BND-Akten: Kriegsveteranen bauten Geheimarmee auf
Veteranen verschwiegen Bundeskanzler illegale Wiederbewaffnung
Nach einem Bericht des SPIEGEL, der sich auf der BND-Historikerkommission freigegebene Akten stützt, haben 2.000 ehemalige Offiziere der Wehrmacht und der Waffen-SS sich eigenmächtig am Aufbau einer Geheimarmee beteiligt. Die Streitkräfte, die ab der Gründung der Bundesrepublik 1949 organisiert wurden, sollen auf 40.000 Mann angelegt gewesen sein. So hatte offenbar der in den Nürnberger Prozessen wegen Kriegsverbrechen angeklagte SS-Mann Otto Skorzeny, der im 2.Weltkrieg u.a. an geheimen Kommandoaktionen und False-Flag-Einsätzen beteiligt war, eine solche Veteranenarmee geplant. Das Projekt wurde jedoch offenbar von Veteran Albert Schnez durchgeführt. Die Finanzierung und Ausstattung etwa mit Fahrzeugen sollen deutsche Industrielle besorgt haben. Waffen hätte man sich im Bedarfsfall aus Beständen der Bereitschaftspolizei beschafft. Informationen lieferte etwa ein Zuträger im Innenministerium. Auch das Bespitzeln möglicher "Vaterlandsverrärter" wurde organisiert. Adenauer soll von dieser Geheimarmee dem SPIEGEL zufolge erst 1951 erfahren und Schattenmann Reinhard Gehlen - damals noch unter US-Kommando - mit der Überwachung, nicht aber der Zerschlagung der Schattenarmee befasst haben.
Inwiefern der zwielichtige Gehlen bereits damals seine Finger im Spiel von Schnez' Schattenarmee hatte, ist unklar. Gehlen war nach dem Krieg von den USA als Leiter der "Organisation Gehlen" eingesetzt worden, einem US-Geheimdienst mit deutschem Personal. Der General war zuvor in den letzten Kriegstagen als Chef des deutschen Militärgeheimdienstes "Fremde Heere Ost" mit dessen Archiv zu den US-Streitkräften übergelaufen, weil er hoffte, mit Washington den Kampf gegen die Kommunisten fortsetzen zu können. Zeitlebens glaubte er, der Ausbruch eines weiteren Kriegs gegen den Osten sei nur eine Frage der Zeit. Daher sammelte Gehlens mit SS-Leuten durchsetzte "Org" vor allem bei Kriegsheimkehrern alle möglichen Informationen und wollte Deutschland ggf. verdeckt wiederbewaffnen, wie es bereits nach dem 1.Weltkrieg geschah.
Bislang war bekannt, dass Gehlen sich um das Oberkommando neu aufzubauender Streitkräfte bemühte. 1950 gab es ein mit Adenauers rechter Hand Globke abgestimmtes Geheimtreffen zwischen prominenten Gehlen-Leuten und Veteranen wie Adolf Heusinger, Herrmann Foertsch und Hans Speidel zur Planung der Remilitarisierung. Gehlen intrigierte gegen Konkurrenten wie etwa gegen Friedrich Wilhelm Heinz, der beim Bundeskanzleramt unter Adenauer einen streng geheimen deutschen Militärgeheimdienst aufbaute und Frontgruppen wie die "Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit" unterstützte. Auch rivalisierte Gehlen mit Theodor Blank, den Adenauer dennoch 1955 als Verteidigungsminister vorzog.
Ebenfalls war bekannt, dass sich Veteranenverbände im Nachkriegsdeutschland organisierten und das Interesse der Geheimdienste erfuhren. So finanzierte 1950 der US-Geheimdienst Counter Intelligence Corps rechtsextreme Organisationen wie den "Bund Deutscher Jugend", um die Kontrolle über Paramilitärs zu bekommen, die man ggf. hätte einsetzen können. Zudem bildete man patriotisch gesinnte Zivilisten als Stay-Behind-Kämpfer aus, die sich im Kriegsfall im Inland überrollen lassen sollten, um hinter den Linien einen Widerstand aufzubauen. Die Rolle der deutschen Dienste an diesen paramilitärischen Aktivitäten war bislang ein offenes Geheimnis, ist historisch jedoch nicht hinreichend aufgearbeitet.
1955 legalisierte die Bundesrepublik mit NATO-Eintritt ihre von Schnez aufgezogene Schattenarmee im Zuge der Wiederbewaffnung. Schnez wurde in der Bundeswehr schließlich Generalleutnant und Heeresinspekteur. Er vertrat dort erzkonservative Positionen und beklagte die „übertriebene parlamentarische Kontrolle“ des Militärs. General Gehlen kam als Militär nicht mehr zum Zug, sondern leitete ab 1956 den aus seiner "Org" hervorgegangenen zivilen Bundesnachrichtendienst (BND). Der BND erbte von den US-Diensten das deutsche Stay-Behind-Netz paramilitärischer Zivilisten, dessen Existenz seit 1990 bekannt ist. Akten hierzu sind NATO-weit noch immer unter Verschluss, wobei sich abzeichnet, dass es auch hiervon unabhängige geheime Streitkräfte gab. Diese Woche war die Vermutung des ehemaligen Luxemburger Geheimdienstchefs Marco Mille bekannt geworden, der im Großherzogtum ebenfalls eine von hohen Militärs kontrollierte geheime Einheit für möglich hält, die bis in die 1980er Jahre existierte.