Zwischen Ackermann und Schalterpersonal unterscheiden

Interview mit Jens Seipenbusch von der Piratenpartei zum Umgang mit der Finanzkrise

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Jens Seipenbusch ist einer der 12 Gründer der Piratenpartei Deutschland und arbeitete wesentlich an deren Grundsatzprogramm mit. Auf der Europawahlliste steht er auf Platz 2, außerdem ist er stellvertretender Vorsitzender des Bundesvorstands und kümmert sich um die Zusammenarbeit der Piratenparteien auf europäischer und internationaler Ebene.

Bild: Piratenpartei

Herr Seipenbusch - wie hätten Ihrer Ansicht nach die Regeln für das Finanzsystem aussehen müssen, dass die derzeitige Krise nicht passieren hätte können?

Jens Seipenbusch:: Nach allem was ich weiß, hätte die derzeitige Krise nicht einmal stattfinden können, wenn man sich an die eigentlich bereits vorhandenen Regeln gehalten hätte. Man sieht hier vorrangig, dass es ein Defizit in der Aufsicht und der Kontrolle des Finanzsystems gegeben hat. Nichtsdestotrotz befand sich das Finanzsystem auch zuvor schon nicht gerade in einem wirklich wünschenswertem Zustand. Und es hat ja auch in den vergangenen Jahren mehrfach Anlass dazu gegeben, neue Regeln zu finden.

: Welche Anlässe meinen Sie konkret?

Jens Seipenbusch:: Nun, ich erinnere mich noch an die Krise in Argentinien und zuvor gab es auch schon einen Fall, wo die Investmentbanker in London sich mal verzockt hatten und anschließend eine ganze Volkswirtschaft deswegen gefährdet war.

Dies sind natürlich auch Symptome der Globalisierung, die ja alle Lebensbereiche betrifft. Allerdings ist gerade bei den globalen Finanzmärkten das Problem vorhanden, dass man wegen der Diskongruenz von Rechtsbereichen und Märkten fast nicht zu einer guten und einigermaßen schnellen Regulierung kommen kann. Deutlich wurde das beispielsweise bei den G8-Gipfeln.

"Diskongruenz von Rechtsbereichen und Märkten" - was meinen Sie damit genau?

Jens Seipenbusch:: In der Vergangenheit war beispielsweise in Deutschland die Gesetzgebung des Bundestages für den Binnenmarkt maßgeblich. Inzwischen können nicht nur Waren, sondern auch Kapital, Mitarbeiter, ganze Unternehmensteile usw. international verschoben werden. Damit können sich die Marktteilnehmer jeglicher nationalen Regulierung weitgehend entziehen.

Sehr deutlich wird das auch bei der EU. Sehr viele Dinge werden in Brüssel entschieden, der Bundestag schaut zu oder muss umsetzen, verliert also an Gestaltungsmöglichkeiten, obwohl er das primär demokratisch legitimierte Organ ist.

Gretchenfrage der Globalisierung

Das heißt also, effektive Regulierung wäre Ihrer Ansicht nach nur auf internationaler Ebene möglich, oder gar nicht?

Jens Seipenbusch:: Nun, das ist so ein bisschen die Gretchenfrage der Globalisierung insgesamt und ich besitze leider auch nicht den Stein der Weisen hierfür. Ich denke aber, dass die bisherigen Bemühungen einer effektiven Regulierung auf internationaler Ebene größtenteils gescheitert sind. Persönlich würde ich nun nicht einfach weitermachen wie bisher, denn die Gründe sind strukturell bedingt. Man muss sich also nach Alternativen umschauen, um das Erwünschte zu erreichen. Und das Erwünschte muss sein, dass die Wirtschaft den Menschen dient und nicht umgekehrt.

Ich glaube, dass man auf nationaler Ebene oder in einem bestimmten Verbund wie der EU den Mut haben muss, mit guten Regeln voranzugehen. Dies hat sich ja beim Umweltschutz z.B. auch als möglich herausgestellt, zumindest bevor es die Harmonisierungswut der EU gab. Solche Überlegungen werden zwar gerne mit einem pauschalen Protektionismusvorwurf erschlagen - aber wenn man beispielsweise nach Brasilien schaut, sieht man, dass es drauf ankommt, wie es gemacht wird.

: Und wie könnten solche Regelungen auf nationaler oder europäischer Ebene nun aussehen?

Jens Seipenbusch:: Aktuell scheint es ja Konsens zu sein, dass den Finanzmarktakteuren verstärkt auf die Finger geschaut werden muss. Zusätzlich sollten solche Luftgeschäfte, wie sie durch neue Derivate, Optionen oder Termingeschäfte entstehen, unter Umständen schlicht verboten oder stark reguliert werden.

Meiner persönlichen Meinung nach brauchen wir auch so etwas wie einen "Reibungsverlust" beim Transfer von großen Geldmengen rund um den Globus, das kann eine Steuer oder etwas ähnliches sein. Das wichtigste ist mir nicht, wie die Regeln genau aussehen (da werden sich die Experten trefflich streiten), sondern, dass man diese Regeln dann auf den europäischen Börsen für verbindlich erklärt und dass sie angewendet werden. Wenn dann die multinationalen Konzerne mit Abzug drohen, muss man halt den Mut aufbringen, sie als Teilnehmer am betreffenden (deutschen bzw. europäischen) Markt dazu zu zwingen.

