Zwischen Sozialpartnerschaft und Verschwörung
Paktierte Mehdorn mit zwei Gewerkschaften, um sich der dritten zu entledigen?
Transnet ist eine DGB-Gewerkschaft, während die Verkehrsgewerkschaft GDBA und die jetzt streikende Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) im Beamtenbund organisiert sind. 2002 trat die GDL aus der Tarifgemeinschaft der Deutschen Bahn aus, die sie zusammen mit der GDBA und Transnet gebildet hatte. Dadurch konnte die Gewerkschaft im November 2002 einen Ergänzungstarifvertrag verhindern, der ihren Mitgliedern bei der DB Regio bis zu 18 zusätzliche unbezahlte Schichten aufgebürdet hätte.
Im selben Jahr öffnete sich die GDL für das gesamte Fahrpersonal und konnte dadurch die Forderung nach einem gesonderten Tarifvertrag mit höheren Belastungen, die durch Wechselschichtdienst, auswärtige Übernachtungen und die dadurch entstehenden Einschränkungen in der Freizeit entstehen, geltend machen.
Transnet und GDBA forderten zu Beginn der Tarifauseinandersetzungen im Juni dieses Jahres sieben Prozent mehr Lohn, Bahnchef Mehdorn bot zwei. Nach kurzen Warnstreiks wurde am 9. Juli eine Einigung bei 4,5 % mit einer Laufzeit von 19 Monaten verkündet, die Transnet-Chef Hansen als höchsten Abschluss seit der Konzerngründung 1994 feierte.
Das in der GDL organisierten Fahrpersonal forderte dagegen bereits Ende Juni eine gerechtere Verteilung der Löhne mit Steigerungen von bis zu 31 Prozent – und einen eigenen Tarifvertrag. Der GDL wurden Warnstreiks im Juli mit Verweis auf die Friedenspflicht gerichtlich untersagt, nach deren Ablauf verbot das Arbeitsgericht Nürnberg einen angekündigten Streik mit der Begründung dass der volkswirtschaftliche Schaden während der Ferienzeit zu groß sei.
Am Freitag unterbreitete das Gericht den Vorschlag, dass das Streikverbot ausser Kraft gesetzt werden könne - aber nur, wenn die GDL "freiwillig" auf Streiks verzichtet, während das Vermittlungsverfahren läuft. Am Tag davor hatten die beiden Tarifparteien die CDU-Politiker Kurt Biedenkopf und Heiner Geißler als Vermittler benannt.
Solche und solche Koalitionen
Das Streikrecht ergibt sich aus Artikel 9, Absatz 3 des Grundgesetzes, der das Recht gewährt "zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden". Eine Vereinigung anderer Art besteht nach Ansicht des FDP-Verkehrsexperten Horst Friedrich zwischen Bahnchef Mehdorn und Transnet-Chef Hansen.
Schon im Juli spekulierte Friedrich, dass die Tarifauseinandersetzungen mit den beiden Gewerkschaften Transnet und GDBA ein abgekartetes Spiel seien – unter anderem, um sich der Lokomotivführergewerkschaft GDL und ihres Vorsitzenden Manfred Schell zu entledigen.
Der FDP-Verkehrsexperte nannte die Streiks damals ein "durchsichtiges Theater [...] auf dem Rücken der Bahnkunden" sowie "reines Nebelwerk zur Täuschung der Öffentlichkeit und der Gewerkschaftsmitglieder". Friedrich zeigte sich überzeugt, dass sich der Vorstand der Bahn zum Zeitpunkt ihrer Durchführung bereits mit den Funktionären von Transnet und GDBA einig war: Erst sollte Hansen nach einem Scheingefecht einen vorzeigbaren Tarifabschluss bekommen, dann sollte der Kampf gegen den gemeinsamen Feind aufgenommen werden. Zwischen Bahn und GDL laufe nämlich, so Friedrich, ein "ernsthafter Tarifkonflikt."
Als Hintergrund vermutete Friedrich, dass Mehdorn dem Transnet-Vorsitzenden Hansen einen Gefallen schuldete, weil dieser ihm die Zustimmung der SPD-Fraktion zu seinen Börsengang-Plänen gesichert habe. Ohne Hansen, so Friedrich "hätte Hartmut Mehdorn niemals die SPD auf seinen Kurs bekommen". Deshalb, so Friedrich, musste Mehdorn jetzt seinem "Paktbruder" Hansen helfen, denn "dessen Haltung zum Bahn-Börsengang versteht niemand an der Gewerkschaftsbasis."
Nun ist die FDP nicht gerade als gewerkschaftsfreundlich bekannt – trotzdem spricht etwas Entscheidendes für Friedrichs Vermutungen: Die GDL ist für Transnet und Hansen eine Konkurrenz - und für die Bahn ein wesentlich gefährlicherer Arbeitnehmervertreter als die beiden anderen Gewerkschaften. Lokführer lassen sich nicht so einfach entlassen und nachbestellen wie Billetverkäufer - sie müssen jahrelang ausgebildet werden. Deshalb können sie bei Streiks potentiell wesentlich mehr Räder still stehen lassen als ihre Kollegen.
Ähnliche Effekte führten auch bei der Pilotengewerkschaft Cockpit und den Krankenhausärzten zu durchaus hohen Tarifabschlüssen und merklichen Verbesserungen der Arbeitsbedingungen, während andere Gewerkschaften Tarifauseinandersetzungen damit beenden mussten, dass sie das Maximalziel der Arbeitgeber schönredeten.
Loks ohne Fahrer
Allerdings ist fraglich, wie lange die GDL diesen Vorteil noch halten kann: In Japan fahren computergesteuerte Züge bereits regulär – und auf der Nürnberger U-Bahn Linie 3 werden gerade von Siemens Transportation Systems (TS) hergestellte führerlose Doppeltriebwagen des Typs DT3 getestet. Vom Frühjahr 2008 an sollen bei der VAG Nürnberg nach und nach 32 führerlose Züge alte Triebwagen und ihre Fahrer ersetzen. Beobachtung und Kontrolle erfolgen dann aus einem zentralen Leitstand heraus.
Bei der Bahn äußert man sich hinsichtlich solcher Automationsmöglichkeiten derzeit eher zurückhaltend. Bahn-Sprecher Achim Stauß sagte dem Stern: "Theoretisch ist das technisch möglich, aber es gibt derzeit dazu keine Pläne."
Diese Zurückhaltung liegt möglicherweise auch darin begründet, dass die streikbereiten Lokführer nicht beunruhigt werden sollen – weil sie sonst eventuell auf die Idee kommen würden, dass es die rationalste Strategie sein könnte, die ihnen noch verbliebenen Jahre bis zur kompletten Automatisierung möglichst mit Löhnen zu verbringen, die ausreichende Ansparungen für eine später ohnehin kommende Arbeitslosigkeit ermöglichen.