Zweiparteiensystem in Spanien wird beerdigt
Die Wahlen am Sonntag bringen einen Umschwung, werden zum Härtetest für die Syriza-Schwesterpartei Podemos und zudem einen Wolf im Schafspelz in Parlamente heben
Es wird der große Test vor den Parlamentswahlen in Spanien im Herbst. Am Sonntag finden in dem großen Euroland nicht nur Kommunalwahlen statt, denn in 13 Regionen werden auch Parlamente gewählt, die Bundesländern ähnlich sind. Vorgezogene Neuwahlen im März machten in Andalusien deutlich, dass Parlamente nicht mehr von der Volkspartei (PP) und den Sozialisten (PSOE) dominiert sein werden. Neben der Empörten-Partei "Podemos" (Wir können es) machen nun auch die "Ciudadanos" (Bürger) der konservativen PP und der sozialdemokratischen PSOE die Hegemonie streitig. Zum wirklichen Härtetest werden sie für die Empörten-Partei Podemos und die ihr nahestehenden kommunalen Bürgerkandidaturen. Podemos will wie die griechische Schwesterpartei Syriza nun Anlauf nehmen, um die Parlamentswahlen zu gewinnen. Doch auch die "Bürger" bieten sich als Protestpartei an, die für viele ein rechter und neoliberaler Wolf im Schafspelz ist.
Die linke Podemos-Partei lag in den letzten Monaten in den Umfragen stets vorne. Allerdings wurde ihr Vorsprung zuletzt kleiner, weil sich zwar am Absturz der in Spanien regierenden ultrakonservativen PP nichts geändert hat, aber die Verluste der PSOE nicht mehr so groß ausfallen sollen, wie zuvor ermittelt worden war. Praktisch, so zeigen die Umfragen jetzt, sollen im Madrider Parlament in Zukunft vier Parteien den Ton angeben, die alle im Bereich von 20% liegen sollen. Podemos wäre mit gut 22% dabei die stärkste Fraktion. Konnten die beiden großen Parteien lange etwa 80% der Stimmen hinter sich vereinen, wären es nun nur noch gut 40%. Damit wäre sogar eine "große Koalition" nach deutschem Vorbild fast unmöglich, die die PP der PSOE schon mehrfach angeboten hat.
Dass Podemos stagniert, dafür ist unter anderem verantwortlich, dass ein Teil der Stimmen, die bisher als Protestwahl die Empörten stärken sollten, nun an die Ciudadanos gehen dürften. Die Bürger geben sich als mitterechte Partei, die gegen Podemos von der Wirtschaft unterstützt wird. Schon bei den Wahlen in Andalusien konnte die Partei mit etwa 9% einen Achtungserfolg erzielen und den Erfolg von Podemos in der PSOE-Hochburg begrenzen (Austeritätspolitik in Andalusien abgewählt). Landesweit sollen die Ciudadanos nach Umfragen auf etwa 19% kommen und brechen damit vor allem in die rechte Wählerschaft der PP ein.
Die Wahlen am Sonntag sind deshalb besonders bedeutsam, weil sie einen realen Ausblick auf mögliche bedeutsame Veränderungen im Herbst eröffnen. In Spanien sind Umfragen meist nicht sonderlich aussagekräftig und liegen oft weit entfernt von den realen Wahlergebnissen. Deshalb muss am Sonntag wieder mit Überraschungen gerechnet werden. Das hat auch damit zu tun, dass bis zu 40% der Bevölkerung sich immer noch nicht festgelegt hat oder das in Umfragen nicht zugibt. Es sind diese besonders vielen "Unentschlossenen", die die Wahlen entscheiden werden.
Doch trotz dieser besonderen Situation ist klar, dass die regierenden Konservativen weiter große Verluste hinnehmen müssen. Auch das wurde schon in Andalusien deutlich, wo die PP 2012 erstmals stärkste Kraft wurde. Obwohl sie in der bevölkerungsreichsten Region in der Opposition blieb, stürzte sie wegen der Austeritätspolitik aus Madrid, zahllosen Korruptionsskandalen und einer sehr hohen Arbeitslosigkeit von 41% auf 27% ab. Die Sozialisten wurden zwar auch abgestraft und fuhren ihr bisher schlechtestes Ergebnis in der großen südspanischen Region ein, doch sie wurden "Wahlsieger" und mit gut 35% zur stärksten Fraktion.
