Amazonstreik - keine Chancen für die Gewerkschaften?

Diskussion über die Möglichkeiten der Ausweitung der Lohnkämpfe über den nationalen Rahmen hinaus

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Beim Versandhandel Amazon wurde in der letzten Woche wieder gestreikt. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di weiß natürlich, dass die Tage vor Ostern genau wie vor Weihnachten zentral für das Amazon-Business sind. Dann ist der Druck besonders groß.

Die Amazon-Manager versicherten natürlich sofort, dass pünktlich geliefert werde und der Streik keinerlei Auswirkungen habe. Selbst Journalisten, die mit den Forderungen der Beschäftigten sympathisieren, nehmen diese Aussage für bare Münze und geben den Amazon-Streik schon verloren. So kommentiert Pascal Beucker in der Taz:

"Ohne sich eine Ausstiegsstrategie zu überlegen, ist Verdi in einen Arbeitskampf gegangen, der unter den gegebenen Bedingungen nicht zu gewinnen ist. Jetzt bleiben nur Durchhalteparolen – und ein paar Kurzmeldungen in den Medien. Bitter, denn die Amazon-Beschäftigten hätten bessere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen verdient." Beucker sieht den Grund für die Schwäche des Amazon-Streiks in der zu geringen Anzahl der Beschäftigten, die sich am Ausstand beteiligen.

Streikunterstützung außerhalb des Betriebs

Diese pessimistische Sicht auf den Arbeitskampf wird von Gruppen, Parteien und Einzelpersonen, die sich mit den Streikenden wie schon vor Weihnachten auch in der letzten Woche wieder solidarisiert haben, nicht geteilt. Dort wird besonders positiv hervorgehoben, dass die Streikenden von Amazon mit Beschäftigten anderer Branchen, die sich ebenfalls für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen engagieren, kooperieren. In Leipzig nahmen sie etwa an der Kundgebung von Kitabeschäftigten teil. Unter dem Motto "Die Kämpf verbinden: Amazon-Solidarität ausweiten" wollen die Solidaritätsgruppen die Dynamik der letzten Tagen erhalten und ausweiten.

Auch der italienische Gewerkschaftler Roberto Luzzi zeigte sich sehr positiv überrascht, dass in Deutschland die Organisierung von Amazon-Beschäftigten gelungen ist und dass sie über einen längeren Zeitraum in den Arbeitskampf treten. Luzzi ist Aktivist der Basisgewerkschaft SI Cobas, die in den letzten Jahren in der italienischen Logistikbranche einige erfolgreiche Arbeitskämpfe geführt und ihre Mitgliederzahl dort beträchtlich erhöht hat.

Durch eine kampforientierte Politik gelang es der Basisgewerkschaft, für die Beschäftigten günstige Tarifverträge abzuschließen. Das erzürnte die großen italienischen Gewerkschaftsbünde, die sich in einem Brief an die Manager der Logistikunternehmen beschwerten, dass sie mit der Basisgewerkschaft bessere Verträge als mit ihnen abschließen. "Dass diese Verträge kein Zugeständnis der Unternehmen, sondern Ergebnis einer kämpferischen Gewerkschaftspolitik waren, wurde von den großen Gewerkschaften nicht wahrgenommen", mokiert sich Luzzi gegenüber Telepolis über die Ignoranz der Gewerkschaftsfunktionäre.

Dass SI Cobas bei Amazon-Italien keinen Erfolg hatte, liegt nach Meinung von Luzzi an deren kurzen Beschäftigungsverhältnissen. Das ist allerdings ein Problem, das die Gewerkschaften auch bei Amazon in Deutschland beklagen. Luzzi hat als Teilnehmer einer SI-Cobas-Delegation die Streikenden bei Amazon-Leipzig besucht. Kritisch merkte er an, dass der Arbeitskampf zu defensiv geführt werde.

