Zurück in die Zukunft oder: Das Kino ist schon wieder tot

Game-Stars Jade Raymond, Jordan Mechner und andere referieren über die Zukunft des Films

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"Ich möchte einfach nur hier sitzen!" Dieser fromme Wunsch aus Loriots klassischen "Szenen einer Ehe" ist, glaubt man den Propheten des digitalen Zeitalters, der Wunsch einer aussterbenden Generation. Der Mensch von heute, und erst recht von morgen, will dauervernetzt kommunizieren, interagieren, dekonstruieren, hat kein Interesse an Unterhaltungsformen, welche nur passiven Zuschauern gefüttert werden. Also in Konsequenz mal wieder: Der Tod des Kinos. Und weil man sich ungern kampflos geschlagen gibt, ließen sich auf der Berlinale bei den Keynotes Filmschaffende erklären, wie die Zukunft aussieht. Von Wirtschafts-Oraklern, OpenFilm-Community-Machern und zwei Stars der Games-Szene: Jade Raymond und Jordan Mechner.

Die Bühne bereitete zunächst aber erst einmal Don Tapscott. Der ist Autor von Wirtschaftsbüchern wie "Wikinomics" und Unternehmensberater. Man kann sich seine Erscheinung in etwa vorstellen, als würde George W. Bush von James Caan dargestellt. Und er verkündet, dass alles anders, alles neu wird.

Er könnte auch gar nicht anders, denn Tapscott ist sein eigenes Produkt, und seine Botschaft ist vor allem darauf hin zugeschnitten, dass sie sich in gewissen Kreisen gut verkauft. Das heißt: Sie funktioniert über die übliche Mischung aus Peitsche und Zuckerbrot - aus Bangemachen, dass jeder, der die nächste Zeitenwende verschläft, seinen Laden in ein paar Jahren dichtmachen muss; und aus Verheißung, dass jeder, der früh genug auf den Zug aufspringt, demnächst in seine Geldreserven wie ein Seehund hineinspringen, wie ein Maulwurf darin herumwühlen und sie in die Luft werfen kann, dass es ihm auf die Glatze prasselt.

Weil aber keiner so richtig Angst hat vor dem Bekannten, und jeder aus Erfahrung weiß, dass auf herkömmlichen Wegen nur selten Gigantillionen zu verdienen sind, macht es ein Business-Guru wie Tapscott keineswegs unter einem Paradigmenwechsel. (Er dürfe explizit "Paradigmenwechsel" sagen, scherzt Tapscott, "because I wrote the book". In der Tat weist seine Bibliografie ein "Paradigm Shift: The New Promise of Information Technology" auf - das ist aber doch nach Thomas Kuhn...)

Im Bangemachen ist Tapscott ganz überzeugend. Das "Web 2.0", das Heranwachsen der ersten von Geburt an selbstverständlich mit Digitaltechnik vertrauten Generation, der Siegeszug des "Social Networking" und - freilich darf Tapscotts eigenes Buzzword nicht fehlen - die "Wikinomics": All das drängt und droht auf die Filmindustrie ein, stiehlt ihnen Zuschauer, verändert Sehgewohnheiten, verstellt gewisse Vermarktungswege und bricht neuen Bahn, macht herkömmliche Produktionsstrategien unrentabel und eröffnet andere.

So weit, so zugespitzt. Aber generell nicht von der Hand zu weisen, zumal in Zeitnähe zu der menetekelnden Nachricht aus einer Nachbarbranche, dass der Brockhaus seine Printausgabe einstellen wird.

Freilich wissen wir andererseits auch, wie das so ist mit den Prophezeiungen, dass wir in der Zukunft alle nur noch im Cyberspace leben werden, dass jeder ein fliegendes Auto besitzen wird und alle Reisen nur noch per Zeppelin unternommen werden: In der anfänglichen Begeisterung für neue Technologien wird die Beharrlichkeit und Unterschiedlichkeit der Menschen, werden die Abstumpfungen, Gegenbewegungen und unvorhersehbaren Einschnitte gern aus dem Blick verloren - und andererseits viele tatsächliche Konsequenzen nie gedacht. Jules Verne hätte vielleicht wirklich das Mobiltelefon vorwegträumen können - aber zeigt mir den SF-Autoren, Wissenschaftler oder Propheten, der Klingeltöne geahnt hätte.

