Zwischen Briefträger und Radrennfahrer
- Zwischen Briefträger und Radrennfahrer
- Drei Ebenen des Mobilitätswandels: Nische, Regime, Masterdiskurs
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Die kulturelle Symbolik des Radfahrens entfaltet sich in Frankreich zwischen Komödie und Tragödie. Das Alltagsrad muss erst Mode werden, um sich durchzusetzen
Auf dem Pariser Messegelände fand kürzlich zum zweiten Mal die französische Fahrradmesse Salon du Cycle statt. Im Gegensatz zum Automobil gibt es beim Fahrrad echte Innovationen zu bestaunen. Mit Nabendynamos und LED-Scheinwerfern bleibt das Licht auch bei Regen an. Unplattbare Reifen lassen Pannen der Vergangenheit angehören. Hydraulische Bremsen pressen die Bremsbacken ohne Reibungsverlust des Bowdenzugs an die Felge. Neuartige Edel-Schaltungen ehemaliger Porsche-Ingenieure versprechen wartungsfreien Betrieb. Manche Fahrräder wiegen nur noch 6 anstatt 16 Kilo. Sogar die alte ölige Fahrradkette lässt sich durch einen Riemenantrieb ersetzen. Das Fahrrad ist zum Designobjekt und Innovationsträger geworden.
E-Bikes: Am Batteriendesign zeigt sich ein kultureller Bruch
Und jedes Jahr steigen die Verkäufe der Elektroräder, die dem Auto auf urbanen Mittelstrecken Konkurrenz machen. Wen wundert es da, dass auch Patrick Blain, Präsident des französischen Autoherstellerverbands Comité des Constructeurs Français d'Automobiles (CCFA) über die Messe schlenderte und das Elektrobike eines deutschen Autoherstellers genau unter die Lupe nahm.
Das Design der Batterien verrät, dass der technische Sprung der Elektro-Fahrräder noch eine eigene Form sucht: Ihre klötzchenartige Gestaltung macht sie zu optischen Fremdkörpern am filigranen Fahrradrahmen. Meist befinden sie sich als dunkle Kästchen auf dem Gepäckträger oder in der Rahmenmitte. Dies verleiht ihnen optisch sehr viel Gewicht und unterstreicht gleichzeitig, dass sie zum schon lange bekannten Rahmendesign hinzugefügt wurden.
Diese Eigenschaft unserer Wahrnehmung zu wissen, wie ein Fahrrad aussieht, machen sich manche Designer aber auch zu Nutze: Sie verleihen der Batterie die Form einer Trinkflasche und bringen sie am gewohnten Platz unter. Hier gelingt die Integration des neuen Zusatzes in das alte Objekt sehr gut.
Noch ist das Fahrrad in Frankreich primär ein Freizeitsportgerät
Angesichts dieser technischen Innovationen stellt sich die Frage nach der kulturellen Nutzung des Fahrrads. Frankreich ist nach Deutschland und Großbritannien der drittwichtigste Fahrradmarkt in Europa: Im letzten Jahr wurden hier 2,9 Millionen Fahrräder verkauft. Jedes zweite Rad kauften die französischen Kunden bei den großen Sportketten. Den größten Anteil machen mit 62 % die Freizeiträder aus.
Es ist paradox, dass trotz steigender Verkäufe die Nutzung des Zweirads stagniert: Nur 3 % der alltäglichen Fahrten werden in Frankreich mit dem Fahrrad zurückgelegt (Enquête nationale transports déplacements, 2008). Das Fahrrad hat den Status eines gerne gekauften Sportgeräts, bleibt aber bis auf den Sonntag im Keller.
Die Marginalisierung des Fahrrads im Alltag hat historische und kulturelle Gründe: Die Geschichte der petite reine, wie die Franzosen la bicyclette auch liebevoll nennen, ist in Frankreich untrennbar mit der Tour de France verbunden. Das seit 1903 veranstaltete legendäre Radrennen setzte das Fahrrad als Sportmaschine des kommerziellen Wettbewerbs in Szene.
La grande boucle, wie die Tour de France genannt wird, trug aber auch zur Popularität des Radfahrens im Alltag bei. Bis zum 2. Weltkrieg war das Fahrrad eines der Hauptverkehrsmittel. Erst die Massenmotorisierung der Trente Glorieuses (1945-1975) verdrängte die Radfahrer von der Straße. Hierfür war eine radikal autozentrierte Verkehrspolitik verantwortlich, von niemandem deutlicher verkörpert als von Präsident Georges Pompidou, der forderte, "die Stadt an das Auto anzupassen". Diese Politik drängte das Radfahren in den Freizeitbereich ab.