Aufstocken des Rettungsschirms vertagt
Dass der Finanzrahmen aufgestockt werden muss, ist inzwischen aber längst Konsens
Vor allem Berlin hat beim Treffen der EU-Finanzminister erneut gebremst. Doch alles Bremsen hilft kaum noch, denn beim Treffen in Brüssel wurde klar, dass anders als es die Bundesregierung stets wollte, der Rettungsschirm aufgestockt werden wird. Die Debatte war vor dem Treffen am Dienstag erneut aufgekocht. Klar ist, dass sich Berlin stets gegen eine Aufstockung gewehrt hat, sich aber seit dem Nein auf dem letzten EU-Gipfel immer stärker isoliert hat, weil Frankreich aus der Non-Nein-Front aussteigt.
Nun wird nach einer Formel gesucht, damit Finanzminister Wolfgang Schäuble und Angela Merkel das Gesicht waren können. Dass kein Weg an der Aufstockung vorbeiführen wird, ist inzwischen eigentlich allen klar. Sogar das konservative Handelsblatt meint, Schäuble und Merkel hätten wegen ihrer "Schwindeleien und Halbwahrheiten" einen "Pinocchio" verdient. Sie gaukelten den Menschen vor, dass der Rettungsschirm für klamme Euro-Staaten nicht ausgeweitet wird, dabei werde in Brüssel "nur noch darüber verhandelt, auf welche Weise und unter welchen Bedingungen das geschieht."
In Berlin wird wie vor der Griechenland-Krise vorgegangen. Merkel und Schäuble setzen auf Zeit, um die Deutschen langsam an die Realität zu gewöhnen. Im Notfall können sie ja wieder das Unwort des Jahres bemühen. Geprägt wurde "alternativlos" schließlich von der Bundeskanzlerin, als sie die Griechenland-Hilfe so darstellte, nachdem ihre Regierung zuvor lange Zeit dem Land jede Hilfe verweigern wollte und damit die Kosten in die Höhe trieb..
Man hofft in Berlin nun erneut darauf, dass nicht durch irgendeinen Vorgang eine Panik an den Märkten entsteht und erneut entsprechend hektisch gehandelt werden muss. Es hat deshalb sogar Witz, wenn ausgerechnet Schäuble nun keine "Schnellschüsse" will, "die nach kurzer Zeit wieder Korrekturen erfordern". Der Rettungsanker ist inzwischen gefunden. Vorgerechnet wird, dass der bisherige Rettungsfonds nur theoretisch über 440 Milliarden Euro verfügt. Tatsächlich könnte er nur 250 Milliarden Euro an die Absturzkandidaten weiterreichen, weil wegen höchsten Bonitätsnote (AAA) der Rest als Überdeckung zurückgehalten werden müsse, um sich Geld für niedrige Zinsen an den Finanzmärkten besorgen zu können. Das ist der Dreh, der Schäuble sein erneutes Umfallen ermöglichte, der letztlich erklärte: "Im Rahmen eines Gesamtpakets sind wir bereit, an einer Lösung des Problems ... mitzuwirken."
Doch rechnet man nach, wird wieder einmal kein Schuh draus. Denn die gesamte Rettungssumme beläuft sich bisher auf theoretische 750 Milliarden. Denn zu den 440 Milliarden aus dem Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) kommen 60 Milliarden aus dem Europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus (EFSM) hinzu. Dazu soll der Internationale Währungsfonds (IWF) bis zu 250 Milliarden beitragen. Also stünden insgesamt bis zu 560 Milliarden Euro für Absturzkandidaten zur Verfügung, wenn man die 440 Milliarden des EFSF auf reale 250 Milliarden reduzierte.