Tapscott erweist sich eher als Beispielsammler denn als Visionär, fast zum running gag wird seine Standard-Einleitung zu ziemlich jeder Frage an ihn: "To answer that, we can look to other industries..." Und dann zitiert er eine Anekdote, Website, ein Projekt, ohne dass er Kontext dazu gäbe.

Und so bleibt auch nebulös, was der "Film 2.0" denn nun genau sein soll, den er proklamiert. Irgendwie interaktiv ist er, Communities scharen sich um ihn, das klassische Konzept einer "Leinwand" gilt für ihn nicht mehr, er fühlt sich auf dem Handydisplay so wohl wie auf dem Computerbildschirm. Er finanziert sich anders als bisher in der Kinobranche üblich; Tapscott empfiehlt, mit Blick auf die in ihren letzten Zügen liegende Musikindustrie, nicht verbissen jedes Fitzelchen Copyright zu verteidigen, sondern mit weiten Teilen des "geistigen Eigentums" freigiebig zu sein, um dafür an anderen Aspekten um so besser verdienen zu können. Irgendwie.

Man wird auch nicht ganz das Gefühl los, dass Tapscott seine Präsentation nach Belieben an die unterschiedlichsten Industrien anpasst und er für den Spezialfall Filmgeschäft nur ein paar andere Statistiken gegoogelt hat. Wie überhaupt Tapscotts vermeintlicher Expertise, je länger man hinschaut und hinhört, mehr eine darstellerische als inhaltliche Kompetenz zugrunde zu liegen scheint.

Tapscott ist der begnadetste Performer an diesem Tag, und das macht ihn irgendwie sympathisch, sowie symptomatisch: Er ist ein Schlangenölverkäufer, ja, aber er ist auch die Verkörperung der Verunsicherungen des Kapitalismus unserer Zeit. Sein Erfolg beruht nicht darauf, dass er substantielle Lösungen und Strategien bieten würde, sondern darauf, dass er dem Unbehagen über das Kommende immerhin Worte und Struktur verleiht. Und insofern ist nicht das, was Tapscott sagt, sondern dass dieser Prophet des Untergangs und Neuanfangs überhaupt einen lukrativen Beruf aus dieser Masche machen kann, der wahre Beweis, dass ein Umbruch im Schwange ist.

Das ist Demokratie, langweilig wird sie nie!

"I've said it before, and I'll say it again: Democracy just doesn't work!," kommentierte einmal Kent Brockman - der Nachrichtensprecher bei den "Simpsons". Und zumindest wenn es um Kunst geht, ist da was dran.

Die Intelligenz des Hiveminds mag erstaunliche Ergebnisse bringen, wenn es um funktionale, objektivierbare Dinge geht, um Sachen, die sich ansammeln, verbessern lassen: Enzyklopädien, Betriebssysteme, Browser. Aber wer schon einmal einen JeKaMi-Bunten-Abend erlebt hat weiß, dass das "Jeder kann mitmachen"-Prinzip nicht der ideale Weg zur großen Kunst ist.

"Ich habe niemals gesagt es sei demokratisch!," entsetzt sich der nächste Redner Matt Hanson dann auch über das Missverständnis. "Es ist partizipatorisch." Er spricht von seinem Projekt "A Swarm of Angels" - dem Versuch einer "offenen" Filmproduktion. Wer sich an dem avisierten Budget von £1 Mio. mit £25 beteiligt, kauft sich damit auch das Recht, über alle Aspekte der Produktion mitzuentscheiden.

Doch an 50.000 Köchen, die einen ungenießbaren Brei zusammenrühren, hat auch Hanson kein Interesse. Es brauche freilich eine leitende Vision, sagt er. Und in so einer Community seien es ohnehin nur 1 bis 5% der registrierten Mitglieder, die sich auch wirklich aktiv einbringen würden. (Man konnte auf der Berlinale andernorts schön erleben, was es bedeutet, wenn ein Publikum Mitspracherecht fordert - in dem Film Jesus Christus Erlöser, der jenen legendären One-Man-Auftritt gleichen Titels von Klaus Kinski in der Deutschlandhalle 1971 rekonstruiert. Da gerät spektakulär der Kontrakt aus den Fugen, dass einer, der dafür bezahlt wird, auf der Bühne redet, und die paar Tausend anderen hören still zu...)