"Es gab es keine Versuche, die Beschäftigten, die sich nicht am Streik beteiligten, am Betreten des Werkes zu hindern. Auch LKW konnten während des Streiks ungehindert auf das Gelände fahren und es verlassen. Es gab weder Blockaden noch Versuche, mit Flugblättern für den Streik zu werben", lautete Luzzis Kritik. Die SI-Cobas-Delegation berichtete auf einer Veranstaltung und einem Workshop über ihre Arbeit und die Organisationsbedingungen in der italienischen Logistikbranche.

Unzweifelhaft ist es eine im letzten Jahrzehnt boomende Branche. Wie in Norditalien wachsen auch in vielen anderen Regionen gerade in sogenannten strukturschwachen Gebieten die Großhallen der oft global operierenden Logistikunternehmen aus dem Boden. "Die Arbeitsbedingungen sind oft von besonderer Überwachung, geringen Lohn und ständiger Arbeitshetze gekennzeichnet. Die Arbeitskämpfe in dem Bereich zeigen aber, dass es für die Lohnabhängigen möglich ist, das Management unter Druck zu setzen", berichteten die italienischen Basisgewerkschafter über Erfahrungen, die auch die Amazon-Beschäftigten machten.

Gelingt ein länderübergreifender Kampf im Logistikbereich?

Die Logistikbrancheist ein Bereich, in dem Lohnabhängige eine besondere Macht haben, weil ein entschlossener Streik zu richtigen Zeit schnell dazu führt, dass die Lieferungen verzögert werden. Das bedeutet für die Unternehmen nicht nur symbolische, sondern auch materielle Verluste. Das aber muss aus der Perspektive der Beschäftigten im Arbeitskampf das Ziel eines Ausstands sein, wenn es auch angesichts der Symbolpolitik der meisten Arbeitskämpfe in Deutschland oft vergessen wird.

Eine wichtige Frage beim Austausch mit den italienischen Gewerkschaften waren die Möglichkeiten der Ausweitung der Kämpfe über den nationalen Rahmen hinaus. Die Notwendigkeiten dafür sind offensichtlich. So hat Amazon schon präventiv eine Niederlassung in Poznan aufgebaut, um dorthin auszuweichen, wenn in Betrieben in Deutschland gestreikt wird. Ein solcher schneller Wechsel über Ländergrenzen hinwegcist in der Logistikbranche auch deshalb einfach, weil es dort keine Hochöfen oder komplexe Maschinenparks gibt, die nicht so einfach ersetzt werden können.

Dadurch wird auch dem Standortdenken weitgehend die Grundlage entzogen, das transnationale Arbeitskämpfe erheblich erschwert und oft unmöglich gemacht hat. Schließlich hatte dieses Standortdenken bei Lohnabhängigen der fordistischen Schwerindustrie die reale Grundlage in dem Maschinenpark, der nicht so leicht zu ersetzen oder auszulagern war. Warum werden dann in Logistikbranche, in der diese Bedingungen entfallen, die Möglichkeiten für eine transnationale Kooperation von Beschäftigtennoch so wenig genutzt, war eine zentrale Frage bei der Veranstaltung und dem Workshop in Berlin.

Bisher ist die Kapitalseite bei der Internationalisierung auch im Logistikbereich der Vorreiter. Die Arbeitskämpfe werden hingegen immer noch zu stark in einem nationalen Kontext geführt, kritisieren die Gewerkschaftler. Aber sie sehen auch Ansätze einer Änderung. So gab es kurz vor Weihnachten 2014 auch bei Amazon-Betrieben in Frankreich Streiks, die sich ausdrücklich auf die Arbeitskämpfe in Deutschland bezogen haben. Und im Amazon-Werk in Poznan haben sich mittlerweile Beschäftigte in einer kämpferischen Workers Initiative organisiert. So könnte also bei dem nächsten Amazonstreik genau das eintreten, was das Management verhindern will. Nicht nur in Leipzig und Bad Hersfeld, sondern auch in Poznan, das die Ausfälle bereinigen soll, könnten die Beschäftigten die Arbeit niederlegen.