Bärendienst des Idealismus

Auch für die politischen Ziele der Piratenpartei darf journalistische Ethik nicht der Affektproduktion geopfert werden. Das Ergebnis wäre nichts weiter als Demagogie

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Es ist ein zweischneidiges Schwert, wenn die Presse Partei für den "kleinen Mann" ergreift. Zum einen erscheint der Gang zur Presse für jemanden, der sich angesichts des Rechtsabteilungs-Budgets irgendeines Konzernriesen wie David gegen Goliath vorkommt, als der legitime Griff zur Steinschleuder. Zum anderen aber kann genau dieser Schuss auch nach hinten losgehen - vor allem wenn die Waffe so unpräzise ist, wie zuletzt taz-Autor Helmut Höge in diesem Artikel unter Beweis stellt.

Vielleicht liegt es daran, dass sich hier ein ideologisch gefestigter Feuilletonist an einem Thema versucht, das besser in den Händen eines Juristen aufgehoben wäre. Im Ergebnis jedenfalls erweist sich der Artikel als voll von Ungenauigkeiten und Polemiken, die im schlimmsten Fall selbst den Betroffenen - die im Artikel genannte Familie Bednarski - schaden können, sollte Philips die unerhört einseitige Schilderung der Ereignisse tatsächlich als geschäftsschädigendes Verhalten auffassen wollen. In jedem Fall aber erweist Höge mit dieser Art der Berichterstattung der Sache, der er sich wohl verpflichtet fühlt, einen Bärendienst.

Es ist nämlich die an allen Ecken fehlende Sachlichkeit, welche die Geschichte vom ruinös verklagten kleinen Geschäftsmann letztlich ihrer Tragik beraubt. Höge hält es offenbar nicht für nötig, in seinem Text auch mal einen Fachmann - einen Juristen, wenigstens den Anwalt der Betroffenen - zu Wort kommen zu lassen, und so verwundert es wenig, dass er munter Urheber-, Patent- und Markenrecht durcheinanderwirft und letztlich über den eigentlichen Sachverhalt gar nichts Relevantes mehr aussagen kann. Naheliegend ist jedenfalls die Vermutung, dass die Bednarskis vor allem auf die erste Abmahnung falsch (und wahrscheinlich noch ohne anwaltliche Beratung) reagiert und keine (zumindest modifizierte) Unterlassungserklärung abgegeben haben, mit der die einstweilige Verfügung des Gerichts wohl hätte abgewehrt werden können. Ob denn diese Unterlassungserklärung fristgerecht erfolgt ist, das wäre wohl die erste Frage eines Interviewpartners vom Fach gewesen.

Auch sonst lässt Höge allerlei Fragen offen. Von der Kleinigkeit mit den ständig wechselnden DVD-Zahlen, die im Artikel ständig um eine Handvoll nach oben oder unten oszillieren, mal abgesehen, sind es auch wesentlich gravierendere Details, die in dem Artikel schlicht fehlen: Wer ist denn dieser ominöse und namentlich nicht genannte Vertreter der Piratenpartei, der hier zitiert wird? Nicht nur scheint er der einzige gewesen zu sein, der - außer den Bednarskis - von Höge befragt wurde, auch seine Fachkompetenz ist doch höchst fragwürdig. Sicher ist es bequem, einen Interviewpartner zu suchen, von dem man vorher weiß, dass er politisch auf der gleichen Seite steht. Ist dies aber die einzige Qualifikation, die er als vermeintlicher "Fachmann" mitbringt, so darf er in fairer Berichterstattung doch höchstens einer unter vielen sein. Dabei ist aus dem Artikel nicht einmal ersichtlich, ob der Autor wenigstens bei Philips um eine Stellungnahme angefragt hat; ebenso wenig klar ist, wem denn das angeblich diskriminierende Zitat des Schlusssatzes zuzuordnen ist, welches offenbar das Händlerpaar überliefert hat - stammt es vom oben erwähnten Landgerichts-Vorsitzenden oder von einem Vertreter Philips'?

Eine juristische Einschätzung der Klage Philips' - kann ein Händler überhaupt für den Zahlungsrückstand eines im Ausland ansässigen Drittherstellers in dieser Form in Regress genommen werden? - fehlt schließlich völlig.

Es ist nicht so, dass hinter diesem Ereignis auch bei fairer Schilderung keine berichtenswerte Geschichte steckt. Es ist die Geschichte eines Händlers, der ein klein wenig zu naiv gehandelt hat und dafür eine wahrscheinlich drakonische Strafe erleiden muss. Dieser Umstand allein hätte als Plädoyer für eine Änderung der verantwortlichen Rechtsnormen völlig ausgereicht. Durch Recherchefehler oder sogar mutwillige Dramatisierung des Geschehens ist aber letztlich vor allem ein Artikel entstanden, der der Glaubwürdigkeit der Bednarskis, des Autors und nicht zuletzt der taz selbst schadet. Das Ergebnis ist nur ein Mitleidsstück, wo eine wirkungsvolle Argumentation stehen könnte. An die Stelle journalistischer Aufklärung tritt die reine Demagogie.