Was "A Swarm of Angels" betreibt, ist in Wahrheit keine grundlegend neue Form des Filmemachens. Es ist nur die konsequente Weiterentwicklung in der Dezentralisierung von Macht und Produktivität, die seit dem Zusammenbruch des klassischen, fabrikartigen Studiosystems zu beobachten war.

A Swarm of Angels

Anstatt, dass ein kapitalstarker Geldgeber sich einen festen Stamm von spezialisierten Angestellten hält, ist nun nicht mehr das Studio, sondern das einzelne Projekt der Magnet, um den sich alles versammelt. Im Prinzip ist das im Filmgeschäft schon länger zunehmend so - hier wird es lediglich auf die Spitze getrieben. Neu ist nur, dass eine Kommunikations- und Datenverarbeitungs-Infrastruktur existiert, die noch eine Stufe mehr an Atomisierung und Dezentralisierung erlaubt.

Da es sich um einen CGI-Animationsfilm handelt, gibt es auch keine Dreharbeiten mehr, zu denen sich zumindest eine Gruppe von Menschen im realen Raum zu bestimmter Zeit versammeln müssten. Jeder, der ein entsprechendes Talent hat, kann es von daheim aus beisteuern - weil ihm das Projekt gefällt, oder weil er es als Showcase für seine Fähigkeiten nutzen möchte, um dann von der etablierten Filmindustrie entdeckt zu werden.

"Crowdsourcing" nennt Hanson das. Es ist eine mit utopisch-idealistischem Anstrich versehene Variante der "Generation Praktikum", der unentgeltlichen Bereitstellung von Arbeitskraft, Talent und Lebenszeit in der Hoffnung auf eine Eintrittskarte in den Zirkel der Profis. Oder schlicht in der Hoffnung auf ein bisserl Unsterblichkeit: "The threat today is not piracy but obscurity," proklamiert Hanson. Die größte Bedrohung heutzutage sei nicht die Gefährdung des "geistigen Eigentums", sondern, dass ein Werk überhaupt nicht wahrgenommen würde. Und da herrscht eben safety in numbers.

Das (dann doch demokratische) Abstimmen über Drehbuchfassungen, Trailer, grafische Designs etc. ist im Prinzip nur eine differenziertere, spezialisiertere Form der Fokusgruppen-Marktforschung. Dass ein Testpublikum über die endgültige Schnittfassung eines Films bestimmt, ist in Hollywood an der Tagesordnung.

Nur ist bei "A Swarm of Angels" eben der Fokus noch schärfer, sind die Stichproben häufiger, genauer und differenzierter. Es ist quasi eine Konflation von Machern und Zielpublikum, von Produzenten und Kreativen. "The Audience is obsolete" ist Hansons einer Slogan, der andere ist "The Audience as auteur". Was das Projekt betreibe, sei "cutting out the middlemen", sagt er.

Es ist keine grundsätzlich neue Form des Kapitalismus, geschweige denn eine Alternative zum Kapitalismus. Es ist nur eine Variante, in der durch Bereitstellung von Produktionsmitteln, durch Vermitteln und Binden von Personal, durch Erschließen der Vertriebswege keine eigene Wertschöpfung mehr zu realisieren ist. Für all diese Dinge sorgen die Internet-Infrastruktur und die "Arbeiter" selber.

Und da das "Produkt" am Ende kostenlos erhältlich sein wird, sind hier die Produzenten ihre eigenen Kunden: Anstatt dass jemand Geld investiert, in der Hoffnung, dass ihm Leute seine Ware nachher abkaufen, zahlen hier die Leute gleich von vornherein dafür, dass es nachher einen Film gibt, der ihnen (hoffentlich) gefällt.

Wurschtigkeit schafft Freiheit

Das ist der eine Punkt, der schon bei Donald Tapscott wirklich überzeugend war, und den auch der nächste Referent, Ton Roosendaal, macht: Dass die Unterhaltungsmedien-Industrie sich vor allem von althergebrachten Vorstellungen frei machen sollte, wie man Einnahmen erzielt. Wo es um beliebig Vervielfachbares geht, ist das klassische "Ich stelle etwas her und überlasse es dem, der mir Geld dafür gibt" nur mehr bedingt praktikabel.

