Zypries stellt Recht auf Privatkopie in Frage
In einem Interview im der Tageszeitung Die Welt suggeriert die Ministerin unter anderem, dass Radiomitschnitte auf Kassette und Fotokopien aus Büchern verboten wären
Auf Tonbandkassetten und andere Leermedien werden Abgaben erhoben, die über die ZPÜ, eine Erscheinungsform der Gema, an bestimmte Gruppen von Urhebern verteilt werden. Ähnliches gilt für Aufnahmegeräte und jede Fotokopie, von der meistens ein Fünftel bis ein Zehntel des Preises an Text- und Musikurheber geht. Eingeführt wurden diese Abgaben mit dem Argument, dass mit den Geräten und Medien Privatkopien monopolrechtlich geschützter Werke durchgeführt würden, für welche die Immaterialgüterrechtsinhaber "entschädigt" werden müssten.
Das Recht auf solche Privatkopien wurde nach einem entsprechenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts in § 53 Absatz 1 Satz 1 des Urheberrechtsgesetzes (UrhG) festgeschrieben und 2003 und 2007 für den digitalen Bereich aufgeweicht, aber nicht abgeschafft.
Nicht nur bei Juristen lösten deshalb Äußerungen von Bundesjustizministerin Brigitte Zypries Befremden aus, die in der Tageszeitung Die Welt auf die Frage nach der Diskrepanz des Rechtsempfindens der Bevölkerung zu den Forderungen von Verwertern meinte:
Schon in meiner Jugend war das Mitschneiden von Musik aus dem Radio üblich, damals auf Tonbändern oder Kassetten. Es gibt also eine gewisse Tradition zu glauben: Man darf das. Ähnlich ist es beim Kopieren von Büchern. Es ist weder der Industrie noch der Politik gänzlich geglückt, die Botschaft zu vermitteln: Man darf das eben nicht.
Zwar fügte die Ministerin anschließend noch einschränkend hinzu "Jedenfalls nicht, wenn man es nicht nur für sich privat kopiert" - doch abgesehen davon, das der private Bereich, den sie zur Ausnahme machte, bei solchen Kopiervorgängen eindeutig der Normalfall sein dürfte, war nicht einmal diese Ergänzung rechtlich zutreffend: Tatsächlich gibt einen ganzen Katalog von über die rein private Nutzung hinausgehenden Möglichkeiten, bei denen das Mitschneiden von Sendungen und das Kopieren aus Büchern durchaus legal ist - etwa zum wissenschaftlichen Gebrauch oder wenn ein Werk seit mindestens zwei Jahren vergriffen ist.
Hinsichtlich der neu eingeführten Zensurinfrastruktur meinte Zypries, dass die Kritiker des so genannten "Zugangserschwerungsgesetzes" ihr eigentlich dankbar sein müssten, weil die von der CDU begonnenen Verträge mit Providern weniger rechtsstaatliche Kontrolle gewährt hätten. Unerwähnt ließ sie, dass sich bei weitem nicht alle Provider auf diese Verträge eingelassen hatten und ein gewisser Wettbewerb zwischen ihnen eventuell dazu führen hätte können, dass dies auch so bleibt.
Die Frage, ob als nächstes "Hassinhalte" von der Zensurinfrastruktur erfasst würden, bejahte Zypries indirekt mit dem Hinweis auf die Vorrangigkeit eines (alleine durch die in der amerikanischen Verfassung garantierten Rechte wenig aussichtsreichen) international durchsetzbaren "Good-Internet-Kodices". Auch die ab August gültigen Sperren begründete sie nicht mit dem Verweis auf den Kinderschutz, sondern mit dem Satz: "Es geht darum, strafbare Inhalte aus dem Netz zu entfernen."
Als Hintergründe der Äußerungen der Ministerin zur Legalität analoger Kopien sind mehrerlei Möglichkeiten denkbar: Zum einen mangelnde Kenntnisse einer Politikerin, bei der in der Vergangenheit herauskam, dass sie nicht wusste, was ein Browser ist und von einer falschen Definition des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung ausging. Eine zweite denkbare Möglichkeit wäre eine rhetorische Vorbereitung weiterer Einschnitte des Rechts auf Privatkopie, wie sie von der Rechteinhaberindustrie zur Ausweitung eigener Monopolrechte seit längerem gefordert werden.
Ob Zypries solche Änderungen allerdings noch selbst durchführen können wird, oder ob sie - was als dritte Möglichkeit in Frage käme - nach der Bundestagswahl im September auf einen Posten bei der Rechteinhaberindustrie spekuliert, ist fraglich. Zumindest die Welt-Leser äußerten sich im Kommentarbereich zum Interview bemerkenswert einhellig negativ über Zypries und nannten sie vielfach als Grund dafür, auf keinen Fall die SPD zu wählen. In einer dem Interview beigeordneten Umfrage, in der man ihre Arbeit bewerten sollte, gaben ihr neunzig Prozent die Schulnote 6, sieben Prozent die Note 5 und zwei Prozent die Note 4.