach so feinen bis fundamentalen Unterschiede zwischen "konservativ" "rechtsradikal" oder "antisemitisch" definieren könnte und wollte. CDU-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach versucht das etwa auf die Formel zu bringen: "Patriotismus ja, Nationalismus nein." Doch funktioniert das wirklich?

Die Bösen sind die "Gottlosen"

Auf der Suche nach der antisemitischen Persönlichkeit kommen Else Frenkel-Brunswik und R. Nevitt Sanford unter anderem zu dem Ergebnis:

Mit dem konventionellen Moralkodex verbindet sich eine Betonung des Rückhalts, den Religion und Nationalismus bieten, wo es an eigener Kraft mangelt.

Insofern reden wir hier nicht von einer Diffusion der Wertewelt, die einen Herrn Hohmann auszeichnet, sondern über einen alten moralisch-religiös-nationalen Komplex, der mit unterschiedlichen "Verwischungsgraden" und Rechtfertigungsgesten auch antisemitische Ressentiments zu seiner jeweiligen Weltbild- und Geschichtsklitterung benötigt.

Die Reflexionen Hohmanns sind mithin nicht nur der Fall eines antisemitischen Ausrutschers, zudem Hohmann selbst ohnehin weiter von seinen historischen Wahrheiten überzeugt ist. Der Fall Hohmann ist das Zeichen, dass alle Momente nationalen und konservativen Denkens weiterhin besonders anfällig für das Freund-Feind-Schema sind, wobei der jeweilige Menschheitswidersacher und Antichrist je nach der historischen Gunst der Stunde wechseln mag.

Manichäische Geschichtsmetaphysik

Die Geschichtsphilosophie von Herrn Hohmann ist lediglich deshalb besonders perfide und variiert alte Muster, weil sie sich vordergründig hinter vermeintlichen Fakten jüdischer Täterschaft tarnt, um das Ressentiment so besser schüren zu können, als wenn er ohne Bezugspunkt einen rassistisch motivierten Antisemitismus propagiert hätte. Doch bei näherem Zusehen fällt auch dieses im historisch Trüben fischende Argumentationskonstrukt in sich zusammen. Denn Hohmanns Rede prägt das Paradox, jüdische Bolschewisten als Täter zu bezeichnen, weil sie "Gottlose" waren. Damit konstruiert Hohmann einen jüdischen Tätertypus - ausdrücklich nennt er zum Beleg Trotzki -, der jüdisch bleibt, obwohl er das Religionsbekenntnis leugnet. Insoweit ist die fundamentalistische Attacke nicht "nur" antisemitisch, sondern richtet sich gegen gottlose Juden und in der nächsten geschichtsmetaphysischen Sekunde schließlich gegen alle Gottlosen.

Der Fall Hohmann erscheint gerade in seiner parteitaktischen Abwicklung als der alte Kampf gegen die Spitze des Eisbergs, der mehr oder minder unberührt unterhalb der öffentlichen Verlautbarungen der guten bis weniger guten Konservativen ruht. In Zeiten, in denen das Christsein an Identitätsschwäche leidet, könnte ein alter tief verankerter Hass wieder eine besondere Aufwertung erfahren, in der Ab- und Ausgrenzung des "Anderen", nicht nur Juden, sondern Muslime, Homosexuelle, "Modernisten", Aufklärer und andere "Gesinnungslumpen" zu diffamieren, um darin seine eigene nationale und politische Identität zu stiften ( s.a. Das Gift der "Inquisition light"). Denn so lautete das Fazit Hohmanns:

Mit vollem Recht aber kann man sagen: Die Gottlosen mit ihren gottlosen Ideologien, sie waren das Tätervolk des letzten, blutigen Jahrhunderts. Diese gottlosen Ideologien gaben den "Vollstreckern des Bösen" die Rechtfertigung, ja das gute Gewissen bei ihren Verbrechen.

Das ist eine aberwitzige, manichäische Geschichtsmetaphysik, die offensichtlich unberührt von unzähligen Verbrechen ist, die im Namen des Herrns verübt wurden. So wider den Strich der historischen Wahrheit gebürstet lassen sich die kommenden Feinde christlicher Kreuzzügler in dieser Pauschalattacke mehr als erahnen.

Auch die nun jede Empirie verlassende Äußerung des CDU-Abgeordneten Henry Nitzsche, dass einem Muslim eher die Hand abfallen würde, als dass er CDU wählen würde, gehört zu dem demselben Feindbildschema, das zugleich die eigene politische Position oder Heimat bezeichnet (Die Fahne hoch!).

"Alle politischen Begriffe sind theologische Begriffe", erklärte Carl Schmitt 1922. Vielleicht täte die CDU, die das Christentum im Namen trägt, gut daran, den Fall Hohmann zum Anlass zu nehmen, ihr eigenes christliches Erbe einer kritischen Revision zu unterziehen und nicht nur Symptome zu kurieren.