Ton Roosendaal ist Chef der Blender Foundation - und die ist ein durchaus erfolgreiches Unternehmen, dessen Produkt im Internet völlig unentgeltlich zum Herunterladen angeboten wird. Blender ist eine CGI- und Animationssoftware, die durchaus professionellen Standards entspricht, aber als OpenSource-Projekt entwickelt wurde und wird.

Dass die Firma es sich dennoch leisten kann, reguläre Angestellte zu halten und zu bezahlen, dass sie einen schmucken Firmensitz hat und keine Zuschussveranstaltung ist, das verdankt sie dem Umstand, dass sie eben andere Geldquellen anzapft als den altbekannten Verkauf von Produkten (oder Lizenzen).

Assassin's Creed

Ein Teil des Kapitals kommt aus der Gründer-Community (auch hier wieder ein Fall, dass letztlich die, die an einem Produkt auch arbeiten, selbst dafür zahlen). Ein anderer kommt davon, dass man zu der (inzwischen doch sehr komplexen) Software Trainingsseminare und Dokumentationen anbietet. Dann eröffnet der Status als nicht-kommerzielles Unternehmen den Zugang zu diversen Fördertöpfen (grade die EU ist ja da recht freigiebig). Und schließlich lässt man sich freilich auch von "richtigen" Firmen sponsorn.

Die Kurzfilme, die bisher aus dem Blender-Projekt hervorgegangen sind und die ihrerseits OpenSource-Projekte sind, erfreuen sich unter anderem bei Herstellern von Displays als Demos großer Beliebtheit: Für sie fallen keine Lizenzgebühren an, und da der "Quellcode" zugänglich ist, lassen sie sich jeweils in der optimal angepassten Auflösung rendern. Und da ist dann das erste Mal an diesem Nachmittag von kreativer Freiheit die Rede. Es fällt schwer, die Freiheit, die Roosendaal meint, so richtig utopisch zu sehen. Aber es gibt ja immer nur trade-offs; wer das eine will, muss das andere hergeben.

Roosendaal jedenfalls sagt, beim Machen dieser Kurzfilme herrsche kreative Freiheit. Denn die Firmen, die sie als Tech-Demos nähmen und dafür auch gerne mal zum Sponsor würden, interessierten sich nur für die Filme als technische Artefakte. Der Inhalt sei ihnen egal.

Games people pay for

Die Berlinale Keynotes sind eine Industrieveranstaltung, und insofern sind die Botschaften von der kommenden Revolution zwar schon wichtig und interessant für die versammelten Branchenvertreter. Aber die grundsätzliche Frage in den Köpfen ist doch "Was bringt mir das?". Es passt ganz gut, dass die Deko der Bühne, mit ihrer weißen Schrift auf rotem Grund (die diesjährige "corporate identity" des Festivals selbst) im Assoziationszentrum latent das Begriffsfeld "SPD-Veranstaltung" kitzelt: Es herrscht eine ähnliche Vermischung aus Resten revolutionärer Rhetorik und purem Besitzstands-Pragmatismus.

Und drum widmet sich die zweite Hälfte der Keynotes auch einer Nachbarindustrie, die keine Zukunftsmusik vorgeigen muss, sondern die schon jetzt schwarze Zahlen schreibt, und zwar inzwischen größere als das Filmbusiness: Vom Videospielgeschäft lernen heißt siegen lernen, ist die Hoffnung.

Man möchte meinen, dass die Frontberichte vom Aufeinandertreffen des interaktiven Mediums mit dem linear-narrativen besonders dazu angetan sind, neue Formen des Erzählens und des Wirtschaftens zu eröffnen. Das Gegenteil ist der Fall.

Jade Raymond, Game-Producerin bei Ubisoft - und derzeit das Lieblings-Vorzeigegesicht der Branche, weil sie so exakt dem Klischee vom männlichen, nerdigen, unattraktiven Spieledesigner widerspricht - ist mit einer Verkaufszahl von 6 Mio. (and counting...) ihres letzten Projekts Assassin's Creed angereist. Und das gibt, in einem Umfeld, wo Geld am lautesten und klarsten spricht, Autorität.

