Zwischen grünem Ablasshandel und grüner Kinderliebe
Die Energie- und Klimawochenschau als Jahresrückblick - mit einem guten Vorsatz für 2008
In einem früheren Leben als Lektor am Englischen Seminar der Uni Freiburg habe ich jedes Semester eine bestimmte Übung durchgeführt. Die Studenten müssten in einem Streitgespräch mit einem anderen Studenten nach einem festen Schema argumentieren: Student AB legte zunächst sein erstes Argument dar, und Student XY durfte erst antworten, nachdem er das Argument von AB sinngetreu wiedergegeben hat und dieser die Zusammenfassung absegnete. Sagte AB aber: "Das habe ich doch gar nicht gesagt!", so durfte er korrigierend eingreifen, und XY musste das Argument von AB neu zusammenfassen, bevor er selbst mit seinem ersten Gegenargument loslegen durfte.
Die Idee zur Übung war mir bei Betrachtung der unsäglichen Debatte um die Abtreibung in den USA gekommen, wo die eine Partie sich "pro-life", die andere "pro-choice" nennt. Offenbar haben beide aus den Fehlern der Anti-Federalists gelernt: nie gegen, sondern immer für etwas zu sein. So reden aber heute beide Parteien aneinander vorbei, weil sie die guten Argumente der Gegenseite zu selten über die eigenen Lippen bringen. Keine Annäherung ist möglich.
Bei der Debatte um die Klimaerwärmung tobt eine ähnlich schwache Debatte, zwar nicht unter Wissenschaftlern - viele von ihnen sind es leid, dass ihre trockenen Zahlen, für die sie auch nichts können, Gegenstand eines hitzigen, ideologisch geführten Streits geworden sind -, sondern in der Öffentlichkeit. In Deutschland setzt sich immer mehr der Begriff "Ablasshandel" unter den Kritikern des Emissionshandels à la Kyoto und Bali durch.
So neulich bei Telepolis geschehen, als der Artikel Die CO2-neutrale Heilsmaschine auf die Schwächen von Kohlenstoffsenken einging - und die Idee leider der grünen Ecke zuschob, die sie seit Jahren eher bekämpft. Solche Senken (engl. "carbon sinks") sind beispielsweise Wälder, die CO2 beim Wachsen binden. Der Vorschlag, diese als Maßnahme gegen die Zunahme der CO2 in der Luft anzubauen, ist mindestens 30 Jahre alt und wurde damals von Freemon Dyson propagiert. Der Skeptiker Dyson dachte übrigens wie später der "skeptische Umweltschützer" Bjørn Lomborg, dass der Klimawandel wohl stattfindet, dass aber andere Probleme wie die Unterentwicklung mancher Länder größer seien.
2000 wurden die USA dafür kritisiert, dass sie lieber anderswo in Wälder investierten als die eigenen CO2-Emissionen zu senken. Damals wies Greenpeace & Co. darauf hin, dass diese Senken abbrennen und das ganze CO2 plötzlich freisetzen können. Es führe also kein Weg daran vorbei, den CO2-Ausstoß zu verringern. Trotzdem wurden die Senken in die Debatte aufgenommen - quasi als Kompromiss, damit die USA überhaupt mitmachen. Wer also den Emissionshandel als grünen Ablasshandel abtut, weil z.B. die Senken nicht sinnvoll seien, verdreht die Tatsachen, denn die Idee kommt von den Kritikern des Emissionshandels und wurde von Umweltschützern nur widerwillig als Kompromiss akzeptiert.
Schaut man sich die Diskussion näher an, so merkt man, wie oft schlechte Argumente in der Debatte der Gegenseite untergeschoben werden, die gar nicht von dort kommen. So Anfang des Jahres geschehen, als eine Journalistin gegenüber dem Meteorologieexperten Horst Malberg anlässlich des Orkans Kyrill im Januar folgendes behauptete:
Die Anhänger der Klimawandel-Theorie führen die Temperaturdifferenz aber nicht auf die eisige Polarluft, sondern auf den Treibhauseffekt zurück, also darauf, dass es in den Tropen immer heißer wird.
Eine solche Behauptung habe ich noch nie gehört, sondern ich habe immer das Gegenteil gelesen, nämlich dass sich der Treibhauseffekt vor allem an den Polen und in der Tundra von Alaska und Russland bemerkbar macht. Zum Glück antwortete Malberg: "Das ist eine Verdrehung der Tatsachen" - und machte auf den Fehler in der Frage aufmerksam:
Nach deren Lesart müsste sich der Temperaturgegensatz eher verringern, der Treibhauseffekt würde also dafür sorgen, dass der stärkste Temperaturanstieg um sechs Grad in den Polarregionen stattfindet. Die Tropen und Subtropen würden dagegen nur um ein bis zwei Grad wärmer - und das auch nur im Lauf von 50 bis 100 Jahren.