"Wenn die reuigen Sünder schon angekrochen kommen, sollte man ihnen auch im Gegenzug etwas abnehmen"

: Wenn die Säuberungsmechanismen des Marktes wegen der Rettungspläne nicht wirken - ist dann nicht zusätzlich zu Bailouts eine organisierte staatliche Suche nach den Schuldigen notwendig?

Jens Seipenbusch:: Es wird ja gesagt, dass es in Deutschland immer einen Schuldigen geben muss. Aber der Hauptschuldige heißt, glaube ich, Gier. Und diese Gier wird allerorten als gesellschaftsfähig verkauft. Es gibt immer weniger Manager, die die Persönlichkeit besitzen, sich nicht ausschließlich systemkonform gierig zu verhalten. Und das Konstrukt der Aktiengesellschaft per se hilft da natürlich nicht bei der Zurückhaltung.

Bailouts sind sicher eine schlechte Lösung, aber die Bundesregierung hat daraus nicht mal das Beste gemacht. Wenn die reuigen Sünder schon angekrochen kommen, sollte man ihnen auch im Gegenzug etwas abnehmen, hier hat man schon mal die Chance zu weitgehenden Zugeständnissen in Teilen verpasst oder verpasst sie gerade. Der gute Onkel Staat, der es schon in Ordnung bringt, macht auf die Schuldigen sicher wenig Eindruck.

Was könnte man den "reuigen Sündern" denn beispielsweise abverlangen?

Jens Seipenbusch: Man hätte ihnen beispielsweise die Zustimmung zu neuen Regulierungsmaßnahmen oder anderen Maßnahmen der Aufsicht und Transparenz abverlangen können ... wenn man diese Vorstellungen schon in der Schublade gehabt hätte. Mich wundert, dass Frau Merkel zwar immer mal wieder Krokodilstränen vergoss, wenn auf einem G8-Gipfel angeblich die anderen Staaten einen Konsens verhinderten, dass man nun bei der Krise aber offensichtlich gar keine Ideen in der Schublade hatte. Diese Ratlosigkeit ist doch verwunderlich.

Allerdings sind 'die Sünder' natürlich keine definierte Gruppe, man müsste also sowohl mit den Banken, den Managern als auch mit den Vertretern der wichtigen Wirtschaftsakteure international sprechen.

"Die normalen Mitarbeiter muss man da sicher nicht bestrafen, die Führungsebenen würde ich einfach mal komplett entlassen"

Verstößt ein Gehalt, das in steuergeretteten Banken mehr als einen Euro die Stunde über dem Hartz-IV-Satz liegt, eigentlich nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz?

Jens Seipenbusch: Ich kann diesen Zorn und den daraus gespeisten Populismus sehr gut verstehen, aber solche Dinge sollte man nach Verrauchen des Zorns nochmal mit nüchternem Kopf überdenken. Der Hartz-IV-Satz gehört übrigens natürlich deutlich angehoben, nur so am Rande.

Was man mit den steuergeretteten Banken anfängt, ist aber eine gute Frage. Die normalen Mitarbeiter muss man da sicher nicht bestrafen, die Führungsebenen würde ich einfach mal komplett entlassen.

Wäre nicht eine Wahrheitskommission eine sinnvolle Einrichtung, die individuelle und kollektive Schuld ermitteln und danach Entlassungen oder Berufsverbote aussprechen könnte?

Jens Seipenbusch:: Hört sich mir zu sehr nach dem Wahrheitsministerium in 1984 an. Wenn der Staat sich bei Banken wirtschaftlich engagiert, sollte er auch wie ein Wirtschaftsakteur handeln. Bei Misserfolg in einem Unternehmen wird ja selten der Manager noch mit einer gesonderten Untersuchung geadelt, sondern man wirft ihn raus und stellt einen neuen ein. Die Managerkaste wird diese Sprache gut verstehen.

Die Aufarbeitung der Schuld, sei sie individuell oder institutionell, kann man getrost der Wissenschaft und der Gesellschaft allgemein überlassen, der Staat sollte sich hier nicht verzetteln. Berufsverbote halte ich für keine angemessene Antwort, außer, wenn die Betreffenden auch in wesentlichem Umfang gegen Rechtsnormen verstoßen haben.

Ab welcher Gehaltsstufe fängt denn der Manager an? Und mit wem besetzt man die frei gewordenen Posten neu? Mit den entlassenen Managern einer anderen Bank?

Jens Seipenbusch: Manager ist man doch eher aufgrund seiner Verantwortung für die Abläufe und die Mitarbeiter als durch die Höhe des Gehalts. Da die mittleren Leitungsebenen ja heute in vielen solchen Unternehmen praktisch abgeschafft wurden, sollte eine Unterscheidung zwischen dem Schalterpersonal und Herrn Ackermann nicht zu schwer fallen.

Bei der Einstellung neuer Manager sollte man sich den Lebenslauf dann natürlich genau anschauen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es in einem Land wie Deutschland unmöglich ist, dafür qualifiziertes Personal zu finden. Wenn man die Verantwortung klar begrenzt und realistische Unternehmensziele formuliert, hat man auch nicht das Problem, dass man riesige Gehälter zahlen muss.