Raymond referiert eine Weile über die Geschichte der Schnittstelle von Film- und Videospielgeschäft, spricht von den berüchtigten Filmlizenz-Spielen und warum die selten was taugen (zu wenig Entwicklungszeit), von missratenen Verfilmungen von Videospielen und weshalb es ein Fehler ist zu glauben, dass sich ein Erfolg im einen Medium ohne weiteres ins andere übersetzen ließe.

Laut Raymond bestand dann die zweite Stufe in der Zusammenarbeit der beiden Industrien im Austauschen von Fähigkeiten und Werkzeugen; die Zukunft gehört den Partnerschaften, wo Projekte von vornherein parallel in beiden Medien entwickelt würden.

Raymond zelebriert dabei durchaus ihre öffentliche Persona, streut das eine oder andere mädchenhafte Kichern ein, hat ein paar handgebastelte Gags in ihren Präsentation-Slides eingebaut. Aber ihr Auftreten lässt auch keinen Zweifel daran, dass sie mehr ist als ein posterchild der Branche. Hinter der "Ich bin nur ein weiblicher Computernerd"-Fassade scheint Entschlossenheit und Willensstärke durch. Man kann sich durchaus vorstellen, wie sie als Produzentin über ein Heer von Designern, Programmierern, Künstlern wacht und herrscht.

Und genau dieses Heer, dieses über vier Jahre beschäftigte Team von 300 Leuten (plus 350 Zuarbeiter außer Haus) ist die insgeheime, ironische Pointe ihres Auftritts: Ramyond stellt am konkreten Beispiel Assassin's Creed ein Erfolgsmodell vor, wie es den vorangegangenen Prophezeiungen vom "Film 2.0" nicht diametraler entgegenstehen könnte. Sie gibt als Vorbild für das Geschäftsmodell von Assassin's Creed ausdrücklich das epische Spektakelkino à la Ben-Hur an, mit dem Motto "Go big, or go home".

Es ist also jenes Geschäftsmodell, mit dem einst die Hollywoodstudios groß wurden, ist jenes exzessive Zurschaustellen von Produktionsmitteln, mit dem sie sich immer wieder gegen Publikumsmüdigkeit und neu mediale Konkurrenz wie einst das Fernsehen zu behaupten versuchten. Drei Städte historisch korrekt nachgebaut, Tausende Statisten - wüsste man nicht, dass hier von virtuellem Raum die Rede ist, könnte das auch die Werbung für ein Hollywood-Großprojekt sein.

Und von OpenSource oder nachlässigem Umgang mit dem Copyright, von neuartigen Finanzierungsmethoden kann erst Recht nicht die Rede sein bei Assassin's Creed, das für rund €60,- pro Stück auf kopiergeschützten Konsolen-Discs verkauft wird.

Jade Raymond hat mithin Glück, dass in diesem Fall die Rechnung aufgegangen ist, sich die riesige Investition bezahlt machte. Das verstellt im Kontext der Berlinale Keynotes den Blick darauf, dass die Games-Industrie selbst in einer Umbruchsphase ist; dass immer fragwürdiger wird, ob eben jene Blockbuster-Strategie das Ideal darstellt. Denn floppt einer dieser Titel, kostet das schnell das Entwicklerstudio die Existenz - und angesichts des Überangebots und dessen, dass ein, zwei suboptimale Design-Entscheidungen einem Spiel trotz aller sonstigen Mühen und Qualitäten leicht schlechte Kritikerbewertungen und Mundpropaganda einbringen können, ist so ein Flop leicht bei der Hand.

Dagegen lockt der Mainstream-, der sog. Casual-Games-Markt mit kurzen Entwicklungszeiten, geringeren Entwicklungskosten und einer ungleich größeren potentiellen Käuferschicht. Während sich die Kinoleute also von den Videospielvertretern Ausblicke auf den "Film 2.0" erhoffen, ist deren Branche schon auf halbem Weg zum "Game 2.0".

Raymonds vielleicht interessantester Punkt bleibt eher eine Randbemerkung: Es geht um eines der großen Missverständnisse bei der vermeintlichen Verwandtschaft von Spielfilmen und Spielen als Erzähl-Medien. Videospiele hätten noch kaum angefangen, relevante Geschichten zu erzählen, meint Raymond. Und das läge vor allem daran, dass zu wenig Bewusstsein dafür herrsche, dass die Bedeutung, die wahre "Geschichte" von Games nicht in der oberflächlichen narrativen Einkleidung liegt. Sondern in der Mechanik, in dem, was man als Spieler aktiv tatsächlich tut.