Malberg ist übrigens Kritiker der Klimaerwärmungstheorie, was ihn aber nicht dran hindert, die Theorie richtig zu beschreiben. So tauscht man sich unter Wissenschaftlern aus - sachlich, ohne Hitze. Noch.
Wie man sich unbelehrbarer Hitzköpfe diplomatisch erledigt, lernte ich 2006 auf einer Energie-Tagung, nachdem ein Klimaforscher seine wenig überraschenden Ergebnisse in einer kleinen Runde zum Klima (Working Group 2) präsentiert hatte. Ein Vertreter der Kohleindustrie gerät dabei sichtlich in Rage, kippte vor lauter Nervosität sein Glas Wasser um und versuchte jede erdenkliche mathematische Schwachstelle in der Präsentation zu finden. Es war recht unterhaltsam.
Beim Abschluss der Tagung stellten die Vorsitzenden der Working Groups der Generalversammlung die Ergebnisse vor. Unser Vorsitzender meinte: einheitliche Zustimmung über die Klimadaten bis auf "a representative of the coal, uh, coal, uh, coal industry" - so konnte der Diplomat die Betonung legen, ohne dass man ihm eine nachweisen konnte, schließlich hatte er sich im Zweifelsfall nur versprochen.
Das Internet ist schuld
Vermutlich wird das Internet dafür sorgen, dass die öffentliche Debatte noch ärmer wird, indem immer wieder die Gegenseite falsch dargestellt wird. Das ist jedenfalls die Schlussfolgerung eines Artikels in The New Yorker vom Heiligabend. Dort heißt es, die zunehmende Individualisierung der Informationen im Internet führe langsam dazu, dass die Menschen immer radikaler werden, weil sie sich nur noch mit Gleichgesinnten in Chatrooms usw. treffen. Früher stand immer eine konträre Meinung oder ein unbekanntes Thema in der Zeitung, heute gibt es ganze Webseiten zum eigenen Lieblingsthema, und sonst sammelt Google Alert die Infos, die man sucht - und man sucht selten Gegenbeweise.
Nicht umsonst schimpfen gestandene deutsche Zeitungen wie die Süddeutsche auf Internetforen und Blogs, wo unprofessionelle Schreiblinge ihnen Konkurrenz machen (und teilweise sehr gut schreiben, was den Zeitungen bestimmt noch mehr wehtut). Gleichzeitig wächst ironischerweise durch das Internet die Breite der Inhalte. Gut ist, dass immer breiter berichtet wird; schlecht ist, dass man immer enger liest. Die Breite und Tiefe der Berichterstattung nehmen stark zu, aber die "Balkanisierung" der Leser schreitet voran.
Dabei müsste man versuchen, die Ideen der Gegner so gut zu verstehen, dass man sie als die eigenen wiedergeben könnte, und die Gegner würden auch sagen: "Ja, das meinen wir." Es geht, The New Yorker macht dies regelmäßig. Im Jahre 2005 z.B. in einem Bericht über das Aufkommen von Intelligent Design. Zunächst wird das Gegenargument korrekt und ausführlich dargestellt - und dann vernichtet. Die Strategie ist viel effektiver als die falsche Darstellung des gegnerischen Sachverhalts. Und wenn man das Gegenargument nicht vernichten kann, gibt man nach.
Der gute Vorsatz
Ein Nachbar von mir (Atomphysiker) ruft immer emphatisch, wenn es um den Ölpreis geht: "Wir müssen die Ökosteuer weiter erhöhen!" Da er keinen Fernseher hat, bekommt er gar nicht mit, dass allabendlich in den deutschen Talkshows die Frage gestellt wird, ob es nicht an der Zeit wäre, die Ökosteuer abzuschaffen. Dabei stehen hinter der Ökosteuer Menschen, die davon ausgingen, dass der Ölpreis bald steigen würde (ich z.B.) - sie wollten nur den Aufprall dämpfen.
So redet munter die ganze Republik aneinander vorbei - die fernsehlosen Atomphysiker an den Talkmastern, die Talkmaster an den Ökosteuer-Machern, usw. Und keiner weiß von der Existenz der anderen.
Ein guter Vorsatz für 2008 wäre es also, mal eine Zeitung oder eine Webseite regelmäßig zu lesen, die aus einem anderen Lager kommt. Wer der Meinung ist: Either we bury capitalism or capitalism will bury us, könnte die Financial Times Deutschland lesen. Wie der Zufall es haben wollte, hatte ich ausgerechnet am 11.9.2001 ein Probeabo bei der FTD. Selten eine so gute Zeitung gelesen!
Umwelt gegen Klima
Man muss eines zugeben: Es wird sehr viel über das Klima geredet. Würde das Umweltbundesamt (UBA) heute gegründet, hieße es sicherlich KBA (oops, gibt's schon www.kba.de/). Auch diese Wochenschau befasst sich namentlich mit "Energie & Klima", nicht mit der Umwelt, um mich an der eigenen Nase zu fassen.
Über CO2 wurde 2007 auch viel geredet, sogar dort, wo es nicht zwingend ist. So kriegen wir 2008 eine neue Autosteuer, die nach dem CO2-Ausstoß bemessen ist. Früher hieß das "Liter pro 100 m", aber die Bürger können es anscheinend nicht mehr hören, und so soll der Spritverbrauch nunmehr in Ausstoßeinheiten gerechnet werden. CO2 ist halt modischer. Es dauert wohl noch ein paar Jahre, bis die Leute kapiert haben, dass es keinen CO2-Abschneider fürs Auto gibt. Auch wenn der eine oder andere KAT oder Partikelfilter den CO2-Ausstoß leicht verringern oder erhöhen kann - verdoppelt sich der Spritverbrauch, verdoppelt sich in etwa auch der CO2-Ausstoß.
Anders ausgedrückt: Ohne Abstriche im Lebensstil (= Verzicht, ein Wort, das auch in Verruf geraten ist) sind Sigmar Gabriels Bali-Ziele nicht erreichbar. Unsere Autos müssen kleiner werden und öfter in der Garage stehen bleiben, und wir müssen weniger fliegen - harte Einschnitte für manche von uns. Man sollte uns dennoch reinen Wein einschenken, statt uns immer zu erzählen, die neue Technologie würde uns vor der alten retten.
Die Ente aus England
Apropos Wein: Haben Sie gemerkt, dass die Kirchen zunehmend grün werden? Unser aller deutscher Papst hat in seiner Weihnachtsrede die Ausbeutung der Erde vor allem durch die Reichen (das sind wir) beklagt. Seltsam war nur, dass bereits am 13.12. die Daily Mail - immerhin die zweitgrößte englische Tageszeitung nach The Sun - erfahren haben will, dass der Papst in seiner Neujahrsrede verkünden wird, dass die internationale Politik auf Wissenschaft beruhen soll, nicht auf "Umweltdogmen":
The 80-year-old Pope said the world needed to care for the environment but not to the point where the welfare of animals and plants was given a greater priority than that of mankind.
Bis heute ist davon nicht auf Deutsch berichtet worden. Man darf also am 1.1. gespannt sein.
Sicher ist, dass der ökologische Ablasshandel nicht nur manchen deutschen Journalisten, sondern auch den Briten so langsam auf den Keks geht. So beschwerte sich ein bekennender atheistischer Journalist aus England vor wenigen Tagen, dass ihm der alte moralischer Zeigefinger lieber ist als das Öko-Geschwafel in der Weinnachtspredigt des Erzbischofs von Canterbury.
Dabei hoffen viele Amerikaner auf konservative Kräfte, die die Schöpfung schützen wollen, denn dort gibt es auch eine komplett verrückte Fraktion radikaler Fundamentalisten, die den Weltuntergang herbeisehnen, damit sie schneller in den Himmel kommen (man muss nur beispielsweise nach "rapture" im Internet suchen). Man könnte sie als weltfremde Sekte abtun, aber leider regieren sie das Land.
Kinderliebe
Jetzt muss ich beichten: Ich fliege seit neuestem öfters. Und gerne. Ich habe Freunde in der Luftfahrt, und denen habe ich von meinen Sorgen bezüglich Fahrradmitnahme bei der Bahn erzählt. "Wir nehmen dich mit!", sagten sie und besorgten mir über Kontakte beste Möglichkeiten für mein Liegedreirad, das gar nicht in deren flache Pappkisten passt. 2008 sind weitere Touren im Ausland geplant. Reisen macht halt Spaß - ein Argument, das ich schwer widerlegen kann. Möge meine Seele in der Öko-Hölle verbrennen: Ich werde es wieder tun!
Wenn man aber als Ökofuzzi auf taube Ohren und unverständnisvolle Blicke stoßen möchte, ist man bei Mitarbeitern von Fluggesellschaften bestens aufgehoben. Sie hantieren mit so viel Treibstoff, dass ihnen ein bisschen sparen hier oder da anscheinend egal ist.
Als eine dieser Bekannten eine Stunde lang auf der Autobahn im vierten Gang von 6 fuhr, musste ich aber doch noch was los werden. Ob es ihr klar sei, dass sie dadurch mehr Sprit verbraucht? Eigentlich ja, aber den Sprit zahle die Firma, und so habe sie das Auto besser unter Kontrolle. Aber eines stimmte sie - Mutter von zwei Kindern - doch nachdenklich: Je mehr Öl wir heute verbrauchen, desto weniger verbleibt für ihre Kinder. Unter den Fluggesellschaften hat sich anscheinend bereits herumgesprochen, dass das Öl knapp wird.
Das war im Mai. Letzte Woche erzählte mir die Frau, dass sie seit Monaten nach der Anzeige für den aktuellen Verbrauch fährt. Sie verbraucht alleine dadurch gut 20% weniger Sprit. Geld sparen tut sie dadurch freilich nicht. Aber für ihre Kinder tun Eltern einiges.
Schade, dass die Umweltschützer dieses Argument nicht noch mehr betonen. Stattdessen wird fast immer behauptet, das Kinderkriegen selbst sei schon ein Umweltproblem. Man könnte sophistisch dagegen argumentieren, damit überlasse man das Kinderkriegen denen, die keine Umweltschützer sind.
Aber eigentlich zieht eher das Argument, dass wir die Umwelt für unsere Kinder schützen. Das überzeugt vor allem diejenigen, die nicht bereits grün sind. Lesen Sie noch mal das Zitat aus der Daily Mail oben - wir müssen die Menschen voranstellen. Ich will die Welt doch nicht wegen der Eisbären retten! Ich bin anthropozentrisch. Das habe ich mit meinen nicht-grünen Gegnern gemein. Und wir wollen auch beide ein gutes Leben führen. Aber künftige Generationen müssen wegen mir nicht schlechter leben. Auf dieser doch recht breiten Basis lässt sich eine Debatte führen, in der wir nicht aneinander vorbeireden.
Die Natur ist nicht anthropozentrisch. Wenn die schlimmsten Befürchtungen wahr werden, wiederholt sich das Massenaussterben, das die Erde bereits fünfmal heimgesucht hat. Die ersten fünf Mal begann das Leben noch mal. Wir sind ein Produkt des letzten Versuchs - unter vielen anderen. Aber das Leben auf der Erde kriegen wir nicht kaputt; wir können die Erde nur für uns und viele andere Erdbewohner unwirtlich machen. Es geht also nicht um "die Erde". Wir schützen andere Arten und den Planeten, weil wir uns dadurch schützen. Alles andere ist für mich nicht glaubhaft.
Peak-Oil und der Dollar
2007 stiegen die Ölpreise stark, aber laut der EIA, die die Zahlen von der International Petroleum Monthly bekommt, stieg die Förderung kaum.
Der Ölpreis steigt übrigens schneller, als der Dollar an Wert verliert. Hier die Entwicklung des Barrel-Preises seit Einführung des Euros als Bargeld am 1.1.2002.
Der Barrel hat sich in diesen sechs Jahren im Preis um mehr als 450% verteuert. Der Euro hat sich aber gegenüber dem Dollar nur um 50% verteuert - siehe Bild unten.
Das Öl wird also real für uns im Euroland teurer. Die Preissteigerungen gehen sowieso nicht mit dem Euro/Dollar-Kurs zusammen, wie ein Vergleich der Linien oben zeigt. Nur die hohen Ölsteuern in der EU relativieren den Anstieg. Die Amerikaner kriegen beides gleichzeitig ab - schwachen Dollar und teueres Öl - und haben weniger Steuern, die die Preisstiegerungen abdämpfen.
In diesem (weiteren) Jahr der Debatten zwischen Wissenschaft und Glaube wurden Fundamentalisten als die definiert, die nicht zugeben können, wenn sie im Unrecht sind. Ich würde gerne 2008 mit zwei Prognosen daneben liegen: 1) Das Öl wird merklich knapper, und die Förderung wird das oben angezeigte Ziel aus der Petroleum Monthly nicht erreichen; und 2) Der gestiegene Ölverbrauch wird auf wundersame Weise das Klima nur angenehmer machen - und zwar für Generationen. Interessanterweise möchten die Erwärmungstheoretiker und ihre Skeptiker auch hier wieder das Gleiche. Erstere sehnen keineswegs den Weltuntergang herbei - im Gegensatz zu manchen religiösen Untergangspropheten. Schön wäre es, wenn meine Kinder in 20 Jahren mit dem Flieger in ein friedliches Ausland fliegen könnten, um selbst auf die Radtour zu gehen.
Ich hoffe jedenfalls, dass Sie auch 2008 den richtigen Mittelweg für sich finden!