Die Zeit absoluter Mehrheiten ist vorbei
Damit ging ein Teil des Kalküls der Regionalfürstin Susana Díaz auf, die extra die Wahlen schnell vorgezogen hatte, um den Erfolg der neuen Konkurrenten zu begrenzen. Die befanden sich gerade im Aufbau, wurden durch das Vorziehen auf dem falschen Fuß erwischt, da sie kaum über Strukturen in Andalusien verfügten. Aber das rächt sich jetzt wiederum, denn die PSOE bringt seit zwei Monaten keine Regierung zustande. Das hat wiederum mit Skandalen zu tun hat, in der auch die Sozialdemokraten in Andalusien verwickelt sind. Auch das zeigt eine neue Situation in Spanien an. Die Regierungsbildungen werden nun schwerer. Die Zeit absoluter Sitzmehrheiten in Parlamenten ist wohl vorbei.
Nachdem die PSOE ihre Mehrheit in der Hochburg Andalusien schon 2012 verloren hatte, ist nun vor allem die PP dran. Erwartet wird, dass sie in allen Regionen, in denen sie zum Teil mit absoluter Sitzmehrheit regiert, in der Zukunft einen Partner brauchen wird. Und dafür hat sie vor allem die Ciudadanos im Blick. Das hat auch damit zu tun, dass sich die Sozialisten vor den Wahlen im Herbst kaum als Mehrheitsbeschaffer andienen werden. Denn der neue PSOE-Chef versucht sich verbal von deren Austeritätskurs abzusetzen (Spaniens Sozialisten wählen Unbekannten zum Chef). Den hatte sie aber in ihrer Regierungszeit bis 2011 begonnen und den Kurs danach sogar aus der Opposition mitgetragen. Pedro Sánchez ist deshalb wenig glaubwürdig. Er hat sogar für eine Verfassungsänderung gestimmt, mit der PP und PSOE die Schuldenbremse auf Berliner Vorgabe darin verankert haben.
Inhaltlich und ideologisch bieten sich die Ciudadanos deutlicher als Koalitionspartner der PP an. Denn ihr neoliberaler Kurs in der Wirtschaftspolitik ähnelt dem der PP stärker, was ihr auch Unterstützung aus der Wirtschaft einbringt. Sie soll, mit Blick auf Syriza in Griechenland, in dem großen Euroland einen Teil der Protestwähler anziehen, damit die nicht Podemos wählen. In der Flüchtlingsfrage sowie in der spanisch-nationalistischen Front aus PP und PSOE überholen die Bürger mit einem sogar die PP noch rechts gegen die starken Unabhängigkeitsbestrebungen in Katalonien und im Baskenland. Sie wollen zum Beispiel den Basken das eigene Finanzierungssystem nehmen, das den Basken eine weitgehend eigenständige Wirtschaftspolitik ermöglicht, weshalb sie deutlich besser durch die Krise kommen (Urbane nachhaltige Mobilität). Dazu reicht ein Blick auf die Arbeitslosenzahlen, die im Baskenland weit unter dem spanischen Durchschnitt liegen, auf die Verschuldung und die soziale Lage. Genau dieses Finanzierungssystem wurde den Katalanen von PSOE und PP vorenthalten. Das war der Grund, weshalb sich auch die bürgerlichen Kräfte auf den Weg in die Unabhängigkeit nach schottischem Vorbild gemacht haben ("Katalonien, ein neuer Staat in Europa"). Als Antwort auf die wachsenden Unabhängigkeitsbestrebungen in Katalonien wurde die Partei dort 2006 gegründet und trat bisher nur dort an.
Die "Bürger" fischen am rechten Rand
Auch wenn deren Parteichef Albert Rivera behauptet, kein "Rechter" zu sein, sehen offensichtlich viele Rechtsradikale und Falangisten in Spanien das ziemlich anders. Wie bisher schon auf Listen der PP sind sie nun auch auf vielen Listen der Ciudadanos zu finden. Im katalanischen Barberà del Vallès musste die Partei gerade ihre Liste zurückziehen, um das Image nicht allzu deutlich zu beschädigen. Denn sie wurde sogar von einem bekannten Rechtsradikalen und Rassisten angeführt. Dass die Ciudadanos sogar Flüchtlingen die Gesundheitsversorgung vorenthalten wollen, liegt aber ganz auf der Linie ihres bisherigen Listenführers in Barberà.
Der einzige Bürgermeister der Ciudadanos im katalanischen Gimenells war ein Überläufer der PP. Nach internen Problemen in der PP wechselte er zu einer "ideologisch nahestehenden Partei", erklärte. Parteichef Rivera selbst war Mitglied der PP-Jugendorganisation. Er belügt seine Wähler zu seiner Vergangenheit ganz offen, denn er behauptet das Gegenteil. Doch die Zeitung "El Confidential" hat das längst aufgedeckt und seinen Aufnahmeantrag aus dem Jahr 2002 veröffentlicht Er steht nicht zu seiner Vergangenheit und seiner sehr rechten Gesinnung, weil er versucht, sich taktisch auch als Alternative auch für enttäusche Wähler der Sozialdemokraten anbietet, damit die nicht Podemos wählen.