Es helfen alle Cutscenes und Dialoge nichts: Wenn man im Spiel keine andere Betätigung hat, als Leute umzubringen, dann ist das die Aussage, die man mitnimmt, fühlt. Das ist der Unterschied zwischen Coppolas The Godfather und The Godfather – The Game, der Unterschied zwischen John Woos Hard Boiled und John Woo's Stranglehold. Es gibt noch zu wenig Spiele, die komplexere Emotionen in die tatsächliche Spielmechanik zu verpacken wissen.

Raymond sagt es nicht, aber man kann es zwischen den Zeilen herauslesen: Was das Erzählen angeht, da ist noch immer das Kino der Meister und die Videospiele bestenfalls am Anfang ihrer Lehrlingsjahre.

My name is Prince

In genau die selbe Kerbe schlägt Jordan Mechner: "It's about a guy who gets from point A to B in acrobatic ways and along the way kills everybody he meets." So beschreibt er die wahre Geschichte seines Spiels Prince of Persia: Sands of Time.

Was in Spielen zählt, sind die Aktionen, über die man die Kontrolle hat. Was in Filmen zählt, sind die menschlichen Interaktionen. Selbst bei einem Actionfilm, meint Mechner, wirken alle Explosionen und Schießereien leer und unbefriedigend, wenn sie nicht durch die involvierten Charaktere mit Emotion und Empathie aufgeladen sind.

Prince of Persia

Jordan Mechner, legendärer Erfinder und Entwickler der Prince-of-Persia-Spiele (und von The Last Express, einem der frühesten und kommerziell leider völlig gescheiterten Versuche, ein sehr filmisches Computerspiel zu kreieren), ist derzeit gerade damit beschäftigt, im Auftrag von Blockbuster-Mogul Jerry Bruckheimer seine Gameserie für die große Leinwand zu adaptieren. Seine Hauptarbeit beim Schreiben des Drehbuchs war, scheint es, sich so frei von der Spielvorlage zu machen wie möglich. Mechner wirkt etwas bubenhaft, unsicher auf der Bühne, ist ganz anders als Tapscott anfangs kein Mann der souveränen öffentlichen Rede. Aber was er sagt, das hat Hand und Fuß.

Mechner hat sich offensichtlich viele Gedanken dazu gemacht, wie Emotion und Narration funktionieren, auf dem Computerbildschirm wie im Kino. "Man muss verstehen, warum die Dinge, die funktionieren, funktionieren," sagt er. Die erste Herausforderung, erzählt Mechner, besteht darin, aus einem Videospielhelden einen Filmhelden zu machen. Und das sei so einfach nicht, denn die besten (Videospiel)-Helden seien die, die im doppelten Sinne Ikonen sind: Mit je mehr individuellen Details eine Figur ausgestattet sei, um so mehr distanziere dies paradoxerweise das Publikum. Ein Pacman oder ein Clint Eastwood als Fremder ohne Namen sind perfekte Projektionsflächen; gerade die Leerstellen bringen die Leute dazu, sie selbst zu füllen, damit einen Teil von sich selbst zu investieren.

Mit diesem Problem hat Mechner schon gerungen, als er den schemenhaften Pixel-Akrobat seiner klassischen 2D-Prince of Persia-Spiele für dessen ersten Game-Ausflug in die dritte Dimension neu gestalten musste. Jetzt aber geht es darum, der Figur ein reales Gesicht zu geben - und sie dennoch ein gutes Stück weit als Chiffre zu belassen.

Mechner ist aber vor allem klug genug zu wissen, dass man alles, was die spezifische Attraktion eines Videospiels ausmacht, tunlichst von der Kinoleinwand fernhalten sollte: Oberflächliche Ähnlichkeiten sind trügerisch, warnt er. Es ginge ihm bei dem Prozess des Drehbuchschreibens darum, etwas zum Spielen Gemachtes in etwas zum Anschauen Gemachtes zu transformieren. In Games dient alles dazu, das Gameplay zu unterstützen, in Filmen dazu, die Story zu unterstützen.