Da für Griechenland eine Extrawurst in der Höhe von 110 Milliarden Euro gebraten wird, schlagen sich die Kosten nicht auf die Summe nieder. Faktisch werden bisher also nur 62,5 Milliarden Euro davon für Irland in Anspruch genommen. Das Land braucht zwar 85 Milliarden, aber fast 17 Milliarden Euro will es durch das Plündern der Rentenkasse selbst aufbringen. Die ganze Diskussion würde als grundlos geführt, wenn Brüssel nicht längst den Gang Portugals unter den Rettungsschirm vorbereiten würde, auch wenn stets das Gegenteil behauptet wird.
Doch auch Portugal würde nur mit 60-100 Milliarden Euro zu Buche schlagen. Also wird, entgegen allen Beteuerungen, also schon der Absturz Spaniens antizipiert, denn nur der Gang des viertgrößten Eurolandes würde den derzeitigen Rettungsschirm an den Rand des Kollapses bringen. Schon die Debatte um die Aufstockung der realen Rettungssumme macht deutlich, dass auch die Pleite Italiens und/oder Belgiens nicht ausgeschlossen wird, die bei neben einer Schuldenkrise auch von Dauerregierungskrisen geplagt werden.
Als Optionen wurde in Brüssel nicht nur die diskutiert, die Rettungssumme insgesamt anzuheben, wie de niederländische Finanzminister Jan Kees de Jager bestätigte. Als bisheriger Konsens habe sich durchgesetzt, die ursprünglich genannte Gesamtsumme von 750 Milliarden real verfügbar zu machen. Der Chef der Eurogruppe, Chef Jean-Claude Juncker, kündigte an, die Euro-Staaten würden über die Änderungen an der EFSF so schnell wie möglich als Teil eines Gesamtpakets entscheiden.
Debattiert wurde auch darüber, ob man den insgesamt zu hohen Zinssatz senkt. Schließlich muss Irland für die teure Bankenrettung 5,8% Zinsen an den Rettungsschirm zahlen. Das bezeichnen Experten auf der Insel gerne als "genug Seil", an dem sich das Land "selbst erhängen" werde. Juncker dazu: "Wir haben ganz allgemein diskutiert, die Zinsen für die betroffenen Staaten zu verringern", nachdem Irland das zur Sprache gebracht habe.
Klar ist auch, dass darüber verhandelt wurde, ob Geld aus dem Rettungsschirm benutzt wird, um Staatsanleihen von Krisenländern zu kaufen. Derzeit kauft die Europäische Zentralbank (EZB) im großen Stil diese Papiere auf, um die Zinsen nicht noch weiter hochschießen zu lassen. Angesichts des Tabubruchs mehren die Stimmen in Frankfurt, diesen Sündenfall solider Zentralbankpolitik wieder aufzugeben oder wenigstens nicht noch weiter auszuweiten.
Ganz im Gegenteil dazu steht, dass die EZB in der vergangenen Woche die Aufkäufe von Staatsanleihen stark ausgeweitet hat. Insgesamt wurden seien in der vergangenen Woche Staatstitel im Wert von etwa 2,3 Milliarden Euro gekauft worden, teilte die EZB am Montag mit. In der Woche vor den Versteigerungen von portugiesischen, spanischen und italienischen Anleihen habe das Volumen lediglich bei 113 Millionen Euro gelegen. Insgesamt habe die EZB nun schon Staatsanleihen für fast 75 Milliarden Euro gekauft.
Dass wieder einmal die Entscheidungen vertagt wurden, quittierten die Finanzmärkte mit steigenden Renditen für Staatsanleihen der Absturzkandidaten. Die Zinsen für griechische Staatsanleihen stiegen am Sekundärmarkt am Dienstag um 0,3 Prozentpunkte auf fast 11,6% an. Für zehnjährige irische Anleihen mussten mit fast 8,9% gut 0,5 Prozentpunkte mehr geboten werden. Die Anleihen Portugals stiegen wieder deutlich über die magische Grenze von 7% auf 7,24% und im Fall des Nachbars ging es leicht nach oben. Vor dem Treffen rentierten spanische Anleihen mit 5,47% und nach dem Abschluss waren es 5,54%.