Auch der islamistische Terror gehört zu Europa

Schon wenige Stunden nach den Anschlägen von Paris gibt es Vorschläge für Gesetzesverschärfungen und Zwangsräumungen

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"Paris beweist: Pegida und COMPACT hatten immer Recht." Was wie Satire klingt, meint Compact-Chefredakteur Jürgen Elsässer ganz ernst.

Schon wenige Stunden nach den islamistischen Anschlägen von Paris überbieten sich Rechte unterschiedlicher Couleur in Bekenntnissen, sie hätten es immer gewusst und nur ihre Vorschläge hätten den Terror verhindern können. Dabei radikalisieren sich auch Rechtspopulisten wie PRO NRW, die in einer Erklärung zu den Pariser Anschlägen in Endzeitstimmung erklären: "Wir können unser Deutschland, unser Europa nicht mehr in 20 Jahren retten, wir müssen es jetzt und gemeinsam tun."

Die Anschläge dürften also die gesamte rechte Szene noch weiter zu radikalisieren. Ob die unterschiedlichen rechten Aufmärsche auch zu weiteren Zulauf bekommen werden, ist noch unklar. Tatsächlich nutzen auch Merkels innerparteiliche Kritiker in der Flüchtlingsfrage die Anschläge von Paris.

"Da sind diese E-Mail-Adressen weitergegeben worden"

So sprach sich der Unionspolitiker Hans Georg Wellmann im Deutschlandfunk für Grenzkontrollen aus:

"Wir brauchen europäische Solidarität, aber wir brauchen auch eine enge Zusammenarbeit zwischen den europäischen Sicherheitsbehörden und wir brauchen Kontrolle an den Außengrenzen. Und wenn das nicht möglich ist, aus welchen Gründen auch immer, weil die Griechen sich weigern oder das nicht können, dann müssen wir die Binnengrenzen so kontrollieren, dass wir möglichst viele Straftäter, potenzielle Straftäter oder Verdächtige herausfischen und nicht nach Deutschland lassen."

Daneben nutzte er die Anschläge auch, um einer Aufrüstung der Sicherheitsapparate das Wort zu reden: "Die deutsche Bevölkerung will Sicherheit und will leistungsfähige Dienste haben und wir müssen alles tun, um unsere Sicherheitsdienste stärker zu machen und besser zu machen, als sie schon ohnehin sind", erklärte er. Als der Radioreporter fragte, wie dabei der Schutz der Freiheitsrechte der Bürger gewährleistet werden kann, antwortete Wellmann als hätte es die Debatten der letzten Jahre um NSA und BND nicht gegeben:

"Es gibt nicht den geringsten Anhaltspunkt, dass unsere staatlichen Institutionen, insbesondere unsere Sicherheitsdienste die Bürgerrechte in irgendeiner Form einschränken."

Als der Reporter noch mal an die jenseits von Recht und Gesetz durchgeführten Abhörmaßnahmenerinnerte, kam bei Wellmann die Arroganz eines Politikers zum Vorschein, der wohl hofft, nach Paris über die NSA nichts mehr hören zu müssen:

"Da, da müssen wir nun auch nicht hysterisch reagieren. Da sind diese E-Mail-Adressen weitergegeben worden. Es ist völlig unklar, wer und ob überhaupt abgehört wird. Das muss erst mal geklärt werden. Aber die Leute, die Menschen in Deutschland und nicht nur in Deutschland, auch woanders haben einen Anspruch darauf, dass unsere Sicherheitsdienste so gut sind, dass sie solche Anschläge, wie wir sie gestern gesehen haben, von vornherein verhindern."

Der auch in rechtspopulistischen Kreisen gelegentlich gelobte Journalist Jürgen Kröning, prophezeit in einem Kommentar gleich einmal das Ende des europäischen Traumes.

Der Terroranschlag von Paris als Chance

"Das Blutbad, das islamistische Terroristen in Paris anrichteten, wird diesen Prozess nur noch beschleunigen. Begonnen hatte sie schon in den vergangenen Wochen und Monaten, als quer durch Europa die Schlagbäume runtergingen und Stacheldrahtzäune errichtet wurden. Wer jetzt noch glaubt, die Suspendierung des Schengenabkommens werde eine temporäre Maßnahme sein, dürfte sich einer Illusion hingeben, nachdem nun auch Frankreich seine Grenzen wegen der Terrorgefahr dicht machte."

Am Ende sieht Kröning in den Anschlägen in Paris sogar eine Chance:

"Aus der Gefahr kann auch eine Chance erwachsen. Europa wird seine Neigung zu wolkigen Illusionen reduzieren und realistischer werden, worauf das Ende von Schengen hindeutet, aber auch die Einsicht, den Kampf gegen seine Todfeinde nicht allein Amerika oder Russland zu überlassen. Die Briten hatten sich den wolkigen Projekten wie Euro und Schengen von Beginn an verweigert, sie können sich darin bestätigt fühlen."

Dass schon wenige Stunden nach denAnschlägen daraus Argumente für Abschottung und Einschränkung der Freiheitsrechte gemacht werden, hat auch damit zu tun, dass ein Anschlag von Islamisten immer noch fast reflexhaft als Angriff von außen interpretiert wird. Dann ist es zur Forderung an Grenzbefestigungen nicht mehr weit. Selbst wenn sich herausstellen sollte, dass
die Attentäter wie bei den früheren islamistischen Aktionen Frankreich französische Staatsbürger waren, werden die dem Ausland zugerechnet.

Mit einer solchen Sichtweise kommt man dazu, schon wenige Stunden nach den Anschlägen von Flüchtlingsbegrenzung zu reden. Dabei gäbe es eine alternative Sichtweise, die ohne solche Ausgrenzungen auskommt. Man kann ihn einfachals faschistischen Anschlagbezeichnen und bekämpfen. Dabei würden Islamfaschisten als spezifische klerikalfaschistische Ausprägung wahrgenommen. Die Aktion ist dann nicht ein Angriff von außen und kann nicht einfach für Abschottung genutzt werden.

Selbst, wenn sich die Indizien bestätigen sollten, dass einige der Attentäter als Geflüchtete nach Europa eingereist sind, wäre es falsch, einen solchen Angriff als Werk von außen zu interpretieren. Längst gehört auch eine islamfaschistische Bewegung schon zu Europa und wird auch von dort unterstützt. Dass dabei auch Kombattanten aus dem syrischen Bürgerkrieg eine große Rolle spielen, mussdieser Vorstellung nicht widersprechen. Der Versuch, die Anschläge und ihre Urheber aus Frankreich undmöglichst aus ganz Europa herauszuexportieren, ist ein hilfloser Versuch hier ein Innen und Außen zu konstruieren.

Zudem ist es historisch falsch, zu behaupten, die Art der Anschläge wäre in Paris einmalig. Nach der Niederschlagung der Pariser Kommune entwickelte sich seit Mitte der 80er Jahre des 19. Jahrhunderts eine anarchistische Strömung, die mit Bombenanschlägen auch in Cafés und Restaurants das Bürgertum treffen wollte ("Ära der Attentate"). Es gab viele Tote und Verletzte und mehrere der
Attentäter wurden zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Heute ist von dieser kurzen anarchistischen Bombenphase in Paris wenig bekannt.