Es geht zum Teil auch betrügerisch bei den Ciudadanos vor. So musste im nordspanischen Miranda de Ebro gerade ihre Liste zurückgezogen werden. Es war bekannt geworden, dass darauf vier Rentner "kandidierten", die nichts von ihrer Kandidatur wussten. Wenn auch noch eine Liste in Zentralspanien zurückgezogen werden musste, weil sich darauf Kandidaten befanden, die wegen Korruption angeklagt sind, passt nicht wirklich zum Auftreten der Partei, die sich ganz besonders der Korruptionsbekämpfung widmen will.
Die Menschen können die Ciudadanos kaum einschätzen, auch manchen Mitgliedern geht es so
Das Problem vieler Wähler in Spanien ist, dass sie die Partei nicht einordnen können und nicht wissen, was sie wirklich will. Das wissen bisweilen sogar die Kandidaten nicht, die für sie kandidieren und die großen Medien im Land arbeiten das nicht heraus. Kurz vor dem Wahlgang trat die ehemalige Kandidatin Núria Sánchez entsetzt zurück, nachdem sie das Programm ihrer Formation gelesen hatte. Sie hatte geglaubt, einer Partei der "moderaten Linken" anzugehören. Doch sie stellte fest, dass die Bürger eine Ideologie vertreten, die meiner "total entgegensteht". Deshalb entschuldigt sie sich in der Öffentlichkeit in ihrer katalanischen Muttersprache, die von den Ciudadanos ebenfalls angegriffen wird. Aus ähnlichen Gründen kam dieser Partei auch der Bürgermeisterkandidat für die galicische Großstadt Vigo abhanden.
Noch-Mitglieder und ehemalige Mitglieder der Partei haben inzwischen eine Plattform gegründet und sparen nicht mit Kritik an "Unregelmäßigkeiten" bei den internen Kandidatenwahlen. Die "wenig demokratischen" Praktiken ermöglichten es, dass Faschisten sich in der Partei breitmachen, erklärt die Präsidentin der Gruppe Inmaculada Sánchez. Wer diese Vorgänge gegenüber der Parteiführung anzeigte, werde rausgeworfen. Die Mitglieder der Plattform enttäuschter Kandidaten und Mitglieder der Partei haben regelrecht Angst vor dem Schwenk hin zur "extremen Rechten". Sánchez erklärte angesichts des Strebens von Parteichef Rivera, im Herbst Ministerpräsident zu werden: "Dann verlasse ich Spanien."
Während PP und PSOE mit Blick auf mögliche Bündnisse sich mit Kritik an den Ciudadanos zurückhalten, warnt Podemos eindringlich vor der Partei, die für einen "besonnenen Wandel" wirbt. Von einem Wandel war zum Beispiel in Gimenells bisher nichts zu spüren, wo sie schon den Bürgermeister stellt. Und vermutlich geht der Wandel genau in die umgekehrte Richtung, die sich viele in Spanien mit mehr sozialer Gerechtigkeit erwarten. Denn welchen Wandel verspricht eine Partei, die sich die Forderung des Internationalen Währungsfonds (IWF) auf die Fahnen schreibt und nun den niedrigsten Mehrwertsteuersatz schleifen will.
Das haben sich bisher nicht einmal die Konservativen getraut, die gegen alle Versprechen auch die Mehrwertsteuer erhöht haben. Mit den Ciudadanos würden sich also Grundnahrungsmittel und Güter zur Grundversorgung weiter verteuern. Und das träfe die einfache Bevölkerung wieder besonders hart, die ohnehin vom angeblichen Aufschwung bisher nichts gespürt hat, der allseits beschworen wird. Tatsächlich erhalten nun schon 3,8 Millionen Menschen keinerlei staatliche Unterstützung mehr, weil sie durch alle Maschen gefallen sind (Welcher Aufschwung?).
Mit Bezug auf viele Korruptionsfälle der PP und der PSOE warnte das Podemos-Führungsmitglied Íñigo Errejón, dass mit den Bürgern der erhoffte "Wandel" nicht kommen werde. Die würden "die gleichen Plünderer" erneut zur Macht verhelfen, die schon bisher regierten. Es gehe darum, auch etwas anderes zu tun, um andere Ergebnisse zu erreichen. Immer wieder betonen die Empörten, auch im Gespräch mit Telepolis, dass es nun an der Zeit ist, die "Parlamente von den Mafia-Strukturen zu säubern".
