Ahr-Hochwasser: Es war der Klimawandel
Ein Indizienprozess lässt wenig Zweifel, dass die katastrophalen Niederschläge folge der Treibhausgasemissionen waren
Starkregenereignisse wie die verheerenden Niederschläge zwischen dem 12. und 15. Juli, die in Belgien und Deutschland mindestens 220 Menschenleben kosteten, werden durch den Klimawandel wahrscheinlicher. Das ist das Ergebnis einer neuen Untersuchung, über die der Deutsche Wetterdienst DWD in einer Pressemitteilung berichtet.
Demnach habe sich die Wahrscheinlichkeit entsprechender Ereignisse in der Region beiderseits des Rheins von der Schweiz bis zu den Niederlanden durch den Klimawandel um das 1,2- bis Neunfache erhöht. Außerdem habe sich die Intensität extremer Niederschläge in dieser Region aufgrund der durch den Menschen verursachten globalen Erwärmung zwischen drei und 19 Prozent erhöht.
"Aktuelle Klimamodelle zeigen einen langsamen Anstieg der Anzahl von extremen Niederschlägen in einer zukünftig wärmeren Welt. Der aktuelle Fall zeigt, dass unsere Gesellschaften nicht widerstandsfähig genug sind, um aktuellen Wetterextremen zu begegnen. Wir müssen Treibhausgasemissionen so schnell wie möglich einsparen, aber auch unsere Warnsysteme und unser Katastrophenmanagement verbessern, unsere Infrastruktur 'klima-resilient' machen. Nur so können wir Verluste und Kosten minimieren und extremen Überflutungen besser begegnen."
Hayley Fowler, Professor für Klimafolgen an der Newcastle University
Künftig öfter
Um die deutschen Flüsse Ahr und Erft waren an einem einzigen Tag mehr als 90 Liter Regen pro Quadratmeter gefallen. Das sei deutlich mehr als jemals seit Beginn der Wetteraufzeichnungen gemessen wurde. Unter den gegenwärtigen, bereits deutlich wärmeren Klimabedingungen sei zu erwarten, so der DWD in seiner Zusammenfassung der Studie, dass in der genannten Region entlang des Rheins jedes Teilgebiet etwa alle 400 Jahre von einem ähnlichen Ereignis heimgesucht wird. Insgesamt – für die ganze Region gesehen – seien derlei Ereignisse inzwischen in geringeren Zeitabständen wahrscheinlich.
Der DWD sieht durch die Studie auch die Schlussfolgerungen des aktuellen Berichts des Weltklimarats, des IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change), bestätigt. (Telepolis berichtete.) Dieser hatte festgestellt, dass der anthropogene, d.h. von Menschen gemachte Klimawandel die Hauptursache für die Zunahme extremer Wetterereignisse ist. Projektionen für einzelne Weltregionen zeigen, dass West- und Mitteleuropa bei steigenden Temperaturen immer häufiger Starkregenfällen und Überschwemmungen ausgesetzt sein wird.
"Die hohen menschlichen Verluste und die wirtschaftlichen Kosten dieser Überschwemmungen sind eine deutliche Mahnung, dass sich die Länder auf der ganzen Welt auf immer extremere Wetterereignisse einstellen müssen und dass wir die Treibhausgasemissionen dringend reduzieren müssen, um zu verhindern, dass solche Ereignisse immer mehr außer Kontrolle geraten."
Maarten van Aalst, Direktor des Red Cross Red Crescent Climate Centre und Professor für Klima- und Katastrophenresilienz an der Universität Twente, Niederlande
Die Zuordnung
Um die Rolle des Klimawandels zu identifizieren, hatten die Autorinnen und Autoren sowohl das aktuelle Klima, das sich bereits durch einen Temperaturanstieg um 1,2 Grad auszeichnet, als auch ein Klima mit vorindustriellen Verhältnissen in zahlreichen Durchläufen simuliert.
Anschließend wurde verglichen, wie oft in den beiden Klimata in der genannten Region entlang des Rheins ähnliche Wetterlagen auftraten. Heraus kam, wie oben beschrieben, dass durch die bisherige Erwärmung die Eintrittswahrscheinlichkeit eines entsprechenden Extremereignisses um das 1,2- bis Neunfache zugenommen hat.
Die sogenannte Attributions- oder Zurordnungsstudie "Rapid attribution of heavy rainfall events leading to the severe flooding in Western Europe June 2021" – hier eine englischsprachige Zusammenfassung – wurde von einem Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Frankreich, Neuseeland, Großbritannien, Deutschland, Belgien, den Niederlanden, der Schweiz, den USA und Luxemburg erstellt, die in der World-Weather-Attribution-Initiative zusammenarbeiten.
Aus diesem Kreis sind nach Angaben des DWD in den letzten Jahren mehr als 400 Studien zur Zuordnung von Extremwetterereignissen erstellt worden. Unter anderem wurde gezeigt, dass die großen Hitzewellen in Sibirien im vergangenen Jahr und die australischen Buschbrände in den Jahren 2019/2020 vom Klimawandel mitverursacht waren.
Außerdem sei ein Ergebnis der Untersuchungen gewesen, dass die jüngste Hitzewelle im Nordwesten Nordamerikas ohne den Klimawandel kaum denkbar gewesen wäre. Erst kürzlich konnte zudem gezeigt werden, dass der extreme Kälteeinbruch, der im April dieses Jahres hohe Schäden im französischen Weinanbau verursachte, ebenfalls durch den Klimawandel wahrscheinlicher geworden war.
Mehr Anpassung
Die hohe Zahl von Todesopfern hatte sowohl in Belgien als auch in Deutschland damit zu tun, dass die Behörden vollkommen überfordert und offensichtlich nicht in der Lage waren, die Bürgerinnen und Bürger rechtzeitig zu informieren. Ebenso spielte die mangelnde Auslegung der Infrastruktur, etwa der unzureichende Hochwasserschutz an Krankenhäusern und Pflegeheimen, eine Rolle. Auch für deutsche Meteorologen ist daher eine wichtige Schlussfolgerung, dass sich besser auf ähnliche Katastrophen vorbereitet werden muss.
"Wieder einmal zeigte sich im Jahr 2021, dass die Schäden und negativen Auswirkungen der aktuellen, durch den Klimawandel verstärkten Extremwetterereignisse die Auswirkungen früherer Unwetter seit Beginn der Aufzeichnungen bei Weitem übersteigen können. Sie können überall auftreten und starke Schäden sowie menschliche Verluste verursachen. Die lokalen und nationalen westeuropäischen Behörden müssen sich dieser wachsenden Risiken durch Starkregen bewusst sein, um besser auf mögliche künftige Extremwetterereignisse vorbereitet zu sein."
Frank Kreienkamp, Leiter des Regionalen Klimabüros Potsdam, Deutscher Wetterdienst