"It's not a videogame movie," hat dann auch der designierte Regisseur Mike Newell (Four Weddings and a Funeral, Harry Potter and the Goblet of Fire) verlauten lassen. Und er hat damit eigentlich in mehr als einem Sinn Recht. Jordan Mechner ist der Erste, der zugibt dass die Inspiration für sein Ur-Spiel 1989 Filme wie The Thief of Baghdad, Sindbad the Sailor und die Indiana-Jones-Serie (ihrerseits eine Re-Imagination von '30er-Jahre-Abenteuerserials) waren.

Der Prince-of-Persia-Film ist nichts weiter als ein Reimport, ein Anknüpfen an alte Filmtraditionen mit kurzem, fremdmedialem Zwischenstopp. So, wie Hollywood den Umweg über die Disneyland-Attraktion "Pirates of the Caribbean" brauchte, um sich auf The Sea Hawk, The Crimson Pirate und Konsorten zu besinnen, so knüpft man mit Prince of Persia recht eigentlich bei Douglas Fairbanks, Errol Flynn, Alexander Korda und Ray Harryhausen an.(Im ewigen Import-Export-Geschäft, das wir "Kultur" nennen, ist freilich auch bei diesen Vorfahren nicht Schluss. Mechner benennt als seine älteste Quelle das Shahname, das persische Königsbuch des 11. Jahrhunderts.)

Dass Jerry Bruckheimer nicht gleich ein weiteres Remake von The Thief of Baghdad produziert, hat wohl einen einfachen Grund (außer, dass ein Film dieses Titels heute generell so seine Probleme hätte): Prince of Persia ist, wie die Karussellverfilmung Pirates of the Caribbean, eine etablierte Marke. Und Videospieler, die diesen Titel wieder erkennen und als Qualitätsmerkmal nehmen, dürften grade in der demografischen Hauptgruppe heutiger Kinogänger deutlich zahlreicher sein als Fans von den Kinowerken von Raoul Walsh und Alexander Korda.

Mechner vermittelt aber auch glaubhaft den Eindruck, dass diese Verfilmung ein lang gehegter Traum von ihm ist; ja, dass 1989 das Prince-of-Persia-Spiel in gewisser Weise für ihn eine Ersatzhandlung war, dass dieses Medium ihm erlaubte, so nahe wie für ihn damals möglich an eine tatsächliche Abenteuerfilm-Hommage zu kommen. Es war wohl kein Zufall, dass er sich einst, als er die Rechte an den Spielen und der Marke verkaufte, ausdrücklich die Filmrechte vorbehielt.

Mechners erklärtes Ziel ist es, etwas Künstlerisches zu schaffen und nicht nur eine Lizenz auszuschlachten. Man darf gespannt sein, ob Jerry Bruckheimer das auch so sieht. Und wer im Zweifelsfall die Oberhand behält. Das Ergebnis gibt es erst 2009 zu sehen.

Epilog: Die wirklich wahre Zukunft

Die Berlinale Keynotes sind schon eine Weile vorbei, da gibt es doch noch, kurz vor Ende des Festivals, unerwarteter Weise einen veritablen "Film 2.0". Michel Gondrys Abschlussfilm Be Kind, Rewind ist die Fortsetzung der YouTube-Ästhetik mit meisterhaften Mitteln, ist zumindest ein Film über Kino als partizipatorisches, gemeinschaftsstiftendes, für Remixes und Subversion offenes Medium. Zwei Kackspechte aus einem Kaff in New Jersey löschen darin aus Versehen sämtliche Bänder einer altmodischen Videothek und sehen sich genötigt, die Filme mit allen zur Verfügung stehenden, einfachsten Mitteln selbst nachzudrehen.

Freilich tauchen dann bald die Hollywood-Rechtsanwälte auf und lassen die Dampfwalze über die unautorisierten Remakes rollen. Woraufhin nur ein Weg bleibt: Zum Original-Genie zu werden. Die ganze Community des Örtchens macht mit, und die Vorführung des eigenen Werks wird zu eben jenem Magneten einer Gemeinschaft, wie ihn die Propheten des "Film 2.0" wohl prophezeien.

Ja, hier, in Be Kind, Rewind, ist sie zu sehen, die Zukunft des Kinos, des selbstfinanzierten, selbstgemachten, selbstremixten, selbstprojezierten Films. Dieser Vorgriff auf das Morgen ist, seiner Ästhetik nach, ein Schwarzweiß-Musical der 1930er Jahre.