In Barcelona und Madrid könnten sogar Bürgerkandidaturen an die Macht gelangen
Das könnte der Fall in der Pleiteregion Valencia nun vielleicht geschehen, die in Jahrzehnten der PP-Regierung regelrecht ausgeplündert wurde. Täglich kommen neue Details ans Tageslicht, auf denen PP-Politiker Geld aus dunklen Quellen zählen. Die sind nun sogar bis in den Deutschlandfunk vorgedrungen. Das Geld stammt aus illegalen Provisionen. Die fließen gerne, um an öffentliche Aufträge zu kommen. Dass das seit mindestens seit 20 Jahren Praxis in der PP ist, wurde spätestens darüber bekannt, als der ehemalige Schatzmeister einräumte, dass sich die Partei so finanziert und "Zusatzgehälter" in bar und steuerfrei zahlte, die auch Ministerpräsident Mariano Rajoy erhalten haben soll (Spanische Regierungspartei: "18 Jahre illegale Finanzierung").
Es spricht für sich, wenn nun sogar die konservative Schweizer "Neue Zürcher Zeitung" vom "Größenwahn" in der Region spricht. "In Valencia treiben Korruption und Verschwendung besonders große Blüten, noch mehr als anderswo in Spanien", stellt die Zeitung zu einer Region fest, die im Epizentrum von Skandalen steht, die bis in die PP-Zentrale und ins Königshaus reichen. Galt die Region bisher als "uneinnehmbare Festung der Konservativen", sind nun so viele Wähler entsetzt, dass die PP um fast die Hälfte auf knapp 25% abstürzen soll. Gut 17% sollen dort die Ciudadnos wählen. Dass Podemos in Valencia hinter den Ciudadanos zurückbleibt, liegt an der Besonderheit, dass es auch in Valencia wie in Katalonien und im Baskenland eine starke linknationalistische Kraft gibt. Compromis soll demnach ihren Stimmenanteil auf gut 13% fast verdoppeln.
Valencia grenzt am nördlichen Zipfel auch an Aragon. In dieser Region könnte Podemos sogar stärkste Kraft werden oder zur abstürzenden PP eng aufschließen. Denn auch in Aragon können die Sozialdemokraten nicht vom PP-Absturz profitieren und sollen auch hier weiter Stimmen verlieren. Auch im an Aragon angrenzenden Navarra und im ebenfalls nordspanischen Asturien ist eine völlig neue Situation möglich.
Barcelona und Madrid könnten sogar von Bürgerkandidaturen regiert werden, die Podemos unterstützt, die nicht zu Kommunalwahlen antritt. Im katalanischen Barcelona liegt Ada Colau in den Umfragen mit der Bürgerkandidatur "Barcelona en Comú" (Gemeinsam für Barcelona) vorne. Sie ist bekannt, weil sie lange die starke Bewegung gegen die Zwangsräumungen angeführt hat. In Barcelona wird damit ein starker Linksruck vorhergesagt. Spanische Sozialdemokraten und Konservative dürften so stark abstürzen, dass sie sogar von der linksradikalen Unabhängigkeitspartei CUP überholt würden, die erstmals mit gut 8% ins Stadtparlament einziehen soll. Auch die linksnationalistische ERC soll ihren Stimmenanteil auf 12% mehr als verdoppeln.
Und sogar im konservativen Madrid macht eine Umfrage für die große Tageszeitung El País nun eine faktische Pattsituation aus. Die Richterin Manuela Carmena soll mit der Bürgerkandidatur "Ahora Madrid" (Jetzt Madrid) mit 28% die PP-Lokalfürstin Esperanza Aguirre fast einholen. Über die ehemalige Regionalpräsidentin kommen täglich neue Details über zweifelhafte Vorgänge ans Licht. Ohnehin saß sie in einem Korruptionsnest, denn derzeit sitzen enge Mitarbeiter von ihr sogar wegen Korruptionsvorwürfen im Knast, sie selbst soll ihrem Ehemann, einem Lobbyisten, zu Aufträgen verholfen haben.
Ein Problem für die Bürgerkandidatur in Madrid ist, dass die Vereinte Linke (IU) sie anders als in Barcelona nicht unterstützt. Es könnten viele Stimmen verloren gehen, weil die IU vermutlich angesichts der massiven internen Querelen aus dem Stadt- und Regionalparlament fliegen kann. Deshalb werben sogar IU-Führungsmitglieder für Carmena gegen die aussichtslose eigene Kandidatin, die nicht einmal die Unterstützung der nationalen Parteiführung hat. Die kommunistisch dominierte IU dürfte insgesamt bei den Wahlen stark geschwächt werden, womit sich der Trend aus Andalusien fortsetzen würde.