11 Jahre ALG II – Fördern gescheitert, Fordern erfolgreich
11 Jahre lang gibt es nunmehr ALG II. Was als Vereinfachung angepriesen wurde, hat nur zum Chaos beigetragen, das auf dem Rücken der Betroffenen ausgetragen wird.
Als vor 11 Jahren das "Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt " in Kraft trat, wurde dies vor allen Dingen mit Worten wie Flexibilität, Vereinfachung und Modernisierung angepriesen. Wenige waren so ehrlich wie Gerhard Schröder, der das Gesetz als großen Erfolg verbuchte weil trotz der erheblichen Auseinandersetzungen mit "starken Interessengruppen der Gesellschaft" ein funktionierender Niedriglohnsektor, einer der besten in Europa geschaffen worden sei. Die Betroffenen wurden durch die Suggestion einfacherer Regeln und damit kürzerer Bearbeitungszeiten geködert.
Doch die Vereinfachung hat nie stattgefunden. ALG II fungierte von Anfang an wie die Fingernagelschneidemaschine im Witz, deren Erfinder auf die Anmerkung, dass aber doch Menschen nun einmal verschieden lange Finger und Nägel hätten, lapidar erwiderte: "Aber nur vor dem Schneiden." Die Regelsätze des ALG II (deren Berechnungsmängel hier nicht noch einmal Thema sein sollen) schufen eine "Einer für alle"-Regelung.
Härtefallregelungen wie auch Mehrbedarfe mussten erst mühsam erstritten werden. Und 11 Jahre später hat sich das Chaos nicht gelichtet, im Gegenteil. Krampfhaft hält man am Regelsatz fest und vermeidet es, z.B. Pauschbeträge für etliche Mehrbedarfsfälle zu schaffen. Das Ergebnis ist für die Betroffenen wie auch das in den Jobcentern arbeitenden Personal fatal.
Für die Betroffenen bedeutet es, dass sie um jede Packung Tapetenkleister im schlimmsten Fall prozessieren müssen, was zudem die Sozialgerichte belastet. Für die Mitarbeiter der Jobcenter bedeutet es, dass sie fast tagtäglich mit neuen Entscheidungen zurechtkommen müssen, welche zu beachten sind. "Kleinkarierte Extrawünsche" nannte der Focus die erstrittenen Sonderzahlungen und berichtete davon, dass ca. 50% der Arbeitszeit der Mitarbeiter bereits für die Verwaltung und Berechnung von ALG II verwandt werde.
Ein Ende dieser Situation ist nicht in Sicht. Die Personalräte der zuständigen Jobcenter plädieren daher dafür, zur "strikten Pauschalierung" zurückzukehren, was bedeuten würde, dass entweder das Gesetz verändert wird oder aber die Betroffenen von den mühsam erstrittenen (juristischen) Erfolgen nicht mehr profitieren würden. Hinzu kommt, dass die Personal- und Verwaltungskosten ansteigen, was schlichtweg weniger Geld für das "Fördern", die Arbeitsvermittlung, bedeutet.
Hierfür hat sich Bundesministerin Andrea Nahles bei den Haushaltsresten in Höhe von 350 Millionen Euro eine elegante Lösung ausgedacht: Noch während der Beratungen über den Haushalt wurden die Haushaltsreste aus dem "Eingliederung in die Arbeit"-Bereich auch für diesen Bereich weiter gezählt, doch drei Wochen später widmete die Bundesministerin sie um und ließ sie, bis auf 20 Millionen Euro, stattdessen in den Personal- und Verwaltungstopf wandern. Zwar sind Umwidmungen nichts wirklich Exotisches, doch die Kürze der Zeit bis zur Umwidmung lässt den Verdacht aufkommen, dass hier einfach nur Zahlen geschönt worden waren.
In einem Fall jedoch waren die ALG II-Gesetze erfolgreich – in der Förderung der Annahme, fast jeder ALG II-Bezieher wolle gar nicht arbeiten sowie der Angst davor, zu diesen Betroffenen gezählt zu werden. Längst finden sich viele Befürworter einer "Hauptsache, die tun irgendetwas"-Rhetorik oder das alte "Tellerwäscher"-Thema wird wieder aufgewärmt und wird davon erzählt, wie doch jeder auch als Pizzabäcker, Fahrradkurier etc. etc. pp sich selbständig machen könnte, Bekannter oder Verwandter X habe es auch so geschafft. Die Minipreneurvision des Peter Hartz lässt grüßen. Die Gesetze waren aber auch der Beginn einer stärkeren Verrohung der politischen Auseinandersetzung – von den "Schmarotzern" eines Wolfgang Clement bis hin zu dem "Pack" des Sigmar Gabriel war es nur ein kurzer Weg. Dass beide Musterbeispiele von den "Sozialdemokraten" kommen, spricht Bände.