Abwrackprämie: Autogipfel verschoben
Unionsfraktion will nicht recht, Umweltschützer protestieren trotzdem, Industrie beharrt auf ihren Forderungen
Der Autogipfel wird verschoben. Das berichtet das Handelsblatt unter Berufung auf den Branchenverband VDA. Wir hatten noch gestern an dieser Stelle von der vielfältigen Opposition bis hinein in die Reihen der Union und die geplanten Proteste geschrieben.
Die Bundesregierung habe noch internen Abstimmungsbedarf. Am Dienstag, der für den Gipfel vorgesehen war, werde sich der Koalitionsausschuss mit dem Thema beschäftigen, hat schon am Donnerstag erst ein Hamburger Boulevardblatt und von diesem die Wirtschaftszeitung von VDA-Präsidentin Hildegard Müller erfahren.
Auch irgendwie interessant. Auf der Internetpräsenz des Bundeswirtschaftsministeriums findet sich dazu bis zum frühen Freitagnachmittag keine Mitteilung. Aber es wird wohl stimmen. Reicht schon, wenn der VDA der Presse mitteilt, wie der Terminplan seiner Regierung aussieht.
Müller nutzte die Gelegenheit natürlich, um weiter für Kaufprämien – man könnte es auch Abwrackprämien nennen – zu werben:
"Die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie werden durch die Stärke unseres Sozialstaates noch verdeckt: Für mehr als zehn Millionen Menschen wurde Kurzarbeit beantragt. Offenbar ist diese Dramatik der Lage noch gar nicht allen bewusst."
VDA-Präsidentin Hildegard Müller im Handelsblatt
Man kann es ja mal versuchen. Vielleicht merkt ja keiner, dass nur ein Bruchteil der zehn Millionen Kurzarbeiter in der Automobilbranche arbeitet. Oder doch? Müller kann nicht einmal die Unionsfraktion überzeugen, wie der Münchner Merkur meldet. Die Mehrheit der Fraktion sei gegen die Prämie.
Der VDA fordert derweil in aller Bescheidenheit neben der Abwrackprämie auch noch eine Senkung der Unternehmenssteuern, die sofortige Abschaffung des Solidaritätszuschlags und eine verstärkte steuerliche Begünstigung seiner Forschung für Mogelsoftware und anderes.
Umweltschützer halten daher an den für heute geplanten Protesten fest, heißt es beim Aktionsbündnis "Sand im Getriebe". In über 20 Städten fänden Proteste statt, unter anderem in Aachen, Berlin, Freiburg, Frankfurt, Köln und Kassel. Vielfach dabei sind auch Klimaschützer wie das Aktionsnetzwerk "Ende Gelände".
"Die Automobilindustrie ist neben der Kohleindustrie der Hauptluftverschmutzer in Deutschland - und damit eindeutig Verursacherin der eskalierenden Klimakrise. Die Autokonzerne müssen - genau wie die Kohleunternehmen - endlich zur Verantwortung gezogen werden. Die Rettung von klimaschädlichen fossilen Industrien ist im Jahr 2020 allenfalls ein schlechter Scherz. (...) nicht nur der Autogipfel gehört abgesagt, auch Datteln 4 darf nicht ans Netz gehen!"
Mike Spundflasche, Pressesprecher von "Ende Gelände" Köln
In Berlin werden die Proteste zugleich mit jenen der Krankenhausbeschäftigten des landeseigenen Krankenhauskonzerns Vivantes und der Charité verbunden. Diese fordern vom Berliner Senat einen "Corona-Pakt", der verbesserten Gesundheitsschutz für die Beschäftigten, eine Wiedereingliederung der ausgegründeten Tochtergesellschaften mit schlechteren Tarifbedingungen, eine verbindliche Personalbemessung und die Abschaffung der Fallpauschalen vorsieht.
Auf einer gemeinsamen Kundgebungen hätten auch Vertreter von Fridays for Future und andere Klimaschützer gesprochen, schreibt "Ende Gelände" Berlin in einer Pressemitteilung.
"Als Klimabewegung stellen wir uns hinter die Forderungen der Pflegekräfte, die tagtäglich Stress, Ansteckungsrisiko und Überlastung auf sich nehmen, um die Gesundheitsversorgung aufrecht zu halten. Es ist ein Skandal die Pflegebeschäftigten mit Klatschen und lobenden Worten abzuspeisen, während Auto- und Flugzeugkonzerne gleichzeitig mit Milliardenbeiträgen überschüttet werden. Systemrelevant sind nicht die fossilen Konzerne, die unsere Lebensgrundlage zerstören, sondern unsere Gesundheitsversorgung."
Ronja Weil, "Ende Gelände"