Zurück zum Autochthonen und Ureigenen

Bild Adam Opel: Gemeinfrei / Bild Opel Adam: KarleHorn, CC-BY-SA-3.0

Marken- und Fabrikatsnamen als Mittel zur Erfindung von Tradition und Identität

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Woran denken Sie, wenn sie an den Schwarzwald denken? Richtig, an eine Schwarzwälderin mit einem Bollenhut auf dem Kopf. Diese "Tradition" wurde allerdings erst im 19. Jahrhundert erfunden: Aus einer lokalen Tracht in genau drei Gemeinden machte der Wille zum Pittoresken einer Künstlergruppe die Schwarzwälder Tracht. Die verkitschten Heimatfilme der 1950er Jahre taten ein Übriges.

Oder nehmen wir die angeblich so traditionsreiche "tibetische Flagge", die auch bei westlichen Tibetfans äußerst beliebt ist. Sie ist keinesfalls Jahrhunderte alt, sondern war das Kriegsbanner der tibetischen Armee seit 1912. Ihren ersten großen internationalen Auftritt hatte sie 1947, als die Briten der tibetischen Delegation zur Asian Relations Conference in Neu-Delhi empfahlen, die Kriegsflagge als Quasi-Nationalflagge mitzunehmen.

Auf die Idee, einen Zug nach Anne Frank zu benennen, konnte eigentlich nur die Deutsche Bahn AG kommen, also die Nachfolgerin der Institution, die Anne Frank 1944 nach Auschwitz gefahren hatte. Es brauchte erst massiven Gegenwind, um die Bahn von diesem Geniestreich wieder Abstand nehmen zu lassen.

Vehikel von Herrschaft

Die Auschwitz-Erbauer hatten sich mit den Germanenmythen die hässlichste Plundertüte des Altertums als Theaterfundus für ihr blutiges Gesamtkunstwerk angeeignet. Ihre Nachfolger wollten die Opfer als Namensgeber für mobilen Gedenkkitsch missbrauchen - zwei monströse Seiten einer Medaille. Und ein fast ebenso gutes Beispiel für überlegene deutsche Kultur wie die Beteiligung der Degussa am Holocaust-Mahnmal in Berlin.

All diese Beispiele - und es gäbe noch viele mehr - machen deutlich, dass Namen und Symbole Vehikel von Herrschaft sind. Man erfindet sich eine Vergangenheit, steckt sie in eine eingängige Verpackung ("Schwarzwald!", "Germanen!", "Anne Frank!") und möchte dadurch die eigene Gegenwart definieren.

Wer über die Symbole und die sprachlichen Fetische seiner Anhänger, Kunden und Mitläufer Gewalt hat, der hat bereits über einen großen Anteil ihrer Ideologie, ihres Selbstbildes und ihrer Träume Gewalt. De facto sind die Symbolwelten, mit denen sich die Fans umgeben eine Art öffentlicher Traum. Wir - die Erben der Germanen!

Das alte Tibet wird leben! Der malerische Schwarzwald: Tannen und Bollenhüte!

"Die Vergangenheit ist bewältigt, seht nur, wie wir unsere einstigen Opfer ehren!"

Träume sind nicht nur Schäume, und Namen sind nicht nur Schall und Rauch. Deswegen ist es auch von Bedeutung, dass seit einigen Jahren ein Trend zu beobachten ist, bei dem deutsche Marken- und Fabrikatsnamen zum Autochthonen und Ureigenen neigen.

Abstand von englischen, französischen oder italienischen Markennamen

Was bedeutet es, wenn jemand ein Klamottenlabel "Blutsgeschwister" nennt? Zunächst einmal geht es natürlich nur um Marketing: also um Alleinstellungsmerkmale, um den Abstand von englischen, französischen oder italienischen Markennamen. Aber es ist sehr wohl sinnvoll, sich über das Gepäck Gedanken zu machen, dass so ein Name noch mitbringt.

"Blut" steht im Deutschen seit jeher für den Urgrund alles Echten und Wahren, bis hin zu der Kombination "Blut und Boden". Goethes Mephisto sagte: Blut ist ein ganz besonderer Saft. Wenn Blut dicker als Wasser ist, soll das heißen, dass nur Blutsverwandtschaft wahre Nähe hervorbringt, und auch diese Idee vom besonderen Wert der eigenen Sippe wird von dem Namen "Blutsgeschwister" transportiert.

Ob diese Konnotationen beabsichtigt sind oder nicht - der Erfolg des Namens setzt voraus, dass es einen Markt gibt für sie gibt, also ein Publikum, das sie "lesen" kann und zumindest toleriert. Ähnlich verhält es sich mit einem Namen wie "Donaukind" (ein Designbüro aus Ulm).

Die besondere Würde des Lokalen

Wenn er nicht das Blut beschwört, so doch immerhin den Geist und die besondere Würde des Lokalen. Bei dieser Kombination aus Stadtmarketing und Lokalpatriotismus fehlt eigentlich nur noch so was wie ein Bollenhut.

Die Opel Automobile GmbH kann sich noch so sehr wünschen, dass der Name ihres Kleinwagens "Opel Adam" englisch ausgesprochen wird, um nicht den Anschluss an den internationalen Markt zu verpassen. Das Auto ist trotzdem nach dem Firmengründer Adam Opel benannt und feiert so unverhohlen den Mythos des Urvaters.

Regressive Identifikationen

Diesen Schachzügen ist gemeinsam, dass sie regressive Identifikationen feiern. Es ist oft zu beobachten, dass die so geschaffenen Identitäten je aggressiver verteidigt werden, je hohler sie sind. Dazu muss man gar nicht erst auf den Germanenkult der Nazis oder den irrsinnigen Streit um den Namen "Mazedonien" hinweisen. Adam Opel verachtete Autos, auch wenn er von ihrem ökonomischen Erfolg wahrscheinlich begeistert gewesen wäre, hätte er ihn noch erlebt.

Nicht nur in Europa geht ein Gespenst um: die Sehnsucht nach einer passgenauen, von allen Widersprüchen und Brüchen bereinigten Identität, die ihre Künstlichkeit gerne durch regressive Geschichtsmythen tarnt und in ihrer Ausgrenzungs- und Abgrenzungslogik Ausmerze, Säuberung und biologistisch-nationalistische Totentänze immer in der Hinterhand hält.

Es lohnt sich, auch im "vorpolitischen" Bereich schon wahrzunehmen, welche scheinbar harmlosen Namen böse Träume mit sich schleppen.