Achtundsechziger wird Siebzig

(Bild: Seyfried)

Anarcho-Comic-Zeichner Gerhard Seyfried bleibt sich treu

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Mitte der politisch aufgeladenen 1970er Jahre saß man in München über einen Comic zu Gericht. Die Zeichnung fordere zu Straftaten auf, da sie das Verkleben von Fahrscheinautomaten darstelle. Trotz der Verfremdung „Entenhausen“ seien die Stadt München und deren Verkehrsverbund klar erkennbar. Ob sich der als schwitzendes Schwein dargestellte Polizeipräsident, der sich von einem Hund mit kapitalistischem Zylinder zusammenstauchen ließ, auch selbst erkannte, ist nicht überliefert. Als Urheber des unsignierten corpus delicti verdächtigte die Justiz den Münchner Werbegraphiker Gerhard Seyfried, einen persönlichen Freund des anarchistischen Politclowns Fritz Teufel von der Spaßguerilla. Erst nach Verjährung gestand Seyfried sein gezeichnetes Gedankenverbrechen.

Die Mitorganisation eines Streiks gegen die Notstandsgesetze hatte Seyfried einst den Rauswurf aus der Akademie des graphischen Gewerbes gekostet. Nach den Querelen wegen des Entenhausener Comics zog der Münchner nach West-Berlin und ließ sich in Kreuzberg von der APO, den Sponties und den Punkern inspirieren. Etwa 20 Hausdurchsuchungen prägten sein Verhältnis zu uniformierten Staatsdienern, die er so liebevoll zeichnete, dass sie heute selbst bei Polizisten Kult sind.

Markenzeichen des Karikaturisten war von Anfang an Selbstironie, vor der 1976 nicht einmal Die Internationale sicher war. Seyfrieds Comics waren zwar stets politisch und sarkastisch, aber eben nicht verbissen. Mit Witz und Liebe zum Detail fing Seyfried treffsicher den Zeitgeist etwa der 1980er Jahre ein. Die naturgemäß meist in Berlin spielenden Comics und Wimmelbilder wurden vor allem bei den „Achtundsechzigern“ populär. Sein Verhältnis zur Polizei relativierte Seyfried durch ein spätes Praktikum als Kontaktbereichsbeamter – eine Profession, die der erprobte Hausbesetzer 1980 noch derbe karikierte.

Als Hans-Christian Ströbele als erster Grüner Direktmandate holte, dürften einige Prozente wohl auf die originellen Plakate Seyfrieds zurückzuführen sein. Parteien sind dem eigenwillige Künstler grundsätzlich suspekt. Zuletzt zeichnete er für die Linke, schon weil diese konsequent gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr sei. Nach wie vor ist Seyfried in Berlin bei politischer Orientierung behilflich.

Zwei Jahrzehnte ist es nun her, dass Seyfrieds anarchistische Figur Zwille das letzte Mal in einen Comic erschien. Stattdessen schrieb Seyfried historische Romane, feierte den Hanf, illustrierte u.a. eine Ausgabe von Per Anhalter durch die Galaxis und erkundete Schilderwelten. Nach Protest seiner Figur Zwille persönlich erscheint nun zum 70. Geburtstag ein neuer Comic, in dem sich Seyfried mit der von "Graphic Novels" bedrohten Comic-Kultur auseinandersetzt - nach Art des Hauses mit anspruchsvollen Graphiken, originellen Wortspielen und reichlich